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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 5.1902/​1903

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Heft 3
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Bosshart, Jakob: Salto mortale, [3]: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.45536#0133

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Signor Vrcole katte versprocken, bald xn
schreiben; aber die erste Wocke verstrick und
clie Zweite, okne dass ein Vries eintras; Veline
war in Verxweislung, sie ging nickt rnekr an
die Arbeit, verliess überkaupt das Vans nickt,
urn clen Briefträger nickt xu verseklen; klang
ein Vckritt ans der l'reppe oder körte sie vorn
untern Vtockwerk Ker das bekannte xweimalige
Oäuten, so kämmerte ikr das Verx in der Brust;
einmal träumte ikr, sie esse sckwarxe Lirscken;
das kedeutet l'od, und von da an verging sie
säst vor ^ngst: sickerlick waren ikre Linder
sckon gestorben!
Vndück, nack rnekr als drei Wocken, trat
der erste Vries ein und krackte Irost. Vas
junge Lünstlerpaar war in einer süddeutscken
Lleinstadt xum erstenrnal ausgetreten und katte
die Brobe kestanden. Vin Zeitungsausscknitt,
der dern Vckreiben beigelegt war, rneldete der
IVlutter, dass die „Vratelli ^rrigo und Vresco
Zobelli, die kleinsten und grössten Oleickgewickts-
künstler der Welt" vor den Zusckauern Qnade
gesunden kätten, kesonders der Lleine, den der
Verickterstatter in Vresckino urntauste und ein
wakres Wunderkind und die Veib gewordene
Verwegenkeit nannte.
^n Yenern ^.bend legte Brau 8eline den Vetxen
Leitung unter ikr Lopfkissen, urn aus dern Vukrn
ikrer Linder xu scklaien und xu träurnen. Vun
konnte auck das Qlück, das ikr Vräutigarn ikr
verkeissen, nickt rnekr lange ausbleiken. Ond
wirklick, einen IVlonat später sand xum erstenrnal
der Qeldkriesträger den Weg in die Oackwoknung
des Vauses xum „8ack". Vr krackte keine
sckwere Vumme, aker wer wollte das erste
Llingeglück wägen? IVlan nirnrnt es kin wie das
Beben, wie die erste Diebe: mit künden ^.ugen
und packendem Versen.
^.us die erste Vendung folgten in ungleicken
Zwisckenräumen andere. Oie wurden nun alle
sorgück gexäklt, aus der Band gewogen und
untereinander vergücken: sie nakmen nack und
nack an Qewickt xu, es konnte kein Zweitel
walten: das Bäcklein Woklstand, das aus der
Vremde den Weg in den „8ack" gesunden,
sckwoll allmäklick wie unter einem Wolken-
segen an und tkat wokl, wo es kinüoss. IVlan
denke dock, nack der jakrelangen Oürre!
2war liess es sick Brau Veline nickt weniger
sauer werden als irüker, das Vrot wollte sie
nock nickt von den Lindern empfangen! Was

ikr aus der Vremde xullols, legte sie mütterück
in eine Vckublade, es sollte den Lleinen kleiken
und nack und nack das Vparkeit ersetzen, das
sie aus den Bänden gegeben katte. Wie freute
sie sick aus die Vonntage, da sie in ikrem engen
Vtübcken sitxen und ins Weite an ikre Lraus-
köpse sinnen und träumen konnte, die jetxt
irgendwo in der Welt draussen, okne dass sie
auck nur die Vicktung am Bimmel kätte an-
geken können, ikre Lunststücke macken mussten.
Vie las die Briefe ikres Bräutigams und die
Zeitungen, die er gesckickt, sie lernte alles aus-
wendig wie ein „Onser Vater". Ond dann
wieder mackte sie sick über die Vckublade Ker,
in welcker die Geldsendungen Vlatx gesunden
katten, xäklte die Vilberstücke xum kundertsten-
mal, betracktete jedes von beiden Veiten, bis
sie die ganxe Berrlickkeit kannte wie ikr Lücken-
gesckirr. Ond bei dem Werke stellte sie sick
ungereimte Brägen: „Wer Kat mekr von dem
Qelde verdient, Vein? oder Vranx?" „Vranx!"
sagte sie sick, denn der Lleine katte in ikrem
Verben einen grölsern Vlatx als der ältere.
Bütete sie das Qeld der Linder wie ein Berg
seinen Vckatx, so mackte sie sick ein kindückes
Vergnügen daraus, das, was sie von ikrem
eigenen Verdienste erübrigen konnte, xur Aus-
stattung ikrer Woknung xu verwenden. Vs
stand ja fest, dass sie nun reick wurde, da
durste sie sckon etwas leicktsinnig sein! Zuerst
kaufte sie sick xwei Vlumenstücke, ^xalien,
die mit denjenigen, die sie ins Wasser geworfen,
einige Aknückkeit katten. Vie taufte sie wieder
nack ikren Vöknen und war vorsicktig genug,
die kräftigere Vranxli xu keissen. Oer Bod
sollte ikr kommen!
Derweil waren mit einem Briese Vkotograpkien
von den Lnaben angelangt; für die kaufte sick
Brau Veline kübscke Lakmen und stellte sie
reckt sicktbar aus die Lommode. Dann erstand
sie sick xwei LaKeetassen, die in goldenen Buck-
staben das Wort „Qlück aus" xur Vckau trugen,
dann für die Wand ein Öldruckbild, die keilige
Vamike darstellend, dann als Qegenstück einen
eingerakmten Baussegen — — — —
80 kam nack und nack ein besckeidener
Duxus in das sonst so demütige Oackstübcken
und die Witwe katte nun an ikren einsamen
Vonntagen genug xu tkun, die alten und neuen
Dinge xu mustern, die Bilder ikrer Lnaben
xu betrackten und Vläne für die Zukunft xu

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