Literatur
569
Paul Mebes, Um 1800, Architektur und
Handwerk im letzten Jahrhundert ihrer traditio-
nellen Entwicklung. F. Bruckmann A.-G., München
1908. Bd. I: Straßenbilder, öffentliche Gebäude
und Wohnhäuser, Kirchen und Kapellen, Frei-
treppen, Haustüren, eiserne Gitter, Denkmäler.
Eine solche Publikation bedarf nicht vieler
empfehlender Worte; sie wird sicherlich von
selbst unter den Architekten, Handwerkern und
Freunden der Baukunst außerordentliche Ver-
breitung finden. Ein solches Werk wurde von
der künstlerischen Zeitstimmung — im guten
Sinne — wie kaum ein Zweites gefordert.
Unsere Zeit steht im Begriff, eine neue Baukunst
zu erschaffen, eine wirkliche Baukunst zum
erstenmal seit 100 Jahren. Die Gewißheit hier-
von verbreitete sich in den allerletzten Jahren,
als die Künstler, nach anfänglichem Umher-
schwanken im Traditionslosen, anfingen, auf
das letzte Stadium der bodenständigen deutschen
Baukunst, das bis etwa 1810 oder 20 dauerte,
zurückzugreifen.
Und da wird uns denn ganz wunderbar zu
Mute, wenn wir die vorliegende Veröffent-
lichung durchblättern: es ist, als wären die ver-
flossenen 100 Jahre der historischen Bauweise,
wie sie Schinkel und Klenze einleiteten, nur ein
Traum gewesen, ein Schlaf: so modern, so
lebendig erscheint uns das vor 100 Jahren von
den Urgroßvätern Geschaffene; keine historische
Empfindung, keine Modelaune hat uns ergriffen,
sondern das in jener Zeit wirksame Natur-
gefühl, das wir wieder zu gewinnen im Begriffe
sind!
Die über 200 prachtvollen Abbildungen in
Autotypie bringen Beispiele vorwiegend bürger-
licher Baukunst aus allen deutschen Landschaften,
aus Holland, der Schweiz und Dänemark. Als
wichtigste Gruppen seien herausgegriffen: der
Schieferbau des bergischen Landes, der durch
die Publikation von Fülle, Barmen 1907, allge-
mein bekannt geworden ist; der Backsteinbau
Hollands, Kopenhagens und des Münsterlandes;
der rheinische Putzbau (Aachen, Crefeld, Düssel-
dorf); Rokoko und Zopf der geistlichen Fürsten-
sitze Trier, Bonn, Würzburg; die großartige
Blüte der städtischen Baukunst Sachsens im
18. Jahrhundert: Leipzig und Dresden; die Re-
sidenzen Mannheim und Karlsruhe; Hamburg;
Frankfurt und Weimar zur Zeit Goethes. End-
lich die Berliner Architektur unter Friedrich
Wilhelm II. (1786—97) und in den ersten Jahren
Friedrich Wilhelms III. Hier wirkten bedeutende
Künstler: Langhans d. Ä., Becherer, Genz und
der geniale Gilly. Damals fing Berlin an, gleich-
zeitig mit der Verschmelzung der vielen neuen
Provinzen zu einer preußischen Monarchie auf
die Baukunst Norddeutschlands den weitesten
Einfluß zu gewinnen. Diese Berliner Architektur
um 1800 mit strengen, klaren Verhältnissen und
größter Schmucklosigkeit, voll monumentaler
Kraft, ergreift unser modernes Gefühl am
stärksten. Um so bemerkenswerter ist es, daß
jetzt wiederum Berlin mit Messel, Br. Paul,
Behrens und Geßner die Führung in der Archi-
tektur übernimmt; jene vier Meister schließen
sich bewußt und gefühlmäßig an die ältere
Kunst an. Wenn wir neben diese herrliche
Publikation noch das Bruckmannsche Opus über
die Jahrhundertausstellung halten: müssen wir
dann nicht das höchste Selbstvertrauen zurück-
gewinnen und sprechen: vor hundert, ja vor
70 Jahren gab es eine Kunst aus deutschem Boden
und aus deutscher Seele? Warum soll sie nicht
wiederkehren?
In der Ausstattung bedeutet dies Werk noch
einen Fortschritt über das Jahrhundertsaus-
stellungswerk hinaus.
Hermann Schmitz (Berlin).
^
Wilhelm Trübner und sein Werk. 124 Re-
produktionen mit Text von Georg Fuchs.
München und Leipzig bei Georg Müller 1908.
40, 123 Seiten. Preis 18 M., geb. 23 M.
Ein Buch, an dem man sich freuen darf, weil
den besprochenen Meister und seinen Herold
manche Ähnlichkeitszüge verbinden. Differen-
ziertes Naturburschentum wäre vielleicht die
Formel für beide. Den in breiten quadratischen
Flecken hinsetzenden Vortrag Trübners hat ja
auch Fuchs als Kunstsdireiber. Diesmal wird
man ihm fast ohne Umwenden folgen können:
der allzu temperamentvolle Propagandist der
„Deutschen Form" hat sich hier zu einer schö-
nen, kraftvollen Ruhe hindurchgefunden, die nur
selten einmal durch den schrillen Klang einer
überkühnen Behauptung unterbrochen wird.
Bunt und klar ist gleich das erste Kapitel über
das Heidelberg der Biedermeierzeit, lesenswert
die Hinweise auf Thoma's Beziehungen zu Cour-
bet, gerecht abgewogen die Vergleiche mit Leibl
und Manet. Nicht ganz kann ich mich mit der
sehr hohen Einschätzung des allerletzten Trüb-
ner einverstanden erklären, der bei aller grund-
soliden und heute so seltenen Formkraft mir
doch gegenüber dem prachtvollen Blühen der
siebziger Jahre etwas vornehm erstarrendes
hat. Die an den Schluß gestellten „Glossen zu
den Hauptwerken" geben die Farbeneindrücke
oft überraschend glücklich wieder und legen
569
Paul Mebes, Um 1800, Architektur und
Handwerk im letzten Jahrhundert ihrer traditio-
nellen Entwicklung. F. Bruckmann A.-G., München
1908. Bd. I: Straßenbilder, öffentliche Gebäude
und Wohnhäuser, Kirchen und Kapellen, Frei-
treppen, Haustüren, eiserne Gitter, Denkmäler.
Eine solche Publikation bedarf nicht vieler
empfehlender Worte; sie wird sicherlich von
selbst unter den Architekten, Handwerkern und
Freunden der Baukunst außerordentliche Ver-
breitung finden. Ein solches Werk wurde von
der künstlerischen Zeitstimmung — im guten
Sinne — wie kaum ein Zweites gefordert.
Unsere Zeit steht im Begriff, eine neue Baukunst
zu erschaffen, eine wirkliche Baukunst zum
erstenmal seit 100 Jahren. Die Gewißheit hier-
von verbreitete sich in den allerletzten Jahren,
als die Künstler, nach anfänglichem Umher-
schwanken im Traditionslosen, anfingen, auf
das letzte Stadium der bodenständigen deutschen
Baukunst, das bis etwa 1810 oder 20 dauerte,
zurückzugreifen.
Und da wird uns denn ganz wunderbar zu
Mute, wenn wir die vorliegende Veröffent-
lichung durchblättern: es ist, als wären die ver-
flossenen 100 Jahre der historischen Bauweise,
wie sie Schinkel und Klenze einleiteten, nur ein
Traum gewesen, ein Schlaf: so modern, so
lebendig erscheint uns das vor 100 Jahren von
den Urgroßvätern Geschaffene; keine historische
Empfindung, keine Modelaune hat uns ergriffen,
sondern das in jener Zeit wirksame Natur-
gefühl, das wir wieder zu gewinnen im Begriffe
sind!
Die über 200 prachtvollen Abbildungen in
Autotypie bringen Beispiele vorwiegend bürger-
licher Baukunst aus allen deutschen Landschaften,
aus Holland, der Schweiz und Dänemark. Als
wichtigste Gruppen seien herausgegriffen: der
Schieferbau des bergischen Landes, der durch
die Publikation von Fülle, Barmen 1907, allge-
mein bekannt geworden ist; der Backsteinbau
Hollands, Kopenhagens und des Münsterlandes;
der rheinische Putzbau (Aachen, Crefeld, Düssel-
dorf); Rokoko und Zopf der geistlichen Fürsten-
sitze Trier, Bonn, Würzburg; die großartige
Blüte der städtischen Baukunst Sachsens im
18. Jahrhundert: Leipzig und Dresden; die Re-
sidenzen Mannheim und Karlsruhe; Hamburg;
Frankfurt und Weimar zur Zeit Goethes. End-
lich die Berliner Architektur unter Friedrich
Wilhelm II. (1786—97) und in den ersten Jahren
Friedrich Wilhelms III. Hier wirkten bedeutende
Künstler: Langhans d. Ä., Becherer, Genz und
der geniale Gilly. Damals fing Berlin an, gleich-
zeitig mit der Verschmelzung der vielen neuen
Provinzen zu einer preußischen Monarchie auf
die Baukunst Norddeutschlands den weitesten
Einfluß zu gewinnen. Diese Berliner Architektur
um 1800 mit strengen, klaren Verhältnissen und
größter Schmucklosigkeit, voll monumentaler
Kraft, ergreift unser modernes Gefühl am
stärksten. Um so bemerkenswerter ist es, daß
jetzt wiederum Berlin mit Messel, Br. Paul,
Behrens und Geßner die Führung in der Archi-
tektur übernimmt; jene vier Meister schließen
sich bewußt und gefühlmäßig an die ältere
Kunst an. Wenn wir neben diese herrliche
Publikation noch das Bruckmannsche Opus über
die Jahrhundertausstellung halten: müssen wir
dann nicht das höchste Selbstvertrauen zurück-
gewinnen und sprechen: vor hundert, ja vor
70 Jahren gab es eine Kunst aus deutschem Boden
und aus deutscher Seele? Warum soll sie nicht
wiederkehren?
In der Ausstattung bedeutet dies Werk noch
einen Fortschritt über das Jahrhundertsaus-
stellungswerk hinaus.
Hermann Schmitz (Berlin).
^
Wilhelm Trübner und sein Werk. 124 Re-
produktionen mit Text von Georg Fuchs.
München und Leipzig bei Georg Müller 1908.
40, 123 Seiten. Preis 18 M., geb. 23 M.
Ein Buch, an dem man sich freuen darf, weil
den besprochenen Meister und seinen Herold
manche Ähnlichkeitszüge verbinden. Differen-
ziertes Naturburschentum wäre vielleicht die
Formel für beide. Den in breiten quadratischen
Flecken hinsetzenden Vortrag Trübners hat ja
auch Fuchs als Kunstsdireiber. Diesmal wird
man ihm fast ohne Umwenden folgen können:
der allzu temperamentvolle Propagandist der
„Deutschen Form" hat sich hier zu einer schö-
nen, kraftvollen Ruhe hindurchgefunden, die nur
selten einmal durch den schrillen Klang einer
überkühnen Behauptung unterbrochen wird.
Bunt und klar ist gleich das erste Kapitel über
das Heidelberg der Biedermeierzeit, lesenswert
die Hinweise auf Thoma's Beziehungen zu Cour-
bet, gerecht abgewogen die Vergleiche mit Leibl
und Manet. Nicht ganz kann ich mich mit der
sehr hohen Einschätzung des allerletzten Trüb-
ner einverstanden erklären, der bei aller grund-
soliden und heute so seltenen Formkraft mir
doch gegenüber dem prachtvollen Blühen der
siebziger Jahre etwas vornehm erstarrendes
hat. Die an den Schluß gestellten „Glossen zu
den Hauptwerken" geben die Farbeneindrücke
oft überraschend glücklich wieder und legen