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Rolfs, Wilhelm
Geschichte der Malerei Neapels: mit einem Titelbild in Heliogravüre, mit 13 Textfiguren und 138 Abbildungen auf 112 Tafeln — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.56470#0163
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Im Ausdruck plump und leer, im Aufbau kunstlos auseinanderfallend sind die
schweren braunen Farben mit ihren tiefen schwarzen Schatten unangenehm, die
Linien hart, die Formen der Hände und Gesichter unschön. Die Gottesmutter soll
an Lionardo erinnern; aber sie hat einen unfein in die Höhe gezogenen Mund und
grinst anstatt zu lächeln (zu lächeln wie der große Florentiner!). Das häßliche dicke
Kind hängt mit strampelnden Beinen frei auf ihrer rechten Hand in einer Stellung,
wie das göttliche Wesen unschöner wohl noch niemals dargestellt worden war: das
sollte offenbar »flandrische« Eigenart widergeben. Vorschweben aber mochte dem
»Künstler« das Kind von Rafaels »Perle«. Die Begleiter links schreien mit offenen
Mäulern. Die Brokatmäntel sind ohne Kenntnis des Stoffes oberflächlich gemalt, die
Gefäße, das Buch, in dem Josef liest, die Knöpfe, kurz alles, worauf die nordische
Kunst die liebevollste Sorgfalt verwendet, ist unsauber und roh ausgeführt. Die Land-
schaft mit unsicheren Umrissen zeigt im Allgemeinen denselben Karakter wie die
Museumstafeln, auch der gelb blaugrüne Himmel ist vorhanden; das Kind hat den
dekorierten Heiligenschein der Beweinung NM. 84440; die hölzernen Pferdeköpfe
gleichen den auf dem Martinsbilde — kurz, das ganze mutet uns wie ein Werk
der gleichen Fabrik an, aus der auch der hl. Michael (S. 108) stammt. Mit diesem
teilt es die Eigenschaft, daß das Bild von keinem einzigen älteren Neapler
Schriftsteller auch nur mit einer Silbe erwähnt wird. Nur de Dominici kennt
es und redet davon in seiner altertümelnden, gestelzten Weise: »So sagt marr
auch, der König [Alfons] hätte auf der Tafel dargestellt sein wollen, die Johann
von Brügge [von Eick] ihm zum Geschenke schickte, ebenso wie seinen Sohn
Ferdinand und andere Bildnisse von Vertrauten des Hofes. Da nun auf besagter
Tafel die genannten Bildnisse gemalt zu sein scheinen und zwar mit Figuren, die
nach Art des Zigeuners hergerichtet sind, indem sie nicht eigentlich von dem Johann
von Brügge, sondern vielmehr von ihm [dem Zigeuner] und seinen Schülern, den
Donzelli ist: so sollen besagte Bildnisse und Herrichtungen auch nicht auf Befehl
Alfons, sondern Ferdinands gemacht worden sein . . .« Folgt die aus dem vom
Fälscher erfundenen Manuskripte des »Notars Crisconio« genommene Erzählung von
der Liebesgeschichte des Zigeuners mit einer Tochter des Königs, die dieser ihm
mit den Worten gegeben habe: er vermähle seine Tochter der Kunst des Anton
Solario, nicht der Geburt des Zigeuners«, eine der Sinnesart des Königs in dem
Maße entsprechende Handlung, wie unser Werk von der Hand eines florentinisch
geschulten Künstlers vom Ende der 1400 stammt Aller Wahrscheinlichkeit nach
kommt dafür ein mit allen möglichen »Erinnerungen« getränkter neapolitanischer
Pfuscher in Frage, der das ursprüngliche Werk Lippis durch seine Anbetung ersetzte.
 
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