Studien und Forschungen
545
Der Bericht wendet sich dann zu den neuen
Funden auf dem Boden der hellenistisch-römi-
schen Stadt und behandelt zunächst einen zu-
sammenhängenden Gebäudekomplex in der
Löwenbucht: ein Gymnasium der hellenistischen
Zeit, eine römische Thermenanlage und einen
beiden vorgelagerten, langgestreckten Hallenbau.
Das Gymnasium wird durch die mit aufge-
fundene Stiftungsurkunde um die Mitte des
2. Jahrhunderts v. Chr. datiert, etwa dieselbe
Zeit also, der auch das Rathaus seine Ent-
stehung verdankt. Mit diesem berührt sich der
neue Bau in der Gestaltung des Propylons, das
sich nach außen mit einer Viersäulenstellung
korinthischer Odnung öffnet. Über die Form
dieser Säulen und ihrer Kapitelle, die in Zeich-
nung und plastischer Durchbildung beim Rathaus
eine so charakteristisdie Sonderart aufwiesen,
wird leider nichts mitgeteilt, auch Abbildungen
fehlen, so daß wir über diesen wichtigen Punkt
spätere Aufklärung abwarten müssen; aber die
Tatsache an sich ist vorerst schon bedeutsam
und interessant genug, daß wir hier zum zweiten
Male in Milet an einem hellenistischen Bau auf
die Verwendung der korinthischen Säule stoßen,
deren Auftreten in der hellenistischen Architektur
wenigstens des Ostens, bisher so selten beob-,
achtet werden konnte. — Der Innenraum des
Gymnasiums ist sehr einfach in der Anlage: ein
rechteckiger Hof, auf allen vier Seiten von
Säulenhallen umgeben, an der dem Tor gegen-
überliegenden Schmalseite mit einer Reihe von
Zimmern ausgestattet, deren mittelstes, größtes
sich nach dem Hofe hin in ganzer Breite, mit
zwei im Zuge der Schwelle aufgestellten Säulen
öffnet. Die Hallen des Hofes sind auf den bei-
den Langseiten und der Schmalseite am Eingang
dorischer Ordnung, in gleicher Höhe und rhyth-
mischer Reihung herumgeführt. Dieser Rhyth-
mus wird an der zweiten, dem Eingang gegen-
überliegenden Schmalseite in merkwürdiger
Weise unterbrochen: die dort vor der Zimmer-
flucht entlang laufende Säulenreihe ist ionischer
Ordnung, an den Ecken von zwei Pfeilern ein-
gefaßt, gegen die sich reditwinklig angesetzt
auch die beiden dorischen Säulenreihen der
Langseiten totlaufen, und die ionische Halle er-
hebt sich gegen die drei dorischen, eine Einheit
bildenden zu größerer Höhe empor. Dieses
Festlegen einer Richtung, die Betonung des
Abschlusses durch Schaffung eines point de vue
ist eine charakteristische Neuerscheinung im
griechischen peripteralen Hallenbau, für die mir
unter den monumentalen, öffentlichen Anlagen
ein weiteres Beispiel nicht zur Hand ist. Der
milesische Bau kann vereinzelte Erscheinung
sein, spontan entstanden aus besonderen lokalen
oder bautechnischen Bedingungen heraus. Aber
die Sache gewinnt doch ein anderes Aussehen,
wenn man das hier Angeschlagene an anderer
Stelle und in modifizierter Form weiter wirken
sieht: es ist das sogenannte „rhodische" Peri-
styl des griechisch-römischen Wohnhauses, das
sich zum unmittelbaren Vergleidi darbietet, durch
neuere Ausgrabungen in Pompeji an zwei Stellen
nachgewiesen, in der Casa delle Nozze d'argento
und der Casa degli Amorini dorati, von denen
erstere noch in die Tuffperiode, also in die
hellenistisdie Zeit Pompejis zurückgeht (vgl. die
Abbildung). Danadi gewinnt die milesische Halle
doch eine andere, eine typische, statt der isolierten
Bedeutung und stellt sich in eine Entwicklungs-
linie, gegen den Anfang hin ein, deren Verlauf
für die Zukunft genau im Auge zu behalten ist.
Rhodisdies Peristyl in der casa delle Nozze d'argento
zu Pompeji. □
Wand an Wand mit dem Gymnasium liegend
ist eine römische Thermenanlage aufgedeckt wor-
den, die nur kurz erwähnt zu werden braucht,
da wir aus dem Bau neue künstlerische Auf-
schlüsse nicht gewinnen, und gleiches gilt von
der langgestreckten ionischen Halle, die den
beiden aneinanderstoßenden Bauten als eine Art
„Blendfassade" nach Westen hin vorgelagert
war. Auch die Fortsetzung der Grabungen in
den früher schon entdeckten Faustinathermen
können aus gleichem Grunde übergangen wer-
den, nur daß wir hier einmal etwas von auf-
gefundenen Skulpturen hören. Da Abbildungen
fehlen, so ist von ihrem Kunstwert keine Vor-
stellung zu gewinnen, doch scheint dieser bei
dem Schweigen des Berichtes darüber nicht groß
zu sein. Es sind römische Arbeiten, und sie
stellen dar Asklepios mit dem kleinen Tele-
sphoros zur Seite, Hygieia und einen nackten
Heros oder Sieger von polykletischen Propor-
tionen. Da auf ein bekanntes polykletisches
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Der Bericht wendet sich dann zu den neuen
Funden auf dem Boden der hellenistisch-römi-
schen Stadt und behandelt zunächst einen zu-
sammenhängenden Gebäudekomplex in der
Löwenbucht: ein Gymnasium der hellenistischen
Zeit, eine römische Thermenanlage und einen
beiden vorgelagerten, langgestreckten Hallenbau.
Das Gymnasium wird durch die mit aufge-
fundene Stiftungsurkunde um die Mitte des
2. Jahrhunderts v. Chr. datiert, etwa dieselbe
Zeit also, der auch das Rathaus seine Ent-
stehung verdankt. Mit diesem berührt sich der
neue Bau in der Gestaltung des Propylons, das
sich nach außen mit einer Viersäulenstellung
korinthischer Odnung öffnet. Über die Form
dieser Säulen und ihrer Kapitelle, die in Zeich-
nung und plastischer Durchbildung beim Rathaus
eine so charakteristisdie Sonderart aufwiesen,
wird leider nichts mitgeteilt, auch Abbildungen
fehlen, so daß wir über diesen wichtigen Punkt
spätere Aufklärung abwarten müssen; aber die
Tatsache an sich ist vorerst schon bedeutsam
und interessant genug, daß wir hier zum zweiten
Male in Milet an einem hellenistischen Bau auf
die Verwendung der korinthischen Säule stoßen,
deren Auftreten in der hellenistischen Architektur
wenigstens des Ostens, bisher so selten beob-,
achtet werden konnte. — Der Innenraum des
Gymnasiums ist sehr einfach in der Anlage: ein
rechteckiger Hof, auf allen vier Seiten von
Säulenhallen umgeben, an der dem Tor gegen-
überliegenden Schmalseite mit einer Reihe von
Zimmern ausgestattet, deren mittelstes, größtes
sich nach dem Hofe hin in ganzer Breite, mit
zwei im Zuge der Schwelle aufgestellten Säulen
öffnet. Die Hallen des Hofes sind auf den bei-
den Langseiten und der Schmalseite am Eingang
dorischer Ordnung, in gleicher Höhe und rhyth-
mischer Reihung herumgeführt. Dieser Rhyth-
mus wird an der zweiten, dem Eingang gegen-
überliegenden Schmalseite in merkwürdiger
Weise unterbrochen: die dort vor der Zimmer-
flucht entlang laufende Säulenreihe ist ionischer
Ordnung, an den Ecken von zwei Pfeilern ein-
gefaßt, gegen die sich reditwinklig angesetzt
auch die beiden dorischen Säulenreihen der
Langseiten totlaufen, und die ionische Halle er-
hebt sich gegen die drei dorischen, eine Einheit
bildenden zu größerer Höhe empor. Dieses
Festlegen einer Richtung, die Betonung des
Abschlusses durch Schaffung eines point de vue
ist eine charakteristische Neuerscheinung im
griechischen peripteralen Hallenbau, für die mir
unter den monumentalen, öffentlichen Anlagen
ein weiteres Beispiel nicht zur Hand ist. Der
milesische Bau kann vereinzelte Erscheinung
sein, spontan entstanden aus besonderen lokalen
oder bautechnischen Bedingungen heraus. Aber
die Sache gewinnt doch ein anderes Aussehen,
wenn man das hier Angeschlagene an anderer
Stelle und in modifizierter Form weiter wirken
sieht: es ist das sogenannte „rhodische" Peri-
styl des griechisch-römischen Wohnhauses, das
sich zum unmittelbaren Vergleidi darbietet, durch
neuere Ausgrabungen in Pompeji an zwei Stellen
nachgewiesen, in der Casa delle Nozze d'argento
und der Casa degli Amorini dorati, von denen
erstere noch in die Tuffperiode, also in die
hellenistisdie Zeit Pompejis zurückgeht (vgl. die
Abbildung). Danadi gewinnt die milesische Halle
doch eine andere, eine typische, statt der isolierten
Bedeutung und stellt sich in eine Entwicklungs-
linie, gegen den Anfang hin ein, deren Verlauf
für die Zukunft genau im Auge zu behalten ist.
Rhodisdies Peristyl in der casa delle Nozze d'argento
zu Pompeji. □
Wand an Wand mit dem Gymnasium liegend
ist eine römische Thermenanlage aufgedeckt wor-
den, die nur kurz erwähnt zu werden braucht,
da wir aus dem Bau neue künstlerische Auf-
schlüsse nicht gewinnen, und gleiches gilt von
der langgestreckten ionischen Halle, die den
beiden aneinanderstoßenden Bauten als eine Art
„Blendfassade" nach Westen hin vorgelagert
war. Auch die Fortsetzung der Grabungen in
den früher schon entdeckten Faustinathermen
können aus gleichem Grunde übergangen wer-
den, nur daß wir hier einmal etwas von auf-
gefundenen Skulpturen hören. Da Abbildungen
fehlen, so ist von ihrem Kunstwert keine Vor-
stellung zu gewinnen, doch scheint dieser bei
dem Schweigen des Berichtes darüber nicht groß
zu sein. Es sind römische Arbeiten, und sie
stellen dar Asklepios mit dem kleinen Tele-
sphoros zur Seite, Hygieia und einen nackten
Heros oder Sieger von polykletischen Propor-
tionen. Da auf ein bekanntes polykletisches