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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 5.1902/​1903

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Heft 1
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Bosshart, Jakob: Salto mortale, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.45536#0040

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aufgefangen kätte. 80 wurden ibm diese Wag-
balsigkeiten strenge verboten und er musste sieb
dasu bequemen, dass Bransli das, was er am
Ltubl, an der Bank, sm liscbe geübt, an ibm
vollfübrte. Wobl tkat Meister Valentin alles,
um ibm su verbüllen, dass er sur Oerätscbaft
berabgesunken war, aber Zuweilen überkam ibn
dock das Oefübl davon und war dann recbt
unglücklicb und verspracb sieb: „Linen salto
mortale wirst du dock einmal macben!"
2u jener 2eit weilte ein Zirkus in der 8tadt,
und als Brau 2öbeli einst su einer Bestattung
in ibr Heimatdorf batte geben müssen, biefs
Herr Bäberle seine Zöglinge die 8onntagsbosen
ansieken und fübrte sie in die seltsame runde
Bretterbude. Das war ein Breignis. Bein? sals
regungslos da und verscblang mit aufgerissenen
^.ugen und mit einem Qelubl der Beklemmung
all die märckenbaften Brscbeinungen, denn er
verblieb seine eigene Kunst damit; wäbrend
Bransli jedesmal vor Lust aulscbrie, wenn eine
Leiterin, auf glänsendem Bferde stebend, berein
und im Kreis berum sprengte, immer in ge-
fälbger Bewegung, und durcb Linge llog, um
gleicb wieder auf dem Lücken des trabenden
lieres su tänseln; oder wenn nackte Männer,
wie ibm scbien, äbnlicbe 8tücke ausfübrten,
wie er selber sie lernte, und viel scbwerere;
oder wenn seltsame Mensckenwesen in auf-
geblasenen Bosen, lustigen 8pitsmütsen und
verscbmierten Qesicbtern ibre Burselbäume
scblugen und allerband 8cbnurren und 8cbnick-
scknack sum besten gaben.
Bnd all die 2eit spielte die Musik lustige
Weisen und nacb jedem Meisterstück und -Sprung
erbrauste das ganse Bretterkaus von Bravorufen,
Bändeklatscben und Bufsgestrampel.
^ls man in das Baus sum ,8ack° surück-
gekebrt war, versucbte Brans gleicb die tollen
Dinge, die er gescbaut, nacbsuabmen, Beins
dagegen, innerlicb unrukig, ja fast unglücklicb,
setzte sicb scbweigsam in eine Bcke. Meister
Valentin sab in ibn binein und lubr ibm väter-
licb mit der Katsenkand durcb das Baar. Da
stotterte der^unge seinen Kummer bervor: „Muis
man so viel können, wenn man — — — —?"
„Bi freilicb, und das werdet ibr aucb lernen,
wenn ibr tbut, wie icb eucb beifse, und dann
wird man aucb eucb „Bravo" Zurufen und für
eucb die Bände ineinanderscblagen.
Bein? scbüttelte ungläubig und mutlos den

Kopf; Brans dagegen scblug einen Burselbaum
und klatscbte sicb selber Beifall und lacbte mit
dem gansen quecksilbernen Leib. Da wies
Bäberle mit sprecbendem Binger auf ibn; der
ältere verstand die 8pracbe und warf ebenfalls
die Bülse in die Lüfte.
„80 ist's recbt, jungens! Wifst ibr, warum
ick eucb in die grosse Bretterbude gelübrt babe?
Denkt eucb, ibr wäret unten in dem runden
Blats und das ganse Baus mit Menscken gefüllt,
Musik spiele auf und man scbreie eucb su sum
Dack-^blupfen und überscbütte eucb mit Blumen-
sträussen — — — —"
Beins fieberte bei dem Qedanken, Brans
jedocb kletterte an ibm empor, stellte sicb ibm
auf die 8cbultern und bog sicb surück, um kopf-
über auf den Boden su setsen.
In diesem Augenblicke ging die l'büre auf,
die Mutter stand auf der 8cbwelle. 8ie stiefs
bei dem Anblick, der sicb ibr bot, einen 8cbrei
aus, Beins scbrak susammen und Brans wäre
su einem bösen Ball gekommen, bätte ibn Berr
Bäberle nickt mit llinken Bänden aufgelangen.
Brans läcbelte der Mutter entgegen, als ob
nicbts wäre, sie aber bebte an allen Oliedern
und scbrie ibrem ,2immerkerrn^ su: „Das ist
Qott versucbt!" und dabei umfasste sie ikren
jüngsten mit ^.rmen, die es sornig und liebreicb
sugleicb meinten.
Die Kinder wurden in ibre 8cblafkammer
gssckickt und Brau 2öbeli stellte nun ibren
Lebrmeister sur Lede: Bs sei genug des tollen
2eugs; sie sei die Mutter der Knaben und trage
die Verantwortlickkeit für sie vor Oott und dem
toten Vater; wem würde man Vorwürfe macken
und wen mit bösen Blicken anseben, wenn einer
bele und sicb einen ^.rm oder ein Bein oder
gar das Oenick bräcbe? 8ie würde so etwas
nickt verwinden; die Buben seien jetst gross
genug, um sicb selber die Zeit su kürsen,
drum müsse die lrevelkalte Oaukelei ein Bnde
nebmen.
Valentin Bäberle liess sie ikren Wortscbats
aussckütten, dann sagte er rubig: „Ist den Knaben
je etwas gescbeben? Baben sie etwas 8cblim-
meres abgekriegt, als etwa eine Beule? Verlassen
8ie sicb auf micb, meine werte Brau 2öbeb:
so lange icb die Buben überwacbe, gescbiebt
ibnen kein Leides. Weil nun aber die 8acbe
sur 8pracke gekommen ist," fügte er mit ge-
dämpfter 8timme binsu und den Kopf vor-

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