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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 5.1902/​1903

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Heft 4
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Bosshart, Jakob: Salto Mortale, [4]: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.45536#0185

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mütterlichen Wohnung zustrebten. ^ls sie, auf
dem Kirckplatz angelangt, die Mündung der
spärlich erleuchteten 8ch1auchgasse erblickten,
konnten sie nicht rnehr an sich halten, wie auf
Verabredung stürmten sie dem 8ignor Brcole
voraus in den „8ack" und die l'reppe empor.
Man hatte die Mutter, um ihr eine Öber-
rascbung zu bereiten, nicht von der Rückkehr
benachrichtigt, und als sie auf das Klingeln der
Knaben mit dem Dickte kam und sorgfältig, wie
es einer Witwe geziemt, die l'küre öffnete,
taumelte sie vor freudigem 8ckreck zurück. Oie
Knaben bängten sich an sie, sie umlalste sie
mit dem ^rm, den sie frei batte, und so ging
es der 8tube zu; 8eline wulste nicht, ob sie von
den Kindern, oder das Kinderpaar von ikr ge-
tragen wurde.
„Oelt, ich hab 8orge zu ikm getragen?"
flüsterte ikr Beinz ins Obr; sie külste ikn auf
den Mund, und ihre ^.ugen verschlangen die
bübscben Krausköpfe.
,,^sa, Branzli siebt gut aus, aber du bist
bleicher geworden, grölser wobl, aber magerer."
Br schmiegte sich fester an sie, es mulsts
M ^etzt alles besser werden.
8ignor Brcole trat ein, obne dafs man ibn
anfänglich bemerkte.
„blun, bin ick nickt auch gekommen?" Stiels
er endlich auf der IbürscbweHe siebend hervor.
8eline eilte ikm entgegen, zog ibn in die Mitte
des 8tübcbens, holte ikm einen 8tukl Kerbei
und machte dann ihrem Herzen Bult. 8ie setzte
sich ikm gegenüber und stammelte ihren Dank;
sie dankte ikm dafür, dafs er gekommen war,
endlich, endlich, ikr die Buben gekrackt und zu
ihnen all die Zeit so wokl geschaut batte, sie
dankte ikm für den Wohlstand, den er aus der
Bremde in ikr 8tübcken geschickt, sie dankte
für das Olück, das nun in ikrem Herzen hauste ;
und dabei zeigte sie ikm mit 8tolz und Breude
die Dinge, mit denen sie ihre 8tube geschmückt
hatte.
Br nahm ihre Worte mit Oenugtbuung bin
und lmg gleich an, sich in Zukunftsplänen zu
ergeben, silberne 8tege und Drücken und 8tralsen
zu bauen, ein lVlarmorkaus aufzutürmen und es
mit goldenen l'iscben und 8ckemeln und 8tüklen
auszustafkeren. Br batte zuweilen eine muntere
Phantasie.
Dinen vergnügteren ^.bend batte das Dach-
stübchen der Drau 8eline Zöbeli noch nie erlebt.

H.ucb die Knaben batten zu erzählen: von
8tädten, die grols seien wie ein ganzes Band,
von Oegenden, wo es keine Berge gebe, und
sogar vom Meer und seinen Kundert 8cbikfen,
dann von den neuen Breunden und Wander-
genossen. Kranz berichtete ahnungslos von
Bianca, der 8eiltänzerin, und versuchte der
Mutter ikr Bied zu singen:
Bleinz gab das einen 8ticb. Br klammerte
sich fester an den ^rm der Mutter, als könnte
sie ikm verloren geben, eine trübe Ebnung stieg
in ikm auf, er wulste nickt wie, er wäre nun
lieber wieder in der Bremde gewesen. Die
()ual batte ibn auch in der Beimat gefunden,
gab es denn kein Entrinnen?
^Vm frühen Morgen waren die Brüder wieder
wach, es verlangte sie, der Mutter 8timme zu
kören, es gelüstete sie, wieder einmal über die
alten Däcber wegzusehen, nach den rauchenden
Kaminen, nach dem lliegenden und schleichenden
Oetier, nach den 8cbneebergen und ihren weilsen
Zacken, black dem Brübstück stiegen sie in
die Oasse hinab und steckten die Köpfe in die
8cbreinerwerkstätte, wo die Bretter wie einst
unter den 8tölsen des Bobeis kreischten und die
Oesellen in den harzduftenden 8pänen rauschten.
Meister Wäspi nagelte eben einen Kindersarg
zusammen. Br erkannte die Knaben auf den
ersten Blick wieder, und sich an seine alten
8pälse erinnernd, rief er wohlgelaunt: „Be, Beinz,
soll ick dir den Brack da anziehen? Br ist dir
wie angemessen!" Br lackte dazu, der Knabe
aber erschauderte und eilte zur Mutter hinauf.
Den ganzen l'ag war er still und gedrückt,
der Anblick des 8arges und die Worte des
l'iscblers batten durch eine verborgene Ver-
kettung in ikm die Burcbt wieder wacbgerulen,
die ibn am ^bend zuvor gepackt batte, als
Branz das Bied der 8eiltänzerin sang und die
seither lauernd in ikm gelegen batte: die Burcbt,
seine Mutter zu verlieren. Br batte sie so lieb
und nun bobrte die ^.ngst in ikm, des Kleinen
Überlegenheit könne ikr nickt lange verborgen
bleiben, und dann werde sie es kalten wie 8ignor
Brcole und alle andern: Branz bevorzugen, mit
zärtlicheren Blicken anseben, mit herzhafteren
^rmen umfangen, und ikm, dem ältern, nur das
schenken, was der im Überllufs 8cbwimmende
verschmähte. Von den andern Beuten konnte
er es zur blot ertragen, aber von der Mutter!

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