468
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Parallelen zu ziehen; sie dienen nicht unbedingt
dazu, die Größe des an dem Alten gemessenen
Neuen zu beweisen. Michelangelo war vor
allem ein ungeheures, architektonisches Genie und
Rodin ist das Gegenteil vom Architekten, er löst die
plastische Form in Licht auf, „er durchlöchert
sie", und seine Monumente ermangeln jeder
tektonischen Schlüssigkeit. Diese Erwägung
allein sollte schon davon abhalten, die beiden
Unvergleichlichen zu vergleichen.
Mit Staunen und Freude hört man zuletzt
von den zeichnerischen und malerischen Ent-
schlüssen Rodins; und sehr gut schließt das
Buch mit dem Hinweis auf die Reaktion eines
strengern Stils, der sich nicht nur in Maillol u. a.,
sondern auch in Rodin selber, dem unerschöpf-
lichen und vielgestaltigen Schöpfer, ankündigt.
Paul Ferd. Schmidt.
€
Collection des artistes Belges con-
temporains. G. van Oest&Cie., 1907. vol. I.
Fernand Khnopff par L. Dumont-Wilden
78 S., 33 Tafeln (10 Fs.) II. Eugene Laer-
manspar Gustave Vanzype. 67 S. 28 Tafeln.
(7,50 Fs.). III. Quatre artistes Liegeois par
Maurice des Ombiaux (Rassenfosse, Mare-
chal, Donnay, Berchmans) 107 S. 48 Tafeln
(7,50 Fs.).
Über die moderne belgische Kunst besaßen
wir bisher nur das Werk von Camille Lemonnier
und die im Auftrage des belgischen Ministeriums
auch ins französische übersetze „Belgische Male-
rei" von Richard Muther. Die vorliegende von
dem Brüsseler Verleger van Oest herausgegebene
Monographienserie bildet eine erwünschte Er-
gängung zu den beiden genannten Werken.
Die Arbeiten von Dumont-Wilden und Vanzype
haben dokumentarischen Wert, da sie den raf-
finierten Ästheten Khnopff und den schlichten
Laermans im Atelier, bei der Arbeit, und im
täglichen Leben belauscht haben, die Mono-
graphie über die Lütticher Künstler bringt inte-
ressante Künstler, wie den von Rops inspirier-
ten Rassefossen, und den kraftvollen Radierer
Marechal näher. Neben dem biographisch-histo-
rischen Teil hätte der Stilkritik ein etwas weiterer
Raum gewährt werden sollen; die Autoren haften
zu sehr am feuilletonistisdi - biographischen.
In allen drei Bänden fallen gründlich gearbeitete
Kataloge des Werks der behandelten Künstler,
sowie umfassende Literaturangaben angenehm
auf. Die Ausstattung dieser zur Einführung in
die moderne belgische Kunst sehr nützlichen
Bände ist gut, nur hätte man die schlichten Netz-
drucke nicht als Heliogravüren montiert ge-
wünscht. Sehr wünschenswert wäre, wenn wir
in dieser Serie auch einen Band über das bel-
gische Kunstgewerbe bekommen würden, das
nach Deutschland wie nach Frankreich so viele
Anregungen gegeben hat. Ebenso würde eine
Schilderung der sich um die Libre Esthetique
gliedernden Kunstbewegung wohl auf vielseitiges
Interesse stoßen. R.A.M.
€
Fritz Knapp. Andrea del Sarto. Biele-
feld und Leipzig 1907. (Nr. XC der „Künstler-
Monographien".
Es hat bisher Andrea del Sartos Biographen
besonders gereizt, dieses Künstlers interessante
Persönlichkeit, von der Vasari eine so leiden-
schaftlich anschauliche Schilderung entworfen, in
seinen Werken aufzusuchen. Knapp geht einem
solchen Beginnen fast völlig aus dem Wege;
Leben und Werk werden getrennt behandelt
und fallen, anstatt zu einer unlösbaren Einheit
zu verwachsen, ganz auseinander. Augenschein-
lich haben die vielfach gegen die Angaben
Vasaris erhobenen Bedenken, wie sie etwa
Gronau in seiner deutschen Ausgabe zusammen-
faßt, den Verfasser skeptisch gestimmt; wie er
sich mit Recht gegen die allzuoft in seinem
Werk herausgefundenen Selbstbildnisse und
Porträts der Lucrezia wendet, so mag er über-
haupt aus diesen Bildern kein subjektives see-
lisches Bekenntnis einer nervösen sensiblen
Künstlernatur herauslesen, sondern des Meisters
Arbeiten sind ihm vor allem Schöpfungen eines
virtuosen Talentes, dem das „l'art pour l'art"
der modernen Franzosen höchstes Gesetz war.
Knapps Fragestellung, mit der er in dem Haupt-
teil, dem wertvollsten seines Buches, der Reihe
nach an die einzelnen Bilder herantritt, ist nicht
psychologisch, auch nicht rein ästhetisch, da sie
sich mit konventionellen Urteilen, wie leer, un-
interessant, großartig usw. begnügt, sondern
geht von äußerlich formalen Gesichtspunkten
aus, will bei jeder Arbeit entscheiden: Was
bringt das Bild künstlerisch Neues? Dabei führt
der Verfasser im Wesentlichen nur die leitenden
Gedanken weiter aus, die Wölfflin in seiner
„klassischen Kunst" in dem schönen Abschnitt
über Andrea niedergelegt hat. Er ist über-
haupt ein fanatischer Anhänger der neuen Me-
thode, die Wölfflin in die Kunstgeschichte ein-
führt und die unter den Händen seiner Schüler
so viel an Feinsinn, Prägnanz und geistreicher
Überzeugungskraft verliert. Die Analyse der
Form wird allzuweit getrieben, aufs Kleinliche,
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Parallelen zu ziehen; sie dienen nicht unbedingt
dazu, die Größe des an dem Alten gemessenen
Neuen zu beweisen. Michelangelo war vor
allem ein ungeheures, architektonisches Genie und
Rodin ist das Gegenteil vom Architekten, er löst die
plastische Form in Licht auf, „er durchlöchert
sie", und seine Monumente ermangeln jeder
tektonischen Schlüssigkeit. Diese Erwägung
allein sollte schon davon abhalten, die beiden
Unvergleichlichen zu vergleichen.
Mit Staunen und Freude hört man zuletzt
von den zeichnerischen und malerischen Ent-
schlüssen Rodins; und sehr gut schließt das
Buch mit dem Hinweis auf die Reaktion eines
strengern Stils, der sich nicht nur in Maillol u. a.,
sondern auch in Rodin selber, dem unerschöpf-
lichen und vielgestaltigen Schöpfer, ankündigt.
Paul Ferd. Schmidt.
€
Collection des artistes Belges con-
temporains. G. van Oest&Cie., 1907. vol. I.
Fernand Khnopff par L. Dumont-Wilden
78 S., 33 Tafeln (10 Fs.) II. Eugene Laer-
manspar Gustave Vanzype. 67 S. 28 Tafeln.
(7,50 Fs.). III. Quatre artistes Liegeois par
Maurice des Ombiaux (Rassenfosse, Mare-
chal, Donnay, Berchmans) 107 S. 48 Tafeln
(7,50 Fs.).
Über die moderne belgische Kunst besaßen
wir bisher nur das Werk von Camille Lemonnier
und die im Auftrage des belgischen Ministeriums
auch ins französische übersetze „Belgische Male-
rei" von Richard Muther. Die vorliegende von
dem Brüsseler Verleger van Oest herausgegebene
Monographienserie bildet eine erwünschte Er-
gängung zu den beiden genannten Werken.
Die Arbeiten von Dumont-Wilden und Vanzype
haben dokumentarischen Wert, da sie den raf-
finierten Ästheten Khnopff und den schlichten
Laermans im Atelier, bei der Arbeit, und im
täglichen Leben belauscht haben, die Mono-
graphie über die Lütticher Künstler bringt inte-
ressante Künstler, wie den von Rops inspirier-
ten Rassefossen, und den kraftvollen Radierer
Marechal näher. Neben dem biographisch-histo-
rischen Teil hätte der Stilkritik ein etwas weiterer
Raum gewährt werden sollen; die Autoren haften
zu sehr am feuilletonistisdi - biographischen.
In allen drei Bänden fallen gründlich gearbeitete
Kataloge des Werks der behandelten Künstler,
sowie umfassende Literaturangaben angenehm
auf. Die Ausstattung dieser zur Einführung in
die moderne belgische Kunst sehr nützlichen
Bände ist gut, nur hätte man die schlichten Netz-
drucke nicht als Heliogravüren montiert ge-
wünscht. Sehr wünschenswert wäre, wenn wir
in dieser Serie auch einen Band über das bel-
gische Kunstgewerbe bekommen würden, das
nach Deutschland wie nach Frankreich so viele
Anregungen gegeben hat. Ebenso würde eine
Schilderung der sich um die Libre Esthetique
gliedernden Kunstbewegung wohl auf vielseitiges
Interesse stoßen. R.A.M.
€
Fritz Knapp. Andrea del Sarto. Biele-
feld und Leipzig 1907. (Nr. XC der „Künstler-
Monographien".
Es hat bisher Andrea del Sartos Biographen
besonders gereizt, dieses Künstlers interessante
Persönlichkeit, von der Vasari eine so leiden-
schaftlich anschauliche Schilderung entworfen, in
seinen Werken aufzusuchen. Knapp geht einem
solchen Beginnen fast völlig aus dem Wege;
Leben und Werk werden getrennt behandelt
und fallen, anstatt zu einer unlösbaren Einheit
zu verwachsen, ganz auseinander. Augenschein-
lich haben die vielfach gegen die Angaben
Vasaris erhobenen Bedenken, wie sie etwa
Gronau in seiner deutschen Ausgabe zusammen-
faßt, den Verfasser skeptisch gestimmt; wie er
sich mit Recht gegen die allzuoft in seinem
Werk herausgefundenen Selbstbildnisse und
Porträts der Lucrezia wendet, so mag er über-
haupt aus diesen Bildern kein subjektives see-
lisches Bekenntnis einer nervösen sensiblen
Künstlernatur herauslesen, sondern des Meisters
Arbeiten sind ihm vor allem Schöpfungen eines
virtuosen Talentes, dem das „l'art pour l'art"
der modernen Franzosen höchstes Gesetz war.
Knapps Fragestellung, mit der er in dem Haupt-
teil, dem wertvollsten seines Buches, der Reihe
nach an die einzelnen Bilder herantritt, ist nicht
psychologisch, auch nicht rein ästhetisch, da sie
sich mit konventionellen Urteilen, wie leer, un-
interessant, großartig usw. begnügt, sondern
geht von äußerlich formalen Gesichtspunkten
aus, will bei jeder Arbeit entscheiden: Was
bringt das Bild künstlerisch Neues? Dabei führt
der Verfasser im Wesentlichen nur die leitenden
Gedanken weiter aus, die Wölfflin in seiner
„klassischen Kunst" in dem schönen Abschnitt
über Andrea niedergelegt hat. Er ist über-
haupt ein fanatischer Anhänger der neuen Me-
thode, die Wölfflin in die Kunstgeschichte ein-
führt und die unter den Händen seiner Schüler
so viel an Feinsinn, Prägnanz und geistreicher
Überzeugungskraft verliert. Die Analyse der
Form wird allzuweit getrieben, aufs Kleinliche,