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Altarbild ergoß, wie schon Vasari hervorhebt, sich ein Strom von Licht
durch das Baumlaub herunter auf den sterbenden Blutzeugen. Hätten wir
eine Kopie vor uns, so wäre doch dieser wesentliche Bestandteil des großen
Originals nicht einfach beseitigt worden. Ein Kopist hätte vielleicht diese
Beleuchtungswirkung sogar übertrieben. Und daß dieser Effekt bei Gelegen-
heit einer zu scharfen Reinigung aus der Farbenskizze einmal weggewaschen
worden wäre, ist deshalb gänzlich ausgeschlossen, weil die hellen Farben
den Lösungsmitteln mehr, bedeutend mehr Widerstand leisten als die
dunklen. Davon war in meinen Arbeiten wiederholt die Rede, und alle
kunstverständigen Restauratoren werden mir diese Behauptung bestätigen.
Wir haben also in dem jüngst aufgefundenen Farbenentwurf
eine noch vorbereitende Entwicklungsstufe vor uns, die zwar
dem endgültigen Bilde schon sehr nahesteht, es aber in einigen
Stücken noch nicht erreicht.
Endlich sei eine Äußerlichkeit beachtet, die prächtig zur Annahme
paßt, daß wir es mit Tizians eigenhändiger Farbenskizze zu tun haben, die
er beim Wettbewerb ausgestellt hatte. Es sind Ränder mit alter Vergoldung
festzustellen, und oben sind die Zwickel mit schlichtem alten Goldgrund
gefüllt. Daß man eine Kopie so kostbar ausgestattet hätte, ist wenig wahr-
scheinlich. Vielmehr läßt sich vermuten, daß die Skizze für die wichtige
Konkurrenz so glänzend als möglich hergerichtet war und daß man sie zu
diesem Zweck mit Blattgold umgab. Ein würdiger Rahmen war wohl nicht
so rasch zu beschaffen.
Tizians Entwurf muß zu Zeiten böse vernachlässigt worden sein.
Deutliche Spuren wiederholter Restaurierungen sind unschwer erkennbar.
Alte Ritocchi an vielen Stellen, zumeist im Baumlaub. Eine größere Er-
gänzung im vergoldeten Zwickel links oben. Der alte Firnis, den ich in
diesem Fall nicht entfernt wissen möchte, da er mit den Lasuren engstens
verbunden ist, hat sich gelblich verfärbt. Das stört den Eindruck nur wenig,
und man kann sich das Bildchen leicht in einer etwas helleren Tonart vor-
stellen. Dagegen wirken zahlreiche alte Übermalungen, die stark nachge-
dunkelt haben, recht peinlich, und der Anblick könnte gehoben werden,
wenn man z. B. die ockerige Tunke in den Wolken unmittelbar über den
Engelchen und die zwei Flecke im Himmel zwischen dem Kopf des
fliehenden Dominikaners und dem mittleren Baum sowie einige allzu dicke
Vermalungen von Sprüngen vorsichtig entfernen wollte. Die Ausbesserung
des Goldzwickels links ist von geringerem Belang.
Trotz der angedeuteten Schäden, die ja bei keinem alten Venezianer
fehlen, der in der Welt herumgekommen ist, kann man das Werk als leid-
lich gut erhalten bezeichnen.
Die Skizze (hoch 65, breit 40 Zentimeter) ist auf eine Leinwand,
beziehungsweise auf ein Hanfgewebe gemalt, wie es bei Tizian in seiner
besten Zeit gewöhnlich festzustellen ist.*)
Die Leinwand ist weiß grundiert, wie es scheint mit Gipsleim.
Dann folgt wohl nur in den Schattenpartien (das Ganze läßt sich ja nicht
abnehmen, um die Farbe der zweiten Grundierung festzustellen; die Ecke
*) Eine Probe solcher Tizianscher Leinwand war im II. Band der „Studien und
Skizzen“ vergrößert abgebildet.
Altarbild ergoß, wie schon Vasari hervorhebt, sich ein Strom von Licht
durch das Baumlaub herunter auf den sterbenden Blutzeugen. Hätten wir
eine Kopie vor uns, so wäre doch dieser wesentliche Bestandteil des großen
Originals nicht einfach beseitigt worden. Ein Kopist hätte vielleicht diese
Beleuchtungswirkung sogar übertrieben. Und daß dieser Effekt bei Gelegen-
heit einer zu scharfen Reinigung aus der Farbenskizze einmal weggewaschen
worden wäre, ist deshalb gänzlich ausgeschlossen, weil die hellen Farben
den Lösungsmitteln mehr, bedeutend mehr Widerstand leisten als die
dunklen. Davon war in meinen Arbeiten wiederholt die Rede, und alle
kunstverständigen Restauratoren werden mir diese Behauptung bestätigen.
Wir haben also in dem jüngst aufgefundenen Farbenentwurf
eine noch vorbereitende Entwicklungsstufe vor uns, die zwar
dem endgültigen Bilde schon sehr nahesteht, es aber in einigen
Stücken noch nicht erreicht.
Endlich sei eine Äußerlichkeit beachtet, die prächtig zur Annahme
paßt, daß wir es mit Tizians eigenhändiger Farbenskizze zu tun haben, die
er beim Wettbewerb ausgestellt hatte. Es sind Ränder mit alter Vergoldung
festzustellen, und oben sind die Zwickel mit schlichtem alten Goldgrund
gefüllt. Daß man eine Kopie so kostbar ausgestattet hätte, ist wenig wahr-
scheinlich. Vielmehr läßt sich vermuten, daß die Skizze für die wichtige
Konkurrenz so glänzend als möglich hergerichtet war und daß man sie zu
diesem Zweck mit Blattgold umgab. Ein würdiger Rahmen war wohl nicht
so rasch zu beschaffen.
Tizians Entwurf muß zu Zeiten böse vernachlässigt worden sein.
Deutliche Spuren wiederholter Restaurierungen sind unschwer erkennbar.
Alte Ritocchi an vielen Stellen, zumeist im Baumlaub. Eine größere Er-
gänzung im vergoldeten Zwickel links oben. Der alte Firnis, den ich in
diesem Fall nicht entfernt wissen möchte, da er mit den Lasuren engstens
verbunden ist, hat sich gelblich verfärbt. Das stört den Eindruck nur wenig,
und man kann sich das Bildchen leicht in einer etwas helleren Tonart vor-
stellen. Dagegen wirken zahlreiche alte Übermalungen, die stark nachge-
dunkelt haben, recht peinlich, und der Anblick könnte gehoben werden,
wenn man z. B. die ockerige Tunke in den Wolken unmittelbar über den
Engelchen und die zwei Flecke im Himmel zwischen dem Kopf des
fliehenden Dominikaners und dem mittleren Baum sowie einige allzu dicke
Vermalungen von Sprüngen vorsichtig entfernen wollte. Die Ausbesserung
des Goldzwickels links ist von geringerem Belang.
Trotz der angedeuteten Schäden, die ja bei keinem alten Venezianer
fehlen, der in der Welt herumgekommen ist, kann man das Werk als leid-
lich gut erhalten bezeichnen.
Die Skizze (hoch 65, breit 40 Zentimeter) ist auf eine Leinwand,
beziehungsweise auf ein Hanfgewebe gemalt, wie es bei Tizian in seiner
besten Zeit gewöhnlich festzustellen ist.*)
Die Leinwand ist weiß grundiert, wie es scheint mit Gipsleim.
Dann folgt wohl nur in den Schattenpartien (das Ganze läßt sich ja nicht
abnehmen, um die Farbe der zweiten Grundierung festzustellen; die Ecke
*) Eine Probe solcher Tizianscher Leinwand war im II. Band der „Studien und
Skizzen“ vergrößert abgebildet.