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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Blümner, Rudolf: Briefe an Paul Westheim, [4]: Zur Geschichte des Sturm und des deutschen Journalismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0020

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Walden nur zum Ruhm gereicht. Denn das
ist seine Berufung: Wer einmal mit ihm in
künstlerische Berührung kam, lebt fortan vom
Hauch seiner Grösse. Das ist etwas, Herr
Westheim, das Sie nicht begreifen können,
weil Sie weder ein Künstler sind, noch für
Kunst einen Sinn haben. Sie werden eine be-
friedigende Antwort von mir erhalten, — wenn
Ihre Frage nicht eine rein journalistische war.
Denn für was Besseres soll man es halten,
wenn Sie fragen, warum Franz Marc „dem
Geschäftsbetrieb des Sturm entlaufen“ ist?
„Ganz zu schweigen von den Fällen Marc . . .“
Als ich dieses las, dachte ich, hier sei Ihnen
wieder eine Unordentlichkeit in der Gedanken-
kette vorgekommen. Oder macht dieser Mensch
Witze? Mit Toten macht er Witze? Sollten
Sie Kenntnis gehabt haben von einigen jener
fielen hundert Briefe, die Franz Marc an
Herwarth Walden gerichtet, wissen, wie er
sich darin über Sie geäussert hat ? Fall Marc?
Ist Franz Marc nicht gefallen? Und das nennt
dieser Mensch „dem Geschäftsbetrieb des Sturm
entlaufen“? Wahrhaftig, er macht Witze.
Darum schrieb ich im Juniheft des Sturm
(1920) unter anderen kritischen Fabeln diese:
Ein Held nahm Abschied von seinem treusten
Freund und zog in den Krieg. Dort wurde
er von den Feinden erschlagen. Ein Journalist
schrieb: Nun ist er dem Geschäftsbetrieb
seines treuen Freundes entlaufen.
Paul Westheim gewidmet.
Ich glaubte, Sie würden das mit Beschämung
hinnehmen und schweigen. Statt dessen
schrieben Sie mir unter der Adresse des Sturm
auf einer Postkarte:
Sehr geehrter Herr Doktor! Als guter Erzähler
sollten Sie sich vor einer im „Sturm“ üblichen
Gepflogenheit hüten, die Pointe Ihrer Ge-
schichten zu unterdrücken. Die kritische
Fabel Nr. 5 geht noch weiter, nämlich: Und
als der Held erschlagen wTar, machte der
treueste Freund sich daran, ihm seine Habe
wegzunehmen. Die arme Witwe, die so von
dem treuesten Freund um alles gebracht wer-
den sollte, musste den Kadi zum Schutz gegen
die Leichenfledderei anrufen. Das ist — der
Fall Westheim.
Ergebenst Westheim.
Der Sinn dessen, was Sie mir als Fortsetzung
meiner Fabel mitteilten, konnte nicht zweifel-
haft sein. Sie wollten mich wissen lassen,
Herwarth Walden habe sich daran gemacht,
dem gefallenen Franz Marc die damals im
Sturm befindlichen Werke wegzunehmen. Die
arme Witwe Franz Marcs, die so durch Walden
um alles gebracht werden sollte, habe gegen

ihn klagen müssen. Wie das „Wegnehmen“
erfolgen sollte, ging aus Ihrer Postkarte nicht
hervor. Die Wendung „machte sich daran“
deutet auf den Versuch eines Diebstahls oder
einer Unterschlagung. Juristisch war ein Dieb-
stahl unmöglich. Zu dessen Tatbestand gehört
zwar das „Wegnehmen“, aber es setzt voraus,
dass das Gestohlene nicht im Besitz oder
Gewahrsam des Diebes gewesen sei. Und so
gern ich glaube, dass ein Mensch, der solche
Postkarten schreibt, keinen Wert auf Genauig-
keit des juristischen Ausdrucks legt, — soviel
war Ihnen jedenfalls bekannt, dass sich die
Bilder im Sturm, also juristisch im Besitz
Waldens befanden. Sie wussten, dass er
sie nicht stehlen konnte. Und damit wäre
dieses eine erledigt. Es kann also nur eine
Unterschlagung gewesen sein, deren Versuch
Sie mit Ihrer Postkarte behaupteten. Aus der
Hinzufügung, dass Frau Marc klagen musste,
geht ferner hervor, dass es infolge dieser Klage
bei dem blossen Versuch der Unterschlagung
blieb. Eine Unterschlagung besteht darin,
dass sich jemand einen Gegenstand aneignet,
den er im Besitz hat, der ihm aber nicht ge-
hört. Sie behaupten also, Walden habe sich
die in seinem Besitz befindlichen Bilder Franz
Marcs aneignen wollen und sei daran nur
durch die Klage der Frau Marc verhindert
worden. Aus Ihrer Postkarte geht nicht her-
vor, ob die blosse Klageanstrengung genügte,
oder ob ein Urteil ergangen war. Dagegen
lässt Ihr Schreiben erkennen, dass Sie nur eine
Zivilklage behaupteten. Von einer strafrecht-
lichen Verfolgung erwähnen Sie nichts, ob-
gleich Unterschlagung Allen als ein straf-
bares Vergehen bekannt ist. Ich kann nicht
glauben, dass Sie ein solches Strafverfahren
gegen Walden etwa aus Zartgefühl auf Ihrer
Postkarte nicht erwähnt haben. Sie wussten,
dass eine Strafverfolgung von Seiten der Frau
Marc nicht beantragt war. Da Sie aber eine
Handlungsweise behaupteten, die nur als Unter-
schlagung oder strafbarer Versuch einer solchen
ausgelegt werden kann, so mussten Sie an-
nehmen, dass es Frau Marc war, die aus Edel-
mut auf eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft
verzichtet hatte. Sie glaubten das umsomehr
annehmen zu dürfen, als Frau Marc durch ihre
Zivilklage tatsächlich ihres Mannes Habe retten
konnte und vor Armut geschützt blieb. Auch
hatten Sie natürlich Kenntnis von den Briefen
Franz Marcs, die im Verlag Cassirer erschienen
sind. Auch war Ihnen nicht entgangen, dass
der Name Herwarth Walden in diesen Briefen
durch Punkte ersetzt ist. Da es sich meist um
Aeusserung der Verehrung und Dankbarkeit
handelt, nahmen Sie an, Frau Marc müsse
einen triftigen Grund haben, den Namen eines

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