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Monatshefte für Kunstwissenschaft
Künstler zu eigen. Wandmalereien in Murau, die Gestalten der vierzehn Nothelfer weisen
formale Analogien auf, die darauf schließen lassen, daß wir es mit Erzeugnissen einer
autochthonen Kunstübung zu tun haben, deren Denkmäler allerdings heute sehr spär-
lich sind.
Ein datiertes Hauptstück altsteirischer Malerei gewinnt dadurch noch an Be-
deutung: das Epitaph des Ulrich Reicheneker von 1410. Die Inschrift lautet: „Anno
domini milesimo CCCC decimo obiit ulrich reicheneker feria tertia post festum margarete
hic sepultus."1)
Bei Vergleich mit den Judenburger Tafeln erscheinen die Gestalten kräftiger und
massiver. Die Typen haben im Bereich der kölnischen und fränkischen Kunst jener
Zeit wenig Analogien. Wohl aber werden wir an noch ältere Werke auf öster-
reichischem Boden erinnert: an die böhmischen Bilder auf Karlstein. Die Kreuzigung
und die Halbfiguren der Heiligen in der Kapelle weisen schon ähnliche, etwas grobe
Typen mit großen Gesichtsteilen auf. In Bezug auf Detaillierung der Körper, Bewegungs-
fähigkeit der Gliedmaßen, ist der Maler des Epitaphs aber schon weit über die Stil-
stufe der böhmischen Künstler Karls IV. hinaus. Man darf wohl sagen, daß in diesem
steirischen Bilde ganz besonders eine Fortentwickelung der Errungenschaften der böhmi-
schen Schule des XIV. Jahrhunderts und eine Verschmelzung mit neuen Stilelementen
zu erkennen sei.
Woher hat aber der Maler des Reicheneker Epitaphs die Komposition? Diese
stammt aus Oberitalien. Auf Sarkophagreliefs der Campionesen, auf den Votivbildern
des Giovanni da Milano in Mocchirolo (bei Lentate sul seveso in der Lombardei) finden
wir sie (um 1360), in Bergamo, in der Brera kehrt sie im XIV. Jahrhundert wieder,
die Veronesen Altichiero und Avanzo übernehmen sie (Votivbild der Ritter Cavalli
in S. Anastasia2). Und in einer Variante wird sie von Altichiero geradeswegs nach
Wien gebracht. Ein Fresko, das aus der Stefanskirche ins städtische Museum im Rat-
haus kam, meiner Ansicht nach von Altichiero selbst stammend, will ich hier erwähnen,
wenn dieses eine erhaltene Beispiel auch nur dazu dienen sollte, auf die regen künst-
lerischen Beziehungen, die zwischen Oberitalien und Österreich bestanden, und die sich
schon im Trecento nicht auf den Import der Bilder des Tomaso da Modena nach Karl-
stein beschränkten, hinzuweisen.
Schon die Sammlung des Johanneums gibt uns Belege dafür, daß dieses Reichen-
ekerepitaph seinem Stil nach keineswegs vereinzelt in Steiermark steht. Zwei Täfel-
chen mit der Halbfigur der schmerzhaften Maria und dem Schweißtuch der Veronika
von Engeln gehalten (Nr. 895) gehören der gleichen Richtung an, wenn sie auch etwas
später anzusetzen sein dürften.
In den Beginn des zweiten Drittels des XV. Jahrhunderts, d. h. um 1440, wäre
ich geneigt, den Martinsaltar aus S. Catarina in der Laming zu versetzen (den der Katalog
0 Eine Abbildung des Bildes gibt Frimmel „Blätter für Gemäldekunde 1907, Seite 1.
Frimmels Aufsatz beschäftigt sich mit der Form der Inschrift, der technischen Beschaffenheit des
Bildes, kaum aber mit dessen Stil.
2) Vgl. Abbildung in G. Biermann, Verona, pag. 62.
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Künstler zu eigen. Wandmalereien in Murau, die Gestalten der vierzehn Nothelfer weisen
formale Analogien auf, die darauf schließen lassen, daß wir es mit Erzeugnissen einer
autochthonen Kunstübung zu tun haben, deren Denkmäler allerdings heute sehr spär-
lich sind.
Ein datiertes Hauptstück altsteirischer Malerei gewinnt dadurch noch an Be-
deutung: das Epitaph des Ulrich Reicheneker von 1410. Die Inschrift lautet: „Anno
domini milesimo CCCC decimo obiit ulrich reicheneker feria tertia post festum margarete
hic sepultus."1)
Bei Vergleich mit den Judenburger Tafeln erscheinen die Gestalten kräftiger und
massiver. Die Typen haben im Bereich der kölnischen und fränkischen Kunst jener
Zeit wenig Analogien. Wohl aber werden wir an noch ältere Werke auf öster-
reichischem Boden erinnert: an die böhmischen Bilder auf Karlstein. Die Kreuzigung
und die Halbfiguren der Heiligen in der Kapelle weisen schon ähnliche, etwas grobe
Typen mit großen Gesichtsteilen auf. In Bezug auf Detaillierung der Körper, Bewegungs-
fähigkeit der Gliedmaßen, ist der Maler des Epitaphs aber schon weit über die Stil-
stufe der böhmischen Künstler Karls IV. hinaus. Man darf wohl sagen, daß in diesem
steirischen Bilde ganz besonders eine Fortentwickelung der Errungenschaften der böhmi-
schen Schule des XIV. Jahrhunderts und eine Verschmelzung mit neuen Stilelementen
zu erkennen sei.
Woher hat aber der Maler des Reicheneker Epitaphs die Komposition? Diese
stammt aus Oberitalien. Auf Sarkophagreliefs der Campionesen, auf den Votivbildern
des Giovanni da Milano in Mocchirolo (bei Lentate sul seveso in der Lombardei) finden
wir sie (um 1360), in Bergamo, in der Brera kehrt sie im XIV. Jahrhundert wieder,
die Veronesen Altichiero und Avanzo übernehmen sie (Votivbild der Ritter Cavalli
in S. Anastasia2). Und in einer Variante wird sie von Altichiero geradeswegs nach
Wien gebracht. Ein Fresko, das aus der Stefanskirche ins städtische Museum im Rat-
haus kam, meiner Ansicht nach von Altichiero selbst stammend, will ich hier erwähnen,
wenn dieses eine erhaltene Beispiel auch nur dazu dienen sollte, auf die regen künst-
lerischen Beziehungen, die zwischen Oberitalien und Österreich bestanden, und die sich
schon im Trecento nicht auf den Import der Bilder des Tomaso da Modena nach Karl-
stein beschränkten, hinzuweisen.
Schon die Sammlung des Johanneums gibt uns Belege dafür, daß dieses Reichen-
ekerepitaph seinem Stil nach keineswegs vereinzelt in Steiermark steht. Zwei Täfel-
chen mit der Halbfigur der schmerzhaften Maria und dem Schweißtuch der Veronika
von Engeln gehalten (Nr. 895) gehören der gleichen Richtung an, wenn sie auch etwas
später anzusetzen sein dürften.
In den Beginn des zweiten Drittels des XV. Jahrhunderts, d. h. um 1440, wäre
ich geneigt, den Martinsaltar aus S. Catarina in der Laming zu versetzen (den der Katalog
0 Eine Abbildung des Bildes gibt Frimmel „Blätter für Gemäldekunde 1907, Seite 1.
Frimmels Aufsatz beschäftigt sich mit der Form der Inschrift, der technischen Beschaffenheit des
Bildes, kaum aber mit dessen Stil.
2) Vgl. Abbildung in G. Biermann, Verona, pag. 62.