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Monatshefte ffir Kunstwissenschaft
Stoffes voraus. Mit Geschick hat Schütte dabei
das Ermüdende, Eintönige solcher Analysen ver-
mieden und oft werden uns wie z. B. bei der
Besprechung des Bilderkreises kunst- und kultur-
geschichtlich interessante Ausblicke eröffnet. Es
erscheinen überhaupt die Kapitelüberschriften
vielfach zu knapp und zu eng gegriffen im Ver-
hältnis zu dem Gebotenen, so besonders in dem
Abschnitt über die Polychromie, der unter anderem
auch die Frage über die Arbeitsteilung und das
Verhältnis von Maler und Bildhauer eingehend
behandelt. Für die Strigel- und Multscher-
forschung sind hier mannigfache beachtenswerte
Winke gegeben. Das Gleiche gilt für den Ab-
schnitt „Lokalschulen", der uns zugleich mit
dem „Nachtrag" eine ruhige klare Studie über
den Schnitzer Multscher gibt, dessen Lebens-
werk uns durch den Schmerzensmann von 1429
am Ulmer Münster und fünf Statuen vom Rat-
haus dortselbst in glaubhafter Weise bereichert
wird. Das Kapitel „Lokalschulen" zählt über-
haupt zu dem Besten, was über schwäbische
Plastik bis jetzt geschrieben wurde und dürfte
für den Ausbau einer Geschichte derselben, zu-
mal der Holzbildnerei als die wichtigste Grund-
lage zu betrachten sein. Für diesen Zweck
steuert auch ein sehr sorgfältiges und umfang-
reiches Verzeichnis der schwäbischen Schnitz-
altäre im Bereich des alten Schwabens wert-
volles Material bei. Vor allem dankenswert
erscheint hier die eingehende Beschreibung der
einzelnen Objekte und die ausführliche Literatur-
angabe.
Mit Schütte's Buch haben wir zweifellos ein
Nachschlagewerk, ein „Handbuch" von bleiben-
dem Wert erhalten. Ich verspreche mir von ihm
namentlich auch für die Geschichte der Plastik
der Nachbarländer Schwabens großen Erfolg,
insoferne als dadurch die Möglichkeit einer Ver-
gleichung nicht mehr von Einzelobjekten ab-
hängig sein wird, und die Grenzen, namentlich
die schwäbisch- fränkischen und schwäbisch-
bayerischen, sich klarer ziehen lassen werden.
Nicht minder schätzbar als die wissenschaftliche
Verarbeitung des großen, weit verstreuten Ma-
terials ist die reiche Sammlung von Abbildungen
(82 Lichtdrucktafeln), die in eigner Mappe dem
Textband beigegeben sind. Man wird bei dieser
Fülle des vielfach noch unveröffentlichten Ma-
terials über manche weniger gelungene Tafeln
ohne Tadel hinwegsehen müssen in Anbetracht
dessen, daß die Aufnahmen oft unter erschweren-
den örtlichen Umständen gefertigt werden
mußten. Unliebsam aber vermißte ich einen
engeren Zusammenhang zwischen Textband und
Abbildungsmappe; hier hätte durch wechsel-
seitigen Hinweis die praktische Benützung beider
wesentlich erhöht werden können.Das Verzeichnis
im Textband erfüllt nicht hinreichend den beab-
sichtigten Zweck; zum mindesten hätten in dem
großen Verzeichnis der Altäre die Nummern der
betreffenden Tafeln beigesetzt werden sollen.
Hat man sich aber einmal der Mühe unterzogen,
Text und Abbildungen durch Angabe der Tafel-
nummern bezw. Seitenzahlen gegenseitig zu er-
gänzen, so schätzt man die Brauchbarkeit und
den Wert des tüchtigen und dankenswerten
Werkes um so mehr und würdigt die ernste
Arbeit, die es gestaltete, erst in ihrem vollen
Umfang. Dr. Philipp Maria Halm.
g
P. Eichholz. Das älteste deutsche
Wohnhaus, ein Steinbau des 9. Jahrh.
(Studien zur deutschen Kunstgesch. 84). 50 S.
8° mit 46 Abb. Straßburg, Heitz. 1907. M.4.—.
Obwohl über dieses unscheinbare „graue Haus
in Winkel" schon eine ganze Literatur erwachsen
ist, so war doch über die Zeitstellung noch keine
Einigkeit erzielt. Die meisten Forscher sprachen
sich gegen karolingischen Ursprung und die
Verbindung mit Rabanus Maurus aus. Eichholz
sucht beides mit schwer wiegenden Gründen zu
beweisen. Er packt insofern den Stier gleich
bei den Hörnern, als er die kleinen, monolithen
Fensterdien, wovon eins ein Teilungssäulchen
mit Würfelkapitell hat, als ursprünglich (Mitte
9. Jahrh.) erklärt, ebenso die beiden Türstürze
mit dem Flachgiebelornament, einen Kamin-
sturz mit Stabwerk und Rosetten, den Ziegel-
durchschuß der gewölbten Öffnungen und sogar
die Eichenholzsäule des Unterzugs. Wirklidi
überraschend sind die guten Beobachtungen da-
hin deutend, daß das Häuschen ursprünglich nur
die größere Nordhälfte mit der Kapelle (und
eine Freitreppe) umfaßte, in der Rekonstruktion ein
malerisch gruppiertes Refugium für einen Gelehr-
ten wie Rabanus. Denn auf diesen führen neben
der Überlieferung die Kreuze am Kapellentürsturz
und an dem einen Fenster, die ganz den Kreuz-
spielereien in seiner Schrift „de laude sanctae
crucis" entsprechen. Er hätte es 847 kurz nach
seiner Wahl zum Erzbischof von Mainz erbaut,
in den nächsten Jahren schon um die Südhälfte
erweitert und bei der Hungersnot 850 die Küche
vorgelegt. Selbst die Bärenköpfe ließen sich
aus seiner Schrift „de universo" in Anschluß an
die Eliasbären (II. Kön. 2. 23) „als Abwehr gegen
schmähsüchtige Feinde" erklären. Hat der Verf.
der Versuchung des Zuvielbeweisens nicht hin-
reichend widerstanden, so sind seine faktischen
Beobachtungen doch sehr wertvoll und begründen
den lebhaften Wunsch nach einer neuen und
Monatshefte ffir Kunstwissenschaft
Stoffes voraus. Mit Geschick hat Schütte dabei
das Ermüdende, Eintönige solcher Analysen ver-
mieden und oft werden uns wie z. B. bei der
Besprechung des Bilderkreises kunst- und kultur-
geschichtlich interessante Ausblicke eröffnet. Es
erscheinen überhaupt die Kapitelüberschriften
vielfach zu knapp und zu eng gegriffen im Ver-
hältnis zu dem Gebotenen, so besonders in dem
Abschnitt über die Polychromie, der unter anderem
auch die Frage über die Arbeitsteilung und das
Verhältnis von Maler und Bildhauer eingehend
behandelt. Für die Strigel- und Multscher-
forschung sind hier mannigfache beachtenswerte
Winke gegeben. Das Gleiche gilt für den Ab-
schnitt „Lokalschulen", der uns zugleich mit
dem „Nachtrag" eine ruhige klare Studie über
den Schnitzer Multscher gibt, dessen Lebens-
werk uns durch den Schmerzensmann von 1429
am Ulmer Münster und fünf Statuen vom Rat-
haus dortselbst in glaubhafter Weise bereichert
wird. Das Kapitel „Lokalschulen" zählt über-
haupt zu dem Besten, was über schwäbische
Plastik bis jetzt geschrieben wurde und dürfte
für den Ausbau einer Geschichte derselben, zu-
mal der Holzbildnerei als die wichtigste Grund-
lage zu betrachten sein. Für diesen Zweck
steuert auch ein sehr sorgfältiges und umfang-
reiches Verzeichnis der schwäbischen Schnitz-
altäre im Bereich des alten Schwabens wert-
volles Material bei. Vor allem dankenswert
erscheint hier die eingehende Beschreibung der
einzelnen Objekte und die ausführliche Literatur-
angabe.
Mit Schütte's Buch haben wir zweifellos ein
Nachschlagewerk, ein „Handbuch" von bleiben-
dem Wert erhalten. Ich verspreche mir von ihm
namentlich auch für die Geschichte der Plastik
der Nachbarländer Schwabens großen Erfolg,
insoferne als dadurch die Möglichkeit einer Ver-
gleichung nicht mehr von Einzelobjekten ab-
hängig sein wird, und die Grenzen, namentlich
die schwäbisch- fränkischen und schwäbisch-
bayerischen, sich klarer ziehen lassen werden.
Nicht minder schätzbar als die wissenschaftliche
Verarbeitung des großen, weit verstreuten Ma-
terials ist die reiche Sammlung von Abbildungen
(82 Lichtdrucktafeln), die in eigner Mappe dem
Textband beigegeben sind. Man wird bei dieser
Fülle des vielfach noch unveröffentlichten Ma-
terials über manche weniger gelungene Tafeln
ohne Tadel hinwegsehen müssen in Anbetracht
dessen, daß die Aufnahmen oft unter erschweren-
den örtlichen Umständen gefertigt werden
mußten. Unliebsam aber vermißte ich einen
engeren Zusammenhang zwischen Textband und
Abbildungsmappe; hier hätte durch wechsel-
seitigen Hinweis die praktische Benützung beider
wesentlich erhöht werden können.Das Verzeichnis
im Textband erfüllt nicht hinreichend den beab-
sichtigten Zweck; zum mindesten hätten in dem
großen Verzeichnis der Altäre die Nummern der
betreffenden Tafeln beigesetzt werden sollen.
Hat man sich aber einmal der Mühe unterzogen,
Text und Abbildungen durch Angabe der Tafel-
nummern bezw. Seitenzahlen gegenseitig zu er-
gänzen, so schätzt man die Brauchbarkeit und
den Wert des tüchtigen und dankenswerten
Werkes um so mehr und würdigt die ernste
Arbeit, die es gestaltete, erst in ihrem vollen
Umfang. Dr. Philipp Maria Halm.
g
P. Eichholz. Das älteste deutsche
Wohnhaus, ein Steinbau des 9. Jahrh.
(Studien zur deutschen Kunstgesch. 84). 50 S.
8° mit 46 Abb. Straßburg, Heitz. 1907. M.4.—.
Obwohl über dieses unscheinbare „graue Haus
in Winkel" schon eine ganze Literatur erwachsen
ist, so war doch über die Zeitstellung noch keine
Einigkeit erzielt. Die meisten Forscher sprachen
sich gegen karolingischen Ursprung und die
Verbindung mit Rabanus Maurus aus. Eichholz
sucht beides mit schwer wiegenden Gründen zu
beweisen. Er packt insofern den Stier gleich
bei den Hörnern, als er die kleinen, monolithen
Fensterdien, wovon eins ein Teilungssäulchen
mit Würfelkapitell hat, als ursprünglich (Mitte
9. Jahrh.) erklärt, ebenso die beiden Türstürze
mit dem Flachgiebelornament, einen Kamin-
sturz mit Stabwerk und Rosetten, den Ziegel-
durchschuß der gewölbten Öffnungen und sogar
die Eichenholzsäule des Unterzugs. Wirklidi
überraschend sind die guten Beobachtungen da-
hin deutend, daß das Häuschen ursprünglich nur
die größere Nordhälfte mit der Kapelle (und
eine Freitreppe) umfaßte, in der Rekonstruktion ein
malerisch gruppiertes Refugium für einen Gelehr-
ten wie Rabanus. Denn auf diesen führen neben
der Überlieferung die Kreuze am Kapellentürsturz
und an dem einen Fenster, die ganz den Kreuz-
spielereien in seiner Schrift „de laude sanctae
crucis" entsprechen. Er hätte es 847 kurz nach
seiner Wahl zum Erzbischof von Mainz erbaut,
in den nächsten Jahren schon um die Südhälfte
erweitert und bei der Hungersnot 850 die Küche
vorgelegt. Selbst die Bärenköpfe ließen sich
aus seiner Schrift „de universo" in Anschluß an
die Eliasbären (II. Kön. 2. 23) „als Abwehr gegen
schmähsüchtige Feinde" erklären. Hat der Verf.
der Versuchung des Zuvielbeweisens nicht hin-
reichend widerstanden, so sind seine faktischen
Beobachtungen doch sehr wertvoll und begründen
den lebhaften Wunsch nach einer neuen und