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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0242

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mit gereiftem Können bei bequemeren Aufgaben
nie wieder erreicht hat. Was im Texte der Apo-
kalypse undarstellbarerscheint, wie Sterne, Feuer-
regen, Sturm, Erdbeben: die jugendlich naive Ge-
waltsamkeit des Zeichners hat den Aufruhr der
Elemente als etwas Wesentliches empfunden, dem
nicht ausgewichen werden dürfte, und die Linie
gezwungen, Wellen, Wogen und Leuchten aus-
zudrücken. Und gewiß ist es nützlich zu be-
obachten, wie Dürer dabei im Einzelnen ver-
fuhr. Wo Tradition und Naturbeobachtung
nicht ausreichen, muß sich die gestaltende
Persönlichkeit am schönsten enthüllen. Soweit
wählte der Verfasser eine Ertrag versprechende
Aufgabe.
Freilich hätte er sich klar machen sollen, daß
Wirkungen, wie sie Dürer hier erzielt hat, mit der
Farbe und bei gesteigertem Bedürfnis nach Na-
turwahrheit durchaus nicht zu erreichen waren, und,
indem er dieses begriffen hätte, wäre er nicht nur
Dürers Geheimnis, sondern auch dem Geheimnisse
des Holzschnittes näher gekommen.
Der Verfasser vergleicht Dürers Holzschnitte
mit den Apokalypse-Illustrationen der Koberger-
Bibel, die bekanntlich aus der kölnischen Bibel
stammen. Diese — übliche — Gegenüberstellung
hat insofern Sinn, wie eine typische Gestaltung
der älteren Generation als Folie dient, von der
Dürers Errungenschaft sich abhebt. Vorbild aber
für Dürer waren die Holzschnitte der Koberger-
Bibel keineswegs, und die unhaltbare Ansicht,
Wohlgemut, Dürers Lehrer, sei an diesen Illustra-
tionen beteiligt gewesen, hätte der Verfasser nicht
auftischen sollen.
Vorstufen zu Dürers Apokalypse sind Wohlge-
mute beglaubigte Arbeiten, namentlich die Welt-
chronik, was Stahl begriffen hat, und das Narren-
schiff, das er nicht beachtet. Bei Betrachtung der
Wolken und Flammen — wie bei jeder Betrach-
tung — schiebt sich das Narrenschiff zwischen
die Weltchronik und die Apokalypse.
Der Verfasser nimmt Blatt für Blatt vor, schil-
dert die Luft- und Lichterscheinungen und ana-
lysiert die Formen, in denen die Erscheinungen
ausgedrückt sind, mit Verständnis und sehr aus-
führlich.
Abgesehen von einem zaghaften Ansatz, die Folge
der Entstehung zu erkennen, ergibt sich nichts
Neues. Doch muß man gestehen, daß des Ver-
fassers wortreicher Eifer die Schauer, die von dem
Werke ausgehen, verstärkt und vertieft.
Max J. Friedländer.

GUST. KOSSINNA, Die Deutsche Vor-
geschichte eine hervorragend na-
tionale Wissenschaft. Zweite Auflage.
Kabitzsch, Würzburg 1914.
Der bekannte Berliner Forscher hat dieses Werk,
dessen zweite Auflage eine erhebliche Bereicherung
zeigt, für die breitere Öffentlichkeit geschrieben
und so mag es auch in diesen Heften eine Be-
sprechung finden. So mancher, der sich in diesen
Tagen frägt: was ist Deutsch? was unterscheidet
uns von den anderen? glaubt— nach meiner Über-
zeugung irrtümlicherweise, aber inÜbereinstimmung
mit dem Verfasser — in grauer Vorzeit die märchen-
hafte, von fremden Einflüssen ungetrübte, jungfräu-
liche Quelle deutsch-germanischer Weltanschauung
finden zu können. Dieser etwas romantisch-heroisch
Veranlagten warten schwere Enttäuschungen, denn
auf jedem Schritt durch die Vorgeschichte folgen
ihnen die verhaßten Beeinflußungsmöglichkeiten auf
den Fersen. Ihnen will Kossinna der begeisterte
und kundige Führer und Tröster sein.
Aber auch der Kunsthistoriker mag sich für
dieses, verschwenderisch mit schönem Abbildungs-
material versehene Buch interessieren. Sobald er
sein Fach zur Stilgeschichte, zur vernünftigen Stil-
interpretation vertieft, fordert das germanische
Altertum als erster Abschnitt in der Geschichte
der Germanischen Kunst sein Recht. Die gefun-
denen Entwicklungsgesetze der geschichtlichen
Kunst wollen dort eine Bestätigung finden und
für die schwere Frage nach dem Werden der
Kunst überhaupt liegt dort die Lösung. Da ist nun
wohl zu bedenken, daß Archäologie vorläufig noch
sehr wenig mit Kunstgeschichte zu tun hat, und
daß wir von einem Archäologen, auch wenn er
nach eigener Aussage „von allen Fachmännern in
Deutschland die umfassendste Stoffkenntnis be-
sitzt“, keineswegs eine scharfe Stilanalyse und
noch weniger das feine Verständnis für das Werden
und Vergehen der Stilphasen zu erwarten haben.
So sollen wir uns nicht darüber wundern, daß
nach Kossinna die germanische Spiralornamentik
aus dem Sonnensymbol der Scheibe oder des Rades
hervorgeht - als ob jemals einS tilm erkmal, wiees
die Spirale für die germanische Bronzezeit in hervor-
ragender Weise ist, aus einem religiösem Symbol
hervorgehen konnte! Bedauerlicher aber ebenfalls
bezeichnend ist es, daß die bei weitem bedeutendste
und eigentümlichste Erscheinung in der Kunst
des germanischen Altertums, die germanische Tier-
ornamentik mit fast keinem Wort erwähnt ist.
Für eine volkstümliche Einführung hat das Buch
den Nachteil, daß es zugleich Streitschrift sein will.

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