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Monatshefte für Kunstwissenschaft
Motiv nicht vergleichend hingewiesen wird, so
könnte man annehmen, daß ein neuer poly-
kletischer Typus gefunden sei, und dieser Schluß
ex silentio macht den Wunsch nach genauerer
Bekanntschaft mit dieser Statue rege.
Der Bericht über die Grabungen auf dem
Stadtboden Milets schließt mit den Arbeiten auf
dem Gebiet eines Asklepios -Heiligtums, das
früher schon angeschlagen, jetzt weiter auf-
gedeckt und durchforscht worden ist. Von der
altheidnischen Anlage ist nur noch ein Torbau
übrig, der jetzt in den Baukomplex einer alt-
christlichen Basilika einbezogen erscheint. Seine
Fassade bilden vier korinthische Säulen, deren
Gebälk über dem mittleren Interkolumnium im
Halbkreisbogen ansteigt, so daß die Schenkel
des das Ganze bekrönenden Giebels daran Tan-
genten bilden. Das Motiv ist aus der spät-
römischen Architektur bekannt, u. a. vom Palast
des Diocletian in Spalato, und diese Parallel-
erscheinung paßt zu dem Ansatz des milesischen
Baues, den Knackfuß nach Beobachtungen am
Ort und Vergleich mit den Baugliedern des
letzten milesischen Theatergebäudes gleiclifalls
„etwa in diokletianische Epoche" datieren zu
müssen glaubt.
Die altchristliche Basilika ist von reich ent-
wickeltem Typus. Dem eigentlichen Kirchen-
gebäude sind Atrium und Vorhof vorgelagert
(zwischen diesen beiden steht der eben be-
schriebene spätantike Torbau), unter den Zusatz-
bauten ist ein Martyrion und ein Bapisterium
zu erkennen. In den meisten Räumen: Kirche,
Atrium und Baptisterium sind umfängliche Reste
des Mosaikenschmuckes bildlich-symbolischer
oder ornamentaler Art erhalten. In der Kirche
wird die Trennung des Mittelschiffes von den
Seitenschiffen durch „Doppelsäulen", wie der
Bericht sich ausdrückt, bewirkt. Genaueres über
die Form dieser Bauglieder wird leider nicht
mitgeteilt, gemeint sind wohl, wie man nacli
der gewählten Bezeichnung und den Eintragungen
im Grundriß annehmen möchte, pfeilerartige
Stützen von rechteckigem Querschnitt mit an
den Schmalseiten angearbeiteten Halbsäulen.
Diesen Stützentypus verzeichnet Strzygowski,
Kleinasien ein Neuland der Kunstgeschichte,
S. 179 unter den „orientalischen" Elementen der
frühchristlichen Kunst, weist ihm eine herrschende
Stellung im zentralen Kleinasien zu und behauptet,
er habe in der antiken Architektur keine typische
Parallele. Die letztere Behauptung bedarf einer
Einschränkung. Ein antikes Beispiel im Theater
von Kremna in Pisidien erwähnt Strzygowski
selbst, allein das ist spät und wie es scheint nicht
sehr bezeichnend. Viel wichtiger ist die vonStrzy-
gowski übersehene Tatsache, daß Stützen dieser
Form in sehr feiner Durchbildung bei der inneren
Ringhalle des großen Altars von Pergamon Ver-
wendung gefunden haben, und nach einer Be-
merkung von Schrammen im Textband III, 1,
S. 50 der Altertümer von Pergamon „findet
man derartige Bildungen mehrfach auf dem
Stadtberge von Pergamon." Dieses mehrfache
Vorkommen erhebt die Erscheinung aus der Ver-
einzelung heraus zum Range eines Typus, der
in der Blütezeit der hellenistischen Kunst an
einem der Mittelpunkte ihres Betriebes in Gel-
tung gestanden hat, und diese Tatsache stellt
uns zum zweiten Male der Frage gegenüber,
die oben schon angesichts der am Rathause von
Milet und der Zeichnung und technischen Aus-
führung seiner Schmuckformen an Säulen und
Friesen angestellten Beobachtungen sich auf-
drängte: ist das, was wir bei frühchristlichen
und byzantinischen Bauten an bestimmten typi-
schen Erscheinungen wahrnehmen, altes Erbgut
der hellenistischen Kunst oder frische Zufuhr
des aus dem Innern Asiens neu andrängenden
Orients? Für diesen entscheidet sich Strzygowski,
aber die Richtungslinie, die von der altchrist-
lichen Basilika in Milet aus nach Pergamon und
in die Blütezeit des Hellenismns oben festgelegt
werden konnte, drängt wieder wie früher beim
Rathause zu neuer Erwägung der aufgewiesenen
Tatsachen in dem angedeuteten großen Zu-
sammenhänge. Zu dessen Aufhellung von selten
des Hellenismus her ist ja das Beobachtungs-
material leider noch immer so beklagenswert un-
vollständig und trümmerhaft, aber jeder Tag kann
neue Aufschlüsse bringen, und deshalb läßt das,
was den alten Kulturzentren an der kleinasia-
tischen Küste in der letzten Zeit an Ergebnissen
abgerungen worden ist, den Fortschritten der
Spatenarbeit an diesen Punkten als in weitestem
Umkreise fördernd mit besonderem Interesse und
gespannter Aufmerksamkeit entgegensehen.
P. Herrmann.
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Motiv nicht vergleichend hingewiesen wird, so
könnte man annehmen, daß ein neuer poly-
kletischer Typus gefunden sei, und dieser Schluß
ex silentio macht den Wunsch nach genauerer
Bekanntschaft mit dieser Statue rege.
Der Bericht über die Grabungen auf dem
Stadtboden Milets schließt mit den Arbeiten auf
dem Gebiet eines Asklepios -Heiligtums, das
früher schon angeschlagen, jetzt weiter auf-
gedeckt und durchforscht worden ist. Von der
altheidnischen Anlage ist nur noch ein Torbau
übrig, der jetzt in den Baukomplex einer alt-
christlichen Basilika einbezogen erscheint. Seine
Fassade bilden vier korinthische Säulen, deren
Gebälk über dem mittleren Interkolumnium im
Halbkreisbogen ansteigt, so daß die Schenkel
des das Ganze bekrönenden Giebels daran Tan-
genten bilden. Das Motiv ist aus der spät-
römischen Architektur bekannt, u. a. vom Palast
des Diocletian in Spalato, und diese Parallel-
erscheinung paßt zu dem Ansatz des milesischen
Baues, den Knackfuß nach Beobachtungen am
Ort und Vergleich mit den Baugliedern des
letzten milesischen Theatergebäudes gleiclifalls
„etwa in diokletianische Epoche" datieren zu
müssen glaubt.
Die altchristliche Basilika ist von reich ent-
wickeltem Typus. Dem eigentlichen Kirchen-
gebäude sind Atrium und Vorhof vorgelagert
(zwischen diesen beiden steht der eben be-
schriebene spätantike Torbau), unter den Zusatz-
bauten ist ein Martyrion und ein Bapisterium
zu erkennen. In den meisten Räumen: Kirche,
Atrium und Baptisterium sind umfängliche Reste
des Mosaikenschmuckes bildlich-symbolischer
oder ornamentaler Art erhalten. In der Kirche
wird die Trennung des Mittelschiffes von den
Seitenschiffen durch „Doppelsäulen", wie der
Bericht sich ausdrückt, bewirkt. Genaueres über
die Form dieser Bauglieder wird leider nicht
mitgeteilt, gemeint sind wohl, wie man nacli
der gewählten Bezeichnung und den Eintragungen
im Grundriß annehmen möchte, pfeilerartige
Stützen von rechteckigem Querschnitt mit an
den Schmalseiten angearbeiteten Halbsäulen.
Diesen Stützentypus verzeichnet Strzygowski,
Kleinasien ein Neuland der Kunstgeschichte,
S. 179 unter den „orientalischen" Elementen der
frühchristlichen Kunst, weist ihm eine herrschende
Stellung im zentralen Kleinasien zu und behauptet,
er habe in der antiken Architektur keine typische
Parallele. Die letztere Behauptung bedarf einer
Einschränkung. Ein antikes Beispiel im Theater
von Kremna in Pisidien erwähnt Strzygowski
selbst, allein das ist spät und wie es scheint nicht
sehr bezeichnend. Viel wichtiger ist die vonStrzy-
gowski übersehene Tatsache, daß Stützen dieser
Form in sehr feiner Durchbildung bei der inneren
Ringhalle des großen Altars von Pergamon Ver-
wendung gefunden haben, und nach einer Be-
merkung von Schrammen im Textband III, 1,
S. 50 der Altertümer von Pergamon „findet
man derartige Bildungen mehrfach auf dem
Stadtberge von Pergamon." Dieses mehrfache
Vorkommen erhebt die Erscheinung aus der Ver-
einzelung heraus zum Range eines Typus, der
in der Blütezeit der hellenistischen Kunst an
einem der Mittelpunkte ihres Betriebes in Gel-
tung gestanden hat, und diese Tatsache stellt
uns zum zweiten Male der Frage gegenüber,
die oben schon angesichts der am Rathause von
Milet und der Zeichnung und technischen Aus-
führung seiner Schmuckformen an Säulen und
Friesen angestellten Beobachtungen sich auf-
drängte: ist das, was wir bei frühchristlichen
und byzantinischen Bauten an bestimmten typi-
schen Erscheinungen wahrnehmen, altes Erbgut
der hellenistischen Kunst oder frische Zufuhr
des aus dem Innern Asiens neu andrängenden
Orients? Für diesen entscheidet sich Strzygowski,
aber die Richtungslinie, die von der altchrist-
lichen Basilika in Milet aus nach Pergamon und
in die Blütezeit des Hellenismns oben festgelegt
werden konnte, drängt wieder wie früher beim
Rathause zu neuer Erwägung der aufgewiesenen
Tatsachen in dem angedeuteten großen Zu-
sammenhänge. Zu dessen Aufhellung von selten
des Hellenismus her ist ja das Beobachtungs-
material leider noch immer so beklagenswert un-
vollständig und trümmerhaft, aber jeder Tag kann
neue Aufschlüsse bringen, und deshalb läßt das,
was den alten Kulturzentren an der kleinasia-
tischen Küste in der letzten Zeit an Ergebnissen
abgerungen worden ist, den Fortschritten der
Spatenarbeit an diesen Punkten als in weitestem
Umkreise fördernd mit besonderem Interesse und
gespannter Aufmerksamkeit entgegensehen.
P. Herrmann.