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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 5.1902/​1903

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Heft 6
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Bosshart, Jakob: Salto Mortale, [5]: Schluss
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https://doi.org/10.11588/diglit.45536#0298

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indem sie ibre Kinger wie Krallen gegen ibn
krümmte.
Kr wicb Zurück, clie I^ände zur ^bwebr
bereit kältend, und Stiels bervor: „Wüten 8ie
gegen den, der an allein scbuld ist!"
8ie stürmte wie rasencl auf ibn ein, er stiess
sie roti zurück, so class sie scbwer gegen den
l'isck taurnelte und beinabe bei. Oie Knaben
bracben in lautes Oesckrei aus und umklammerten
die kalb obnmäcbtige lVlutter.
8ignor Krcole benutzte die Qelegenbeit, urn
zu verscbwinden. Or soll sieb bald nacbber rnit
Oiancas 8cbwester verbeiratet baden.
In der Oacbwoknung des Dauses zürn „8ack"
war es an Yenern ^Vbend so drückend, als bätte
der lod Kinkebr gsbalten. Oie lVlutter sals wie
geläbmt aus ibrern 8tubl, sann und sann und
liess dann und wann, obne es zu rnerken, eine
l'räne aus die 8cbürze lallen. 8ie war also eine
irn 8ticb Oelassene, rnit Veracbtung und 8ckrnacb
Oedeckte. Warum? Was batte sie getan?
Olatte sie ibn begebrt? sicb ibrn an den Hals
geworfen? Hatte sie sicb nicbt lange gesträubt?
Was sür ein gewissenloser 8cbult musste er
sein! Ond wie batte er von den IVlenscben ge-
sprocken! Or scbien sie nicbt mebr zu acbten,
als Klunde! Ibr graute nun vor ibm: wie ruck-
los und selbstsücbtig muss der sein, der
lVlenscben acbtet wie Hunde! der ibnen den
l'ritt gibt, sobald es ibm in den Kram passt!
Was acbtete er denn nock? ^a, es war wobl
gut, dass es zwiscben ibnen nicbt weiter kam!
8ie scbämte sicb nun, ibm Qebör und leider
aucb ein 8tück ibres Herzens gescbenkt zu
baden. 8ie empsand vor sicb selber jenen Okel,
der diejenigen befällt, die ibre Oiebe an einen
unwürdigen lVlenscben gebangt baden.
^.ber sie sann aucb an das andere, an den
Woblstand, der durcb ibn in ibr 8tübcken ge-
kommen und an dessen Wobbätigkeit sie sicb
so bald gewöbnt batte. I^un waren ibre Qlücks-
träume aus, nun bätte sie sicb am liebsten neben
ibren Wilbelm ins Orab gelegt. O, dass er nickt
da war; wie wäre sie ibm um den Hals gefallen,
um sicb auszuweinen und auszuscblucbzen.
Heinz stand all die 2eit am lenster und
starrte aus das Qewirr der Oäcber, nur um
keinem IVlenscbengesicbt, keinem vorwurfsvollen
Olicke zu begegnen.
Oen Kleinen allein batte der 8cklag nicbt
zermalmt. Wobl begriff er, dass mit seiner

Hand aucb seine Kunst gebrocben war, und er
bätte bei dem Qedanken am liebsten geweint;
aber wie er lVlutter und Oruder so niederge-
scblagen sak, sucbte er sicb beiter zu stellen,
ging bald zum einen, bald zum andern und ver-
sucbte etwas Qutes zu sagen oder eine Oieb-
kosung anzubringen. 8eine lVlübe war verloren:
in dem ffüber so bellen Oacbstübcben ver-
wandelte sicb jedes lrobe Wort in eine Klage,
in einen Vorwurf, in einen bladelstick, und die
Antwort war ein 8eufzer, ein 2usammenzucken,
eine l'räne oder ein ganzer 8trom.
8obald die 8onne binter die Oäcber gesunken
war, sckickte die Mutter die Knaben in ibre
Kammer, sie ertrug das Zusammenleben an
diesem ^.bend nicbt. Wortlos scblüpffen die
Orüder in ibr altes Oette; als sie nebeneinander
lagen, scblang Heinz die ^rme um den Hals
des Kleinen und sagte in llebentlicbem lone:
„Kranzli, gelt, du bist nicbt böse?"
„blein, nein, du bist ja nickt scbuld!"
„Oocb, ick bin scbuld; wenn ick nur fort
könnte, weit, weit weg!"
Kranz scbalt ibn woblmeinend und zärtlicb ob
der Kede und fubr ibm streicbelnd mit der bland
durcbs Haar, bis er selber unter der Wirkung
der gleicbförmigen Bewegung entscblief.
Ileinz fand in seiner Beklemmung den 8cblaf
nicbt. Kr körte die lVlutter im wimmer nebenan
auf und ab geben, lange, endlos, mit gleicb-
mälsigem, scblarfendem dritte. Kndlicb scbob
sie sicb einen 8tubl zurecbt, Heinz körte ibn
unter ibrern Qewickte knacken und glaubte sie
zu seben, wie sie, den Kopf auk den l'iscb ge-
senkt, scblucbzte und sicb bärmte. Das er-
scbütterte aucb ibm die Brust, und er bätte
laut aufgescbrien, wäre nicbt der scblafende
Bruder in seinen ^rmen gewesen.
Oer Mond scbien durcb das Oacbfenstercben
auf das Lett und streifte des Kleinen Qesicbt, das
im 8cblafe rubig dalag, läcbelnd, wie es scbien,
als scbwebte ein ffiedsamer l'raum darüber.
Os mocbte lVlitternacbt sein, als Bleinz die
l'üre leise geben körte; ein Oicbtscbimmer
drang berein und ein bekutsamer l'ritt nabte;
der Knabe scblofs die ^Vugen, um der lVlutter
sein Wacken nicbt zu verraten, er iürcbtete
getadelt zu werden.
8ie trat ans Bett beran, von der 8eite ber,
wo Kranz lag. Heinz sab zwiscben den Wimpern
bindurck, dafs sie sicb über den Bruder neigte


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