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Monatshefte für Kunstwissenschaft
Architekt in einer Person den denkbar höchsten Begriff aller „Virtü", des glänzendsten
künstlerischen Vermögens, welches die Renaissance überhaupt hervorgebracht hatte.
Und so erscheint sein wohlbekannter Kopf über dem Alten mit dem Diskus, schon
durch die entstellte Nase so scharf charakterisiert, daß wir Massis schon vor mehr als
hundert Jahren gegebene Identifikation ohne weiteres annehmen können.
Jeder Glaubwürdigkeit dagegen entbehrt eine andere, zuerst von Cavaceppi1) auf-
gestellte und dann von Massi wiederholte Behauptung, nach welcher dem Meißel Buonar-
rotis auch die Ausführung dieses Marmorreliefs zuzuschreiben sei. Wird diese Annahme
doch schon ohne weiteres durch den Umstand widerlegt, daß der Urheber dieses Meister-
werkes, einem alten Künstlerbrauche folgend, sich selbst auf dem Relief verewigt hat.
Man sieht seinen scharfgezeichneten Kopf mit den feinen, nachdenklichen Zügen links
in der äußersten Ecke über dem lachenden Knaben. In der erhobenen Linken hält er
die Modellfigur eines sitzenden bärtigen Mannes, auf solche Weise seine Kunst und
zugleich sich selbst als den Künstler bezeichnend, welcher das Relief geschaffen hat.
Der volle Bart, die hohe Stirn, die stark vorspringende, leicht gebogene Nase, der
etwas leidende Zug um den Mund charakterisieren diesen klugen Künstlerkopf nicht
weniger scharf als die Porträtdarstellung Michelangelos.
Wer ist dieser Mann, dem Cosimo de' Medici seine Verherrlichung aufgetragen
hatte? Wird er nicht eben jenem glänzenden Künstlerkreise angehören, der sich schnell
um den glücklichen Erben des ermordeten Alessandro geschart hatte? Muß dieses
Bildnis nicht in Vasaris bekanntem Fresko im Palazzo Vecchio wiederkehren, in dem
die Maler, Bildhauer und Architekten von Florenz, ihrem Beschützer Cosimo huldigend,
ihre Zeichnungen und Modelle zeigen? Die Beschreibung, welche wiederum Vasari
selbst von seinem Fresko gegeben hat,2) ist nicht besonders übersichtlich, aber immer-
hin werden wir aus inneren und äußeren Gründen in den beiden Männern im Vorder-
gründe des Rundgemäldes nur Vasari selbst und seinen Freund, den Bildhauer und
Architekten Bartolomeo Ammanati, erkennen können. Vasaris wohlbekannte Züge
erkennen wir in dem Mann, der, sich zum Beschauer wendend, die Zeichnung eines
Grundrisses emporhält, Ammanati aber ist der etwas ältere Mann mit dem breit-
krempigen Hut. Und dieses selbe Porträt erkennen wir wieder in eben jenem Selbst-
porträt eines Bildhauers im vatikanischen Relief. Ja, wie Vasari seinem Freunde in
dem Freskogemälde des Palazzo Vecchio einen Ehrenplatz eingeräumt hat, so scheint
Ammanati diesen Dienst im vatikanischen Relief vergolten zu haben. Vielleicht dürfen
wir Vasaris Züge in dem bärtigen Manne erkennen, welcher in der Rechten den
Diskus hält.
Immerhin bleibt die Kunst, in Gemälden und Skulpturen der Renaissance Por-
träts zu identifizieren, eine wenig dankbare, weil die Resultate selten völlig sichere
sein können. Und gerade Vasaris Fresko, in welchem alle Künstler Cosimos ziemlich
9 Die lakonische Beschreibung des Stiches bei Cavaceppi lautet: Bassorilievo bellissimo
di Michelangelo Buonarroti rappresentante Cosimo primo, che introduce le belle arti nella Tos-
cana, e ne scaccia i vizi, lungo p.mi 5, alto p.mi 3 onc 4 presso di me.
2) Ed. Milanesi VIII, 192.
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Architekt in einer Person den denkbar höchsten Begriff aller „Virtü", des glänzendsten
künstlerischen Vermögens, welches die Renaissance überhaupt hervorgebracht hatte.
Und so erscheint sein wohlbekannter Kopf über dem Alten mit dem Diskus, schon
durch die entstellte Nase so scharf charakterisiert, daß wir Massis schon vor mehr als
hundert Jahren gegebene Identifikation ohne weiteres annehmen können.
Jeder Glaubwürdigkeit dagegen entbehrt eine andere, zuerst von Cavaceppi1) auf-
gestellte und dann von Massi wiederholte Behauptung, nach welcher dem Meißel Buonar-
rotis auch die Ausführung dieses Marmorreliefs zuzuschreiben sei. Wird diese Annahme
doch schon ohne weiteres durch den Umstand widerlegt, daß der Urheber dieses Meister-
werkes, einem alten Künstlerbrauche folgend, sich selbst auf dem Relief verewigt hat.
Man sieht seinen scharfgezeichneten Kopf mit den feinen, nachdenklichen Zügen links
in der äußersten Ecke über dem lachenden Knaben. In der erhobenen Linken hält er
die Modellfigur eines sitzenden bärtigen Mannes, auf solche Weise seine Kunst und
zugleich sich selbst als den Künstler bezeichnend, welcher das Relief geschaffen hat.
Der volle Bart, die hohe Stirn, die stark vorspringende, leicht gebogene Nase, der
etwas leidende Zug um den Mund charakterisieren diesen klugen Künstlerkopf nicht
weniger scharf als die Porträtdarstellung Michelangelos.
Wer ist dieser Mann, dem Cosimo de' Medici seine Verherrlichung aufgetragen
hatte? Wird er nicht eben jenem glänzenden Künstlerkreise angehören, der sich schnell
um den glücklichen Erben des ermordeten Alessandro geschart hatte? Muß dieses
Bildnis nicht in Vasaris bekanntem Fresko im Palazzo Vecchio wiederkehren, in dem
die Maler, Bildhauer und Architekten von Florenz, ihrem Beschützer Cosimo huldigend,
ihre Zeichnungen und Modelle zeigen? Die Beschreibung, welche wiederum Vasari
selbst von seinem Fresko gegeben hat,2) ist nicht besonders übersichtlich, aber immer-
hin werden wir aus inneren und äußeren Gründen in den beiden Männern im Vorder-
gründe des Rundgemäldes nur Vasari selbst und seinen Freund, den Bildhauer und
Architekten Bartolomeo Ammanati, erkennen können. Vasaris wohlbekannte Züge
erkennen wir in dem Mann, der, sich zum Beschauer wendend, die Zeichnung eines
Grundrisses emporhält, Ammanati aber ist der etwas ältere Mann mit dem breit-
krempigen Hut. Und dieses selbe Porträt erkennen wir wieder in eben jenem Selbst-
porträt eines Bildhauers im vatikanischen Relief. Ja, wie Vasari seinem Freunde in
dem Freskogemälde des Palazzo Vecchio einen Ehrenplatz eingeräumt hat, so scheint
Ammanati diesen Dienst im vatikanischen Relief vergolten zu haben. Vielleicht dürfen
wir Vasaris Züge in dem bärtigen Manne erkennen, welcher in der Rechten den
Diskus hält.
Immerhin bleibt die Kunst, in Gemälden und Skulpturen der Renaissance Por-
träts zu identifizieren, eine wenig dankbare, weil die Resultate selten völlig sichere
sein können. Und gerade Vasaris Fresko, in welchem alle Künstler Cosimos ziemlich
9 Die lakonische Beschreibung des Stiches bei Cavaceppi lautet: Bassorilievo bellissimo
di Michelangelo Buonarroti rappresentante Cosimo primo, che introduce le belle arti nella Tos-
cana, e ne scaccia i vizi, lungo p.mi 5, alto p.mi 3 onc 4 presso di me.
2) Ed. Milanesi VIII, 192.