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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 1/2
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Steinmann, Ernst: Zur Ikonographie Michelangelos
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0056

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Monatshefte für Kunstwissenschaft

Die Berechtigung solchen Lobes läßt sich an dem arg beschädigten Gemälde des
ziemlich verwahrlosten Oratoriums heute kaum noch nachweisen. [Abb.2.] Wohl aber darf
es noch für das merkwürdig gut erhaltene Porträt Michelangelos gelten, welches wir ganz
links in der Ecke unter einigen Idealgestalten entdecken.1) Wie es auch sonst ge-
schehen, hat der Maler die zertrümmerte Nase Michelangelos in der geschickt gewähl-
ten en face-Ansicht ein wenig idealisiert. Aber wer wollte hier die charaktervollen
Züge Buonarrotis verkennen? Nur der Kopf und ein kleines Stückchen violetten Ge-
wandes werden sichtbar. Nachdenklich mit jenem festen Blick unerschütterlichen Ernstes,
der ihm eigen gewesen sein muß, blickt Michelangelo den Beschauer an. Bart und
Haar sind leicht ergraut, und feine Runzeln bedecken die Stirn. Michelangelo wird
etwa sechzig Jahre alt gewesen sein, als dies Porträt gemalt wurde. Denn Baglione
berichtet ausdrücklich, daß dies Fresko das erste war, welches del Conte in San
Giovanni malte. Seine beiden späteren Gemälde hier tragen die Jahresbezeich-
nungen 1538 und 1541. Wenn nun der Künstler unter Paul III. zuerst nach Rom
kam und, wie Vasari glauben macht, zwischen der Entstehung des ersten und der
beiden späteren Fresken eine längere Pause lag, so dürfen wir annehmen, daß Michel-
angelos Porträt in S. Giovanni Decollato sehr bald nach des Meisters Rückkehr nach
Rom in den Jahren 1535 oder 1536 gemalt worden ist.
Mit dem Künstler glaubte del Conte auch seine Werke verherrlichen zu müssen.
So stellte er in der Nische eines Rundbaus, der im Hintergründe sichtbar wird, die
schöne Statue des David auf, welche heute im Bargello bewahrt wird.
Francesco Salviati, Battista Franco und Pirro Ligorio, welche mit Jacopo del
Conte in San Giovanni gemalt haben, brachten zahreiche Porträts aus der großen
Florentiner Kolonie in Rom in diesen Fresken an. Aber Michelangelo, der berühmteste
unter den Florentinern in Rom, ist auch der erste gewesen, der hier porträtiert wurde.
Denn Jacopo del Conte hat die Freskenreihe hier gleich rechts neben dem Hochaltar
begonnen und Michelangelo den Ehrenplatz gleich neben der Altarwand eingeräumt.
Ein festes persönliches Band hat überdies den großen Buonarroti fünfzig Jahre lang
mit der Brüderschaft von San Giovanni Decollato verbunden, die ebenso wie die berühmte
Florentiner Gemeinschaft den Namen der Misericordia führte, weil es den Brüdern ob-
lag, Verbrechern vor ihrer Hinrichtung Trost zu spenden. Über Michelangelos Tod und
Begräbnis in Rom besitzen wir folgende Notiz2): „Sonnabend, den 19. Februar 1564,
starb Michelangelo Buonarroti. Er hatte seit dem Jahre 1514 der Bruderschaft von
S. Giovanni Decollato angehört, und so wurden die Brüder herbeigerufen, seinen Leich-
nam zu begleiten. Mit großen Ehren wurde er in der ersten Stunde der Nacht in die
Kirche von SS. Apostoli getragen."

9 Eine bessere Publikation dieses Porträts, als sie hier gegeben werden konnte, muß ich
mir für später vorbehalten. Die Reproduktion des ganzen Fresko, wie es hier gegeben ist,
wurde mir von Herrn Ingenieur Gargiolli aufs freundlichste gestattet. Über eine Porträtdarstellung
Michelangelos von Alessandro Allori in der Kapelle Montäguti in der Annunziata in Florenz
vgl. Vasari ed Milanesi VII, 607 Anm. 7.
, Publiziert u. a. von Th. Schreiber in der Festgabe für Anton Springer. Leipzig 1885 p. 109.
 
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