Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 5.1902/​1903

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Bosshart, Jakob: Salto mortale, [3]: Novelle
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45536#0142

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
8ie sab ibn, wenn sicb Oelegenbeit bot, mit
Lücken an, in denen alle Verfübrung steckte:
Demut, l'rauer, Zärtücbkeit, Abbitte, 8cbalkbeit,
und sie rnbte nicbt, bis sie ibn sieb wieder
willig gemacbt batte wie zuvor. Ond ein paar
1?age lang nacb der Versöknung trat sie ibrn
entgegen und ging sie mit ibrn urn, wie eine
verliebte 8klavin rnit ibrern Lerrn. Von Imrans
wollte sie nicbts rnebr wissen, sie streifte ibn
rnit Herren veräcbtlicben Lücken, die Leinz zur
Oenüge kannte und die ibrn selber scbon so
ob web getban.
^11 das war nur Lerecbnung. ^.Is Leinz
wieder zuversicbtücber wurde, die Wunde, die
sie ibrn beigebracbt, arn Verbarscken war, griff
sie unversebens wieder binein, rnit leicbtern, aber
vergiftetem Linger, rnit jener altererbten Qrausam-
keit, die rnan oft an Lindern beobacbten kann.
„leb sebe Lrescbino so gern zu, wenn er
seinen salto rnortale rnacbt!"
„Qestern, als icb auf dern Leil stand, bab
icb auf einmal an dicb denken müssen! Icb
muls oft an dicb denken, wenn icb auf dem
8eil gebe".
„Weifst du, was an eucb beiden so spafsig
ist? Wenn einer stürb oder ein Lein bräck,
nacbber wär's aus, da Könnte der andere aucb
nicbts mebr macben."
80 trieb sie nun monatelang ibr 8piel mit
dem waffenlosen jungen, ibn anziebend und
zurückstoksend, sicb an seinem Qesicbte weidend,
wenn es sicb unter ibrem Lieb scbmerzücb
verzog, ibm eine 8tunde oder einen Lag lang
scbmeicbelnd, um eine 8ekunde lang mit den
Lägeln in seiner 8eele zu wüblen.
Linmal, als sie ibm wieder einen ibrer giftigen
Ladelsticbe versetzt batte, fubr er auk sie los
und bläute sie jämmerücb durcb. 8ie webrte
sicb nicbt, sie trug es wie ein Lamm, sie sckien
zu wissen, dals sie ibn jetzt erst recbt in ikre
Oewalt bekam. lind so war es. Lei der Lauferei
war ibm ein Lüscbel von ibren Llacbsbaaren
in den Länden geblieben, das verleidete ibm die
Ländel mit ibr; er batte von da an ibr gegen-
über stets ein unsicberes (Gewissen, und dies
um so mebr, als sie verscbmäbt batte, ibn zu
verklagen; demütigte sie ibn, so mufste er sicb
sagen: „Du bast es verdient, warum käst du
sie gebauen;^ zankte er sicb mit ibr, so braucbte
sie nur an jene Landvoll Laare zu erinnern, um
ibm den Mund zu scbüelsen.

Oie Vorstellungen, denen Leinz sicb trüber
mit Leidenscbab bingegeben batte, wurden ibm
nacb und nacb zu einer uneingestandenen ()ua1.
Lr beobacbtete die zuscbauende Menge mit arg-
wöbniscben i^ugen und gewabrte immer deut-
licber, dafs er für sie Luft war, oder, wie Lianca
gesagt batte, das 8eil des Kleinen. ^ucb bei
ibm nun auf, dafs selbst 8ignor Lrcole zwiscben
ibm und seinem Lruder einen Lnterscbied
macbte, für Lranz andere Lücke, andere Worte,
eine weicbere 8timme, eine sanftere Land, ein
freundlicberes Licken, ein berzückeres Läcbeln
batte.
Lr bng an, dem Manne zu mifstrauen, ibn
zu belauern, eine Wabe gegen ibn zu sucben
und es kam eine bosbatte Lreude über ibn, als
er eines Lages den Direktor im Lreppenbause
mit Liancas 8cbwester, einem Mädcben von
etwa 18 ^abren, tändeln sab. Ls war freilicb
nur ein bücbtiger Lück, nicbt viel mebr als ein
8cbatten an der Wand gewesen, denn die beiden
batten die nabenden Lritte gebört. Leinz wulste,
dafs der Mann mit seiner Mutter verlobt war,
und sein gerader 8inn gab ibm ein, dafs solcbes
Letragen ungebörig sei. Von da an bafste er
ibn, und um so verbitterter, da er keine neuen
Leweise mebr erlauerte. Lacb und nacb ver-
kebrte sicb das ganze Wesen des armen jungen
in sein Oegenteil: das Lot wicb von seinen
Lacken, er als okne Lust, war verscblossen, fast
immer mbsmutig und störriscb und nur dann
zufrieden, wenn er mit Lranz allein, ganz allein
war, und sie miteinander spielten oder vom
„8ack" und der 8cblaucbgasse plauderten,
an die Mutter und an ibr sonniges Lugüberdacb
mit den zwei Azalien dacbten, durcb deren
Llätter und Llüten man über die Oäcber weg
zu den 8cbneebergen und in den blauen Limmel
seben konnte.
Oie drückendsten 8tunden aber waren die-
jenigen, da er sicb vor der bösen Zunge der
8eiltänzerin in seiner Lerbergkammer verkrock,
um eine der Qescbickücbkeiten zu lernen, die
dem Kleinen so viel Lkre eintrugen und ibm nie
gelingen wollten; da rann ob dem von Lbrgeiz
Qepeitscbten die ()ual bitter aus den ^.ugen,
wäkrend drunten im Lof oder Qarten Lianca
mit Lranz spielte, ibm jeden Wunscb aus den
H.ugen las und ibm ibr Lied trällerte, wobl
wissend, dafs es aucb der ältere bören würde:
„l'rsir unä ksr^iriniAlieli, R^obin Eclair . . . ."

99
 
Annotationen