Literatur
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früheren Partien manche Zuweisung nicht hin-
reichend stark begründet, so geht in dieser
Konstruktion seines jungen Wechtlin Röttinger
ganz entschieden zu weit. Die Beziehungen der
drei Illustrationsgruppen zueinander sind wohl-
bekannt und nicht in Abrede zu stellen. Aber
es ist nicht möglich, einen Urheber für alle
drei anzunehmen. Trotz mancher stilistischer
Übereinstimmungen läßt es sich nicht hin-
reichend wahrscheinlich machen, daß der Meister
des Ulmer Terenz die Schnitte des Koberger-
sehen Passionale entworfen habe, wie auch
Kristeller annimmt, und ebensowenig ist der
bedeutende Meister der Nürnberger Illustrationen
mit dem liebenswürdigen Künstler zu verwech-
seln, der die in leichtem Plauderton erzählenden
Bildchen zum Basler Terenz gezeichnet hat.
Dürer heißt dieser nicht. Ebensowenig wie ein
Anteil Dürers an der Nürnberger Illustrationen-
gruppe zu erweisen ist, wie Weisbach dies
wollte. Aber auch Wechtlin kann es nicht sein'
nach allem, was wir von diesem sicher wissen.
Die Übereinstimmungen, die Röttinger zwischen
der Reihe seiner ersten Zuschreibungen und den
Basler Blättern namhaft macht, überzeugen nicht,
und die nochmalige Konfrontierung dieser mit
dem gesamten übrigen Material zeigt uns, daß
auch hier noch nicht alle Gruppen sicher zu
einem Ganzen verwoben sind.
So wird die Konstruktion des Röttingerschen
Wechtlin in dieser ersten Form, die der Verf.
selbst als eine vorläufige gibt, gewiß nicht von
Bestand sein. Aber es ist zu begrüßen, daß
eine Reihe schwebender Fragen durch die Schrift
neu in Fluß gebracht ist. Daß auf die Zu-
schreibungen an Dürer, die noch immer nicht
ihr Ende erreicht haben, energische Abstreidiungen
zu folgen haben, ist ein gewiß richtiger Gedanke,
der Röttinger geleitet hat, denn nicht jedes
Blatt, das Dürers Monogramm trägt oder nur
oberflächliche Beziehungen zu dessen gesicherten
Werken aufweist, muß auch dem Meister selbst,
dessen Ruhm und Einfluß so weit reichten, an-
gehören. Bei allen Zuweisungen auf Grund
stilkritischer Erwägungen ist aber auch daran
zu denken, daß in jeder Kunstepoche mehr
Künstler tätig waren als die wenigen, deren
Namen uns geläufig geblieben sind. In der
Zahl seiner Zuweisungen an Wechtlin hat Röt-
tinger diesen Grundsatz oft außer Augen ge-
lassen. So ist das positive Ergebnis seiner
Untersuchungen in vielen Punkten anfechtbar,
und sein Wechtlin wird es sich wohl gefallen
lassen müssen, wieder in eine Reihe von
Künstlerpersönlichkeiten aufgelöst zu werden.
Anders das negative Ergebnis: die Reinigung
des Dürerwerkes, die durch die vorläufige Auf-
stellung eines Werkstattgenossen gelang, wird
sicher in sehr vielen Punkten zu Recht bestehen
bleiben. Curt Glaser.
€
Schmid, H. A., Die Gemälde und Zeich-
nungen von Matthias Grünewald. Straß-
burg 1907. Verlag von W. Heinrich. Preis M. 60.—.
Es ist oft darüber geklagt worden, daß die
Werke der altdeutschen Malerei nicht in dem
Maße bekannt und wertgeschätzt sind, als sie
es wohl verdienen. Der Grund dafür liegt nicht
nur darin, daß sehr viele der bedeutendsten
Werke sich in schwer erreichbaren Dorfkirdien
oder kleineren Sammlungen befinden sondern
auch besonders in dem damit eng verbundenen
Mangel an genügendem Reproduktionsmaterial.
Der Kunstfreund kann sich oft von den Werken
der bedeutendsten alten Künstler keine Ab-
bildungen verschaffen und es existieren noch
heute nicht wenige Meisterwerke, die nur einem
ganz kleinen Teil von Spezialforschern bekannt,
der Allgemeinheit aber nahezu vollkommen ver-
borgen geblieben sind. So stand es bis jetzt
auch noch mit den meisten Werken Matthias
Grünewalds, dessen künstlerisches Erbe, Jahr-
hunderte hindurch der Zerstörung preisgegeben,
auch in unsererZeit noch das Schicksal erlitten hat,
der verwirrenden Urteilslosigkeit Unberufener
ausgeliefert zu sein. Vor kurzem hat nun ein Be-
rufener, der bekannte Grünewaldforscher Pro-
fessor H. A. Schmid eine große, geschmackvoll
ausgestattete Mappe herausgegeben, die die
Werke des großen Künstlers, in außerordentlich
gut gelungenen Reproduktionen gesammelt ent-
hält. Sie besteht aus 62 Lichtdrucktafeln in Groß-
folioformat, von denen eine große Anzahl auf
Detail-Reproduktionen fällt, und gestattet dem
Beschauer einen guten Einblick in die Kunst des
Meisters.
Die Mappe bringt zuerst in chronologischer
Anordnung sämtliche unzweifelhaft echten Werke
Grünewalds mit einziger Ausnahme des erst nach
ihrem Erscheinen entdeckten Bildes in Stuppadi
(vgl.Heft 5), das aber dem in Kürze nachfolgenden
Textband, beigegeben werden soll. Die dirono-
logische Anordnung, die Professor Schmid gibt,
ist durchaus überzeugend. An den Anfang der
Tätigkeit Grünewalds stellt er, ohne sich durch
die haltlosen Hypothesen Bocks über die Jugend
Grünewalds beirren zu lassen, als erstes sicheres
Werk die kleine Kreuzigung in Basel, die man
mit Unrecht bisweilen für das Werk eines Nach-
ahmers ausgeben hört, obwohl doch allein schon
die Form der Rüstung des Kriegers auf eine
Zeit weist, in der von Nachahmern oder Schülern
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früheren Partien manche Zuweisung nicht hin-
reichend stark begründet, so geht in dieser
Konstruktion seines jungen Wechtlin Röttinger
ganz entschieden zu weit. Die Beziehungen der
drei Illustrationsgruppen zueinander sind wohl-
bekannt und nicht in Abrede zu stellen. Aber
es ist nicht möglich, einen Urheber für alle
drei anzunehmen. Trotz mancher stilistischer
Übereinstimmungen läßt es sich nicht hin-
reichend wahrscheinlich machen, daß der Meister
des Ulmer Terenz die Schnitte des Koberger-
sehen Passionale entworfen habe, wie auch
Kristeller annimmt, und ebensowenig ist der
bedeutende Meister der Nürnberger Illustrationen
mit dem liebenswürdigen Künstler zu verwech-
seln, der die in leichtem Plauderton erzählenden
Bildchen zum Basler Terenz gezeichnet hat.
Dürer heißt dieser nicht. Ebensowenig wie ein
Anteil Dürers an der Nürnberger Illustrationen-
gruppe zu erweisen ist, wie Weisbach dies
wollte. Aber auch Wechtlin kann es nicht sein'
nach allem, was wir von diesem sicher wissen.
Die Übereinstimmungen, die Röttinger zwischen
der Reihe seiner ersten Zuschreibungen und den
Basler Blättern namhaft macht, überzeugen nicht,
und die nochmalige Konfrontierung dieser mit
dem gesamten übrigen Material zeigt uns, daß
auch hier noch nicht alle Gruppen sicher zu
einem Ganzen verwoben sind.
So wird die Konstruktion des Röttingerschen
Wechtlin in dieser ersten Form, die der Verf.
selbst als eine vorläufige gibt, gewiß nicht von
Bestand sein. Aber es ist zu begrüßen, daß
eine Reihe schwebender Fragen durch die Schrift
neu in Fluß gebracht ist. Daß auf die Zu-
schreibungen an Dürer, die noch immer nicht
ihr Ende erreicht haben, energische Abstreidiungen
zu folgen haben, ist ein gewiß richtiger Gedanke,
der Röttinger geleitet hat, denn nicht jedes
Blatt, das Dürers Monogramm trägt oder nur
oberflächliche Beziehungen zu dessen gesicherten
Werken aufweist, muß auch dem Meister selbst,
dessen Ruhm und Einfluß so weit reichten, an-
gehören. Bei allen Zuweisungen auf Grund
stilkritischer Erwägungen ist aber auch daran
zu denken, daß in jeder Kunstepoche mehr
Künstler tätig waren als die wenigen, deren
Namen uns geläufig geblieben sind. In der
Zahl seiner Zuweisungen an Wechtlin hat Röt-
tinger diesen Grundsatz oft außer Augen ge-
lassen. So ist das positive Ergebnis seiner
Untersuchungen in vielen Punkten anfechtbar,
und sein Wechtlin wird es sich wohl gefallen
lassen müssen, wieder in eine Reihe von
Künstlerpersönlichkeiten aufgelöst zu werden.
Anders das negative Ergebnis: die Reinigung
des Dürerwerkes, die durch die vorläufige Auf-
stellung eines Werkstattgenossen gelang, wird
sicher in sehr vielen Punkten zu Recht bestehen
bleiben. Curt Glaser.
€
Schmid, H. A., Die Gemälde und Zeich-
nungen von Matthias Grünewald. Straß-
burg 1907. Verlag von W. Heinrich. Preis M. 60.—.
Es ist oft darüber geklagt worden, daß die
Werke der altdeutschen Malerei nicht in dem
Maße bekannt und wertgeschätzt sind, als sie
es wohl verdienen. Der Grund dafür liegt nicht
nur darin, daß sehr viele der bedeutendsten
Werke sich in schwer erreichbaren Dorfkirdien
oder kleineren Sammlungen befinden sondern
auch besonders in dem damit eng verbundenen
Mangel an genügendem Reproduktionsmaterial.
Der Kunstfreund kann sich oft von den Werken
der bedeutendsten alten Künstler keine Ab-
bildungen verschaffen und es existieren noch
heute nicht wenige Meisterwerke, die nur einem
ganz kleinen Teil von Spezialforschern bekannt,
der Allgemeinheit aber nahezu vollkommen ver-
borgen geblieben sind. So stand es bis jetzt
auch noch mit den meisten Werken Matthias
Grünewalds, dessen künstlerisches Erbe, Jahr-
hunderte hindurch der Zerstörung preisgegeben,
auch in unsererZeit noch das Schicksal erlitten hat,
der verwirrenden Urteilslosigkeit Unberufener
ausgeliefert zu sein. Vor kurzem hat nun ein Be-
rufener, der bekannte Grünewaldforscher Pro-
fessor H. A. Schmid eine große, geschmackvoll
ausgestattete Mappe herausgegeben, die die
Werke des großen Künstlers, in außerordentlich
gut gelungenen Reproduktionen gesammelt ent-
hält. Sie besteht aus 62 Lichtdrucktafeln in Groß-
folioformat, von denen eine große Anzahl auf
Detail-Reproduktionen fällt, und gestattet dem
Beschauer einen guten Einblick in die Kunst des
Meisters.
Die Mappe bringt zuerst in chronologischer
Anordnung sämtliche unzweifelhaft echten Werke
Grünewalds mit einziger Ausnahme des erst nach
ihrem Erscheinen entdeckten Bildes in Stuppadi
(vgl.Heft 5), das aber dem in Kürze nachfolgenden
Textband, beigegeben werden soll. Die dirono-
logische Anordnung, die Professor Schmid gibt,
ist durchaus überzeugend. An den Anfang der
Tätigkeit Grünewalds stellt er, ohne sich durch
die haltlosen Hypothesen Bocks über die Jugend
Grünewalds beirren zu lassen, als erstes sicheres
Werk die kleine Kreuzigung in Basel, die man
mit Unrecht bisweilen für das Werk eines Nach-
ahmers ausgeben hört, obwohl doch allein schon
die Form der Rüstung des Kriegers auf eine
Zeit weist, in der von Nachahmern oder Schülern