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Studien und Skizzen zur Gemäldekunde — 3.1917/​1918

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Nr. 4
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Frimmel, Theodor von: Malerische Naturbeobachtungen, 2: durchbrechende Strahlenbündel
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https://doi.org/10.11588/diglit.52767#0122

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als solche gewöhnlich nicht sichtbar, meist durch eine besondere Helligkeit
der Wolken angedeutet ist. Nach bekannten Beobachtungen und Ableitungen
können die gleichlaufenden (parallelen) Lichtbüschel nur einen gemein-
samen Verschwindungspunkt haben. Unlängst sah ich eine Skizze von
einem talentvollen Maler mit gutem Farbensinn, in welcher die Lichtbüschel
auf mehrere Verschwindungspunkte bezogen waren. Es ist eine falsche Ge-
nialität, sich über Naturgesetze hinwegheben zu wollen, besonders bei
realistischer oder naturalistischer Kunst. Sogar eine völlig stilisierte Wieder-
gabe kann nicht alles auf den Kopf stellen, ohne damit ins Gebiet des
malerischen Unsinns hinüber zu gleiten*). Symbolistische Kunst hat dann
freilich die größten Freiheiten, aber es wäre ein innerer Widerspruch, durch
symbolistische Kunst gerade eine Naturerscheinung darstellen zu wollen.
Die noch ganz oder wenigstens vielfach stilisierte Kunst der Meister des
Mittelalters und des frühen 16. Jahrhunderts arbeitete noch ohne jede brauch-
bare naturwissenschaftliche Unterlage. Auch die Stimmungsmalerei der Ver-
treter des Donaustils (besonders des Albrecht Altdorf, Wolf Huber) kann
nicht nach dem Maßstab späterer, reiferer Kenntnisse über physikalische,
besonders optische Erscheinungen beurteilt werden, etwa als naturgeschicht-
liche Abbildung, sondern will als künstlerische Vision aufgefaßt und mit
dem verglichen sein, was die vorhergehende Kunststufe geleistet hatte. Erst
in der Zeit eines fertigen Realismus in der Landschaftsmalerei hat natur-
wissenschaftliche Kritik ihr Recht. Paul Bril war ein guter Naturbeobachter.
So hat er z. B. auf einem der kleinen Kupferbilder im Wiener Hofmuseum
das Durchbrechen der Sonne durch die Wolken mit richtiger radiärer An-
ordnung der Lichtbüschel und mit Andeutung der Sonnenscheibe dargestellt.
David Teniers der Jüngere hat einige Jahrzehnte später dagegen
die Lichtbüschel, die von der Sonne kommen, recht oberflächlich beob-
achtet. Der Himmel auf dem Bauerntanz in der Wiener Galerie (Nr. 1156)
stellt augenscheinlich den teilweisen Durchbruch der Sonne durch Wolken
dar. Dabei sind die hellen Streifen aber weder auf einen einzigen Ver-
schwindungspunkt bezogen noch auf die Sonne, deren Helligkeit hinter den
Wolken deutlich genug angegeben ist. Teniers war niemals und nirgends
ein denkender Naturbeobachter, z. B. auch nicht bei der Wiedergabe von
Spiegelungen. Auf solche komme ich noch zurück. Die gleichzeitigen Holländer
standen in dieser Beziehung hoch über Teniers, der hauptsächlich durch
seine ziemlich reiche Erfindungsgabe, durch seine Fixigkeit und nicht zuletzt
durch seine persönlichen Beziehungen zum Brüsseler Hof einen großen
Namen erreicht hat. Ein feiner Geschmack betrachtet einen Teniers in den
meisten Fällen hauptsächlich der Darstellungen wegen. Nur selten weiß er,
eigentlich malerische Reize zu bieten. Von einer wohl beobachteten land-

*) Der Vorteil, den es bietet, manche gewohnte Vorstellung der Sicherheit wegen
immer wieder von neuem von verschiedenen Seiten her zu betrachten, sei deshalb
nicht unterschätzt, und ein Auf-den-Kopf-stellen zur Probe als Versuch mag ja gelten,
wenn die Vernunft maßgebend dabei waltet. Ebenso in der Wissenschaft wie in der
Kunst. Das umgekehrte Haus in der jüngsten Pariser Weltausstellung war ein laut
redendes Beispiel dafür, daß wir von der Gravitation nicht loskommen werden, so-
lange es Menschen gibt. Denken wir uns die Gravitation weg, so müßte vor allem
unser Körper als völlig geplatzt vorgestellt werden. Denn beim plötzlichen Aufhören
jedes Luftdrucks und jeder Schwere müßten alle Hohlräume des Körpers bersten. Die
Sache läßt sich ins Märchenhafte weiterspinnen.
 
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