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Monatshefte für Kunstwissenschaft
folgenden Fresken wieder. Seine Handbewegung, die rechte Hand mit der Innenseite
nach außen erhoben, kennen wir von Giottinos Arbeiten her. Die Gesichter der
Mönche mit breiter Stirn, gerader kräftiger Nase, kleinem Mund und großen Ohren,
entbehren auch nicht der Berührungspunkte mit den gewöhnlichsten Typen in Giottinos
Fresken in S. Croce, obwohl die Ähnlichkeit sich auf eine sehr allgemeine, wenig in-
dividualisierte Verwandtschaft beschränkt. — Die eigentliche Formbehandlung erscheint
äußerst summarisch, die weiten und glatten Kutten, in welche die Figuren gehüllt
sind, verdecken allen organischen Körperbau. Die Modellierung ist ein Rundgang ohne
plastische Qualitäten, die Faltenbehandlung äußerst unbedeutend und charakterlos.
Die schmalen Bildfelder, die dann an der Mittelwand zu beiden Seiten des
Fensters folgen, stellen Antonius dar, wie er den Eremiten Paulus aufsucht. Während
Antonius glaubte, daß er der erste von allen Mönchen sei, der sich in der Wüste an-
gesiedelt, wurde ihm in einem Traum die Offenbarung, daß es einen anderen gab, der
noch länger in der Wüste gewohnt habe. Er begab sich darauf auf den Weg, um
diesen älteren Eremiten aufzusuchen. Im Walde begegnete er einem Kentaur, der ihm
sagte, daß er den Weg nach rechts einschlagen sollte. Gleich hierauf begegnete er einem
Tier mit Palmenfrüchten in der Hand, das oben einem Menschen, unten einem Ziegen-
bocke ähnlich sah. Antonius bat dieses Geschöpf, um Gottes willen ihm zu sagen, was
für ein Wesen es eigentlich sei. Das Tier antwortete, es sei ein Satyr, der Gott der
Bäume, nach dem falschen Glauben der Heiden. Schließlich begegnete er einem Wolf,
der ihn zu Paulus' Zelle führte. Dieser aber, welcher ahnte, daß es Antonius war, der
da kam, verschloß seine Tür. Da bat ihn Antonius, zu öffnen unter der Versicherung,
daß er lieber auf dem Platze sterben wolle als weggehn. Paulus öffnete schließlich,
und sogleich fielen die beiden Greise einander in die Arme, von Rührung ergriffen.
Die Darstellung von Antonius und dem Satyr erhält ein gewisses Kuriositäts-
interesse durch das Motiv; ihr künstlerischer Gehalt ist aber ebenso unbedeutend wie
der der übrigen Fresken, wozu noch hinzukommt, daß das Bild übel mitgenommen ist. In
dem anderen Fresko, Antonius vor Paulus' Höhle knieend, sind es wieder in erster
Linie die beiden Greisentypen, die uns interessieren; sie gewähren einen ursprünglichen
Eindruck von dem Charakterisierungsvermögen des Künstlers. Die Gebirgslandschaft
ist etwas einheitlicher und dekorativer ausgefallen als in den übrigen Fresken. Die
Typenbildung, wie auch den ganzen Stilcharakter im übrigen, finden wir jedoch noch
klarer ausgesprochen in der folgenden breiten Komposition, die den zweiten Akt im
Beisammensein der beiden Mönche zeigt.
„Als es Mittagszeit wurde, brachte ein Rabe eine doppelte Brotportion. Antonius
versank da in Bewunderung, Paulus aber erzählte, daß Gott alle Tage auf diese Weise
ihm den Tisch decken ließ, und heute hatte er seine Gabe um des Gastes willen verdoppelt.
Es erhob sich da ein frommer Meinungsaustausch zwischen den Greisen über die Frage,
wer von ihnen würdiger sei, das Brot zu brechen; Paulus wollte die Ehre seinem
Gast abtreten und Antonius sie Paulus lassen, der der ältere war. Schließlich faßten die
beiden je mit einer Hand das Brot an und teilten es in zwei gleichgroße Hälften."1)
9 Vgl. Voragine, Legenda aurea. S. Paulus Eremita.
Monatshefte für Kunstwissenschaft
folgenden Fresken wieder. Seine Handbewegung, die rechte Hand mit der Innenseite
nach außen erhoben, kennen wir von Giottinos Arbeiten her. Die Gesichter der
Mönche mit breiter Stirn, gerader kräftiger Nase, kleinem Mund und großen Ohren,
entbehren auch nicht der Berührungspunkte mit den gewöhnlichsten Typen in Giottinos
Fresken in S. Croce, obwohl die Ähnlichkeit sich auf eine sehr allgemeine, wenig in-
dividualisierte Verwandtschaft beschränkt. — Die eigentliche Formbehandlung erscheint
äußerst summarisch, die weiten und glatten Kutten, in welche die Figuren gehüllt
sind, verdecken allen organischen Körperbau. Die Modellierung ist ein Rundgang ohne
plastische Qualitäten, die Faltenbehandlung äußerst unbedeutend und charakterlos.
Die schmalen Bildfelder, die dann an der Mittelwand zu beiden Seiten des
Fensters folgen, stellen Antonius dar, wie er den Eremiten Paulus aufsucht. Während
Antonius glaubte, daß er der erste von allen Mönchen sei, der sich in der Wüste an-
gesiedelt, wurde ihm in einem Traum die Offenbarung, daß es einen anderen gab, der
noch länger in der Wüste gewohnt habe. Er begab sich darauf auf den Weg, um
diesen älteren Eremiten aufzusuchen. Im Walde begegnete er einem Kentaur, der ihm
sagte, daß er den Weg nach rechts einschlagen sollte. Gleich hierauf begegnete er einem
Tier mit Palmenfrüchten in der Hand, das oben einem Menschen, unten einem Ziegen-
bocke ähnlich sah. Antonius bat dieses Geschöpf, um Gottes willen ihm zu sagen, was
für ein Wesen es eigentlich sei. Das Tier antwortete, es sei ein Satyr, der Gott der
Bäume, nach dem falschen Glauben der Heiden. Schließlich begegnete er einem Wolf,
der ihn zu Paulus' Zelle führte. Dieser aber, welcher ahnte, daß es Antonius war, der
da kam, verschloß seine Tür. Da bat ihn Antonius, zu öffnen unter der Versicherung,
daß er lieber auf dem Platze sterben wolle als weggehn. Paulus öffnete schließlich,
und sogleich fielen die beiden Greise einander in die Arme, von Rührung ergriffen.
Die Darstellung von Antonius und dem Satyr erhält ein gewisses Kuriositäts-
interesse durch das Motiv; ihr künstlerischer Gehalt ist aber ebenso unbedeutend wie
der der übrigen Fresken, wozu noch hinzukommt, daß das Bild übel mitgenommen ist. In
dem anderen Fresko, Antonius vor Paulus' Höhle knieend, sind es wieder in erster
Linie die beiden Greisentypen, die uns interessieren; sie gewähren einen ursprünglichen
Eindruck von dem Charakterisierungsvermögen des Künstlers. Die Gebirgslandschaft
ist etwas einheitlicher und dekorativer ausgefallen als in den übrigen Fresken. Die
Typenbildung, wie auch den ganzen Stilcharakter im übrigen, finden wir jedoch noch
klarer ausgesprochen in der folgenden breiten Komposition, die den zweiten Akt im
Beisammensein der beiden Mönche zeigt.
„Als es Mittagszeit wurde, brachte ein Rabe eine doppelte Brotportion. Antonius
versank da in Bewunderung, Paulus aber erzählte, daß Gott alle Tage auf diese Weise
ihm den Tisch decken ließ, und heute hatte er seine Gabe um des Gastes willen verdoppelt.
Es erhob sich da ein frommer Meinungsaustausch zwischen den Greisen über die Frage,
wer von ihnen würdiger sei, das Brot zu brechen; Paulus wollte die Ehre seinem
Gast abtreten und Antonius sie Paulus lassen, der der ältere war. Schließlich faßten die
beiden je mit einer Hand das Brot an und teilten es in zwei gleichgroße Hälften."1)
9 Vgl. Voragine, Legenda aurea. S. Paulus Eremita.