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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Erstes Heft
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Walden, Herwarth: Grosses Theater: In vielen Kritikern
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0032

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übrigens auch bei Mörike. Schmerzlich.
Aber die Eigenart liegt in der wehmütigen
Erinnerung. Aber er ist eine Persönlich-
keit, dieser Herr Alfred Günther. Er
dichtet auch direkt, nicht nur im Anschluss
an meinen Trieb. So eine Dichtung heisst
zum Beispiel „Sternwende“ und ist eine
schlechte Mischung von August Stramm,
Lothar Schreyer und Herwarth Walden.
Die Klassiker sind schon zu oft nach-
gedichtet. Ausserdem verlangt das Publi-
kum Expressionismus aus zweiter Hand,
aber mit Herz.
Frau: Rosenblättriges
Gestirn . . . Rosenfingrige Eos.
Mann: Singst du? Musik von Herwarth
Walden
Frau: Antwortest du
mir? Faute de mieux
Mann: Wir wollten
glücklich sein Wehmütige Erinne¬
rung
Frau: Töte Gott! Berliner Tageblatt
mit Handelszeitung
Mann: Immer war Er Nebelige Vollmond-
zwischen dir und nächte
mir
Frau: Töte Gott! Du musst das drei-
mal sagen
Mann: Ich fürchte Ihn
nicht Mitarbeiter des Ber¬
liner Tageblatts
Frau: Jede Nacht be¬
droht Er mich Mit Zuchthaus nicht
unter
Unsichtbare Chöre: Aehren in Gottes Wind
Blumen auf Gottes Land.
Gottes eignes Kind
Menschen sternentbrannt
Das hat Alfred Günther ganz allein ver-
dichtet. Und diese Symbolik. Freilich
muss man es verstehen, mit dem Herzen zu
lesen. Wehmütige Erinnerung . . . Wir
wollten glücklich sein.
*
Auftritt ein Herr Schilling, der wirklich
keinen Pfennig wert ist. Aber Herr Schilling
ist lustig: „Von Regie keine Spur. An Trieb
ist auch nicht ein Satz, der neu wäre oder
nach dieser Formulierung geschrieen hätte.
Es ist eine schlechte Posse der neunziger
Jahre ohne jeden Aufwand geistiger Gaben.“

Warum spottet er der Armen im Geiste.
Es kann doch nicht jeder ein Schilling sein.
Herr Schilling ist nämlich Expressionist.
Er hat ein „unveröffentlichtes Drama“ ver-
öffentlicht: Der Führer! Nämlich so: „Bei
den letzten Worten verlischt das Licht
sämtlicher Lampen im Kaffeehaus völlig,
so dass dieses im Dunkeln liegt, die Sitzen-
den sind nicht mehr sichtbar, lediglich der
Kopf des stehenden Dichters erscheint als
Silhouette. Das graue Licht der Szene
wird allmählich blau, es treten mehr und
mehr auf Krieger und Bewaffnungssklaven.“
Den Kopf muss man gesehen haben, nament-
lich wenn er blau macht. Jeder Satz neu
oder er schreit nach dieser Formulierung.
Das Kaffeehaus liegt nämlich sonst nicht
im Dunkeln, wenigstens nicht das bessere
Kaffeehaus. Es hat stets eine Karbidlampe
in Reserve. Dieses Kaffeehaus muss sich
mit dem Kopf des Dichters begnügen. Doch
die Silhouette ist poetisch. Sogar eine Spur
von Regie. Regie ist überhaupt seine Stärke:
„Spartakus (Die Szene verdunkelt sich
allmählich, sein Kopf steht im hellgelben
Scheine eines ihn von vorn steil treffen-
den Scheinwerfers. Die Bühne ist nach
kurzem ganz dunkel, der steile Strahl
und der Kopf leuchten.“)
Ein Köpfchen, dieser Schilling. Er ver-
steht sich auf die Regie. Er lässt sich grau,
blau und hellgelb beleuchten, steht fest im
Dunkeln, trotzdem ihn der Scheinwerfer
von vorn steil trifft. Nicht einmal mit den
Augenwimpern zuckt er. Er nimmt es mit
dem Scheinwerfer auf, dieser Spartakus.
Dieser Spartakus im Kaffeehaus. Hierauf
spricht er:
Der Dichter: — — Ungewiss, wes der
Ruf. Ungewiss Ziel und Wille. Sehet:
(Er verschwindet)
Ich habe es doch gewusst, der Schilling ist
Expressionist. Zwei Gedankenstriche vorn,
zum Schluss ein Doppelpunkt, und dann
verschwindet er in Klammern. Er tritt
sogar im ganzen unveröffentlichten Drama
nicht wieder auf. Man kann das verstehen.
Ihm ist das Herz so voll, dass er sich
höchstens in Klammern ausdrückt. Er wird
doch den Aufwand geistiger Gaben nicht
vor die Leser werfen, dieser individualistische
Sozialist. Er, der sich hellgelb vom Schein-

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