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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0039

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MISZELLEN.

ZUR INHALTLICHEN DEUTUNG
EINER NEUEN JAMNITZERZEICH-
NUNG. Mit einer Abbildung auf einer
Tafel.
In der Sammlung von Goldschmiedehandzeich-
nungen des Herrn Professors Marc Rosenberg be-
fanden sich seit längerer Zeit zwei bezeichnete
Blätter von Christof Jamnitzer (1563—1618) Da
die Sammlung in der Hauptsache auf einen alten
Sammelband zurückgeht, lag Grund vor, sie sämt-
lich auf weitere Jamnitzerarbeiten hin zu unter-
suchen. Der Besitzer selbst konnte denn auch
Zeichnungen für einen Tafelaufsatz und einen
Leuchter, vielleicht noch für einen Tafelspring-
brunnen dem Jamnitzer zuschreiben. Bei Gelegen-
heit einer Durchsicht der Sammlung seitens Herrn
Geheimrats Jessen konnten noch weitere Zeich-
nungen : zwei Schreibzeugkassetten, ein Amor auf
einer Schildkröte reitend, sowie ein Tafelaufsatz,
der hier abgebildet ist, für Christof Jamnitzer in
Anspruch genommen werden.
Daß unsere Zeichnung (Br. 37XH. 35,3 cm.;
Papier ohne Wasserzeichen) ein Werk Jamnitzers
ist, ergibt sich aus dem Vergleich mit den andern
Zeichnungen; der Bleistiftstrich nicht nur wie der
Duktus der lateinischen und deutschen Buchstaben
ist derselbe, sondern es finden sich auch schon
verwendete ikonographische Einzelheiten wieder
vor. So zeigt eine Arbeit Jamnitzers im Kunst-
gewerbemuseum zu Berlin ebenfalls ein Großtier,
einen Elefanten als Tafelaufsatz verwendet, der
auch eine Schabracke mit Glocken trägt.2)
Diese Zeichnung nun fesselt vornehmlich durch
ihren merkwürdigen Inhalt. Seine Deutung läßt
zugleich erkennen, wie und welche literarische
Reminiszenzen mehr oder weniger bewußt auf die
Gestaltung des Vorwurfs von Einfluß waren. Die
beigegebenen Aufschriften liefern den Hinweis.
Die obere deutsche Aufschrift lautet: desz löwben
arzt, desz menschen wirth, und die untere latei-
nische: andronico de manduca nobilus. Die erstere
Beischrift weist auf Gellius, noct. att. V, 14 (nicht
Aelian, var. hist. VII, 48), wo die bekannte Anek-
dote vom afrikanischen Konsularsklaven Androklus
erzählt wird, der zu Rom unter Kaiser Tiberius
im Theater mit einem Löwen kämpfen sollte,
(1) Vgl. Μ. Rosenberg, Der Goldschmiede Merkzeichen,
2. Aufl., Frankf. 1911, S. 501.
(2) Abb. in Zs. f. b. Kunst 1884, S. 356. — Der dazu ge-
hörige, aber verlorene Teller mit einer Darstellung der
Schlacht bei Zama ist abgebildet in Kunstgewerbeblatt I,
*885, S. 20—21.

von diesem aber verschont wurde, da er ihm in
der Wüste, wohin er vor seinem Herrn geflohen
war, einen Dorn aus der Tatze gezogen und ihn
dann gepflegt hatte. Der Löwe hinwiederum ernährte
aus Dankbarkeit den Sklaven, bis dieser dann
eines Tages von den Soldaten gefunden und weg-
geschleppt wurde. Gellius erzählt noch, wie der
Kaiser dem Sklaven die Freiheit schenkt, als er
dessen Geschichte erfährt, und ihm den Löwen
überläßt. Die Anekdote endigt bei Gellius damit,
daß Sklave und Löwe zusammen in Rom herum-
ziehen und daß die Leute bei ihrem Erscheinen
in die Worte ausbrechen: hic est leo hospes ho-
minis, hic est homo medicus leonis.
Mit Kenntnis dieser Quelle ist nur das Zitat
erklärt, keineswegs schon die besondere ikono-
graphische Gestaltung des Stoffes. Hierfür kommt
die Legende des hl. Gerasimus (-j- 475) in Be-
tracht, wie sie von Moschus Eviratus (um 630)
im Pratum spirituale (abgedruckt in Act. Sankt.
VII. 386Fff.) erzählt wird. Gerasimus war Abt
eines Klosters am Jordan, senex wird er genannt.
Auch er zieht einem Löwen einen Dorn aus der
Tatze, wofür ihm der Löwe treu dient. Der Obhut
des Löwen wird unter anderm ein Esel anvertraut,
der als Lasttier verwendet wurde. Als der Esel
eines Tages infolge der Unachtsamkeit des Löwen
geraubt wird, muß der Löwe selbst die Obliegen-
heiten des Esels zur Strafe übernehmen. Die
Quelle fährt fort: Ex tune igitur leo, iubente sene,
portabat canthelium1) capientem amphoras quat-
tuor, ferebatque aquam in monasterium. Die vero
quadam venit miles quidem ad senem benedictio-
nis gratia. Qui cum videret leonem bajulantem
aquam, didicisset caussam, misertus est eius, pro-
ferensque tria numismata dedit senibus ut emerent
asinum ad ipsius aquae ministerium, et liberarent
ea necessitate leonem.
Damit sind die literarischen Voraussetzungen
für die besondere Gestaltung der Zeichnung ge-
geben, die den Entwurf für einen Tafelaufsatz ab.
geben sollte. Demgemäß sollte die lateinische In-
schrift wahrscheinlich lauten: de Androcli man-
duca nobile, vom edlen Lasttier des Androclus, wobei
für den Namen Gerasimus der geläufigere Androclus
gesetzt war. Die Verwechslung von Androclus mit
Andronicus ist bei dem gleichen Vokalklang nicht
weiter verwunderlich. Rudolf Hoecker.
(1) In Act. Sanct. VII, 387 findet sich die lexikographische
Note: canthelium. . onus asinis imponi solitum aut potius
sporta (geflochtener Tragkorb) seu clitellae (Packsattel)
asino ad onus apte ferendum imposita.

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