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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Zweites Heft
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Blümner, Rudolf: Briefe an Paul Westheim, [5]: Zur Geschichte des Sturm und des deutschen Journalismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0047

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Bände deutscher Kunstkritik, schauerliche
Dokumente der Unzulänglichkeit, durch-
gelesen und nichts gefunden habe, worin
oder wodurch Sie Ihre plötzlich veränderte
Anschauung über Kandinsky auch nur
einigermassen plausibel machen. Dass Sie
in naher oder ferner Zukunft Hymnen auf
Kandinsky anstimmen werden, daran zweifle
ich schon heute nicht mehr. Wie nannten
Sie ihn kürzlich in der Frankfurter Zei-
tung: „Eine problematische Erscheinung!“
Schlimmeres wollen Sie ihm also nicht
mehr nachsagen? Von der problematischen
Erscheinung bis zum bewunderten Genie
oder wenigstens zur Aeusserung der Be-
wunderung ist bei Ihnen bekanntlich nicht
einmal ein Schritt. Aber wie es die
Schildbürger nicht vertragen können, dass
man ihnen etwas Kluges zutraue, so ver-
driesst es Sie, der Vernunft soviel nachzu-
geben, dass Sie Kandinsky nur eine pro-
blematische Erscheinung nennen. Darum
schreiben Sie schnell hinterdrein etwas vom
Abklatsch Kandinskys, den Der Sturm aus-
stelle. Aber wer seit zehn Jahren über die
neue Kunst so schreibt, wie Sie es getan
haben, der könnte ein noch besseres Ge-
dächtnis haben, als es das Ihrige ist, er
würde sich doch in Widersprüche ver-
wickeln. Abklatsch von Kandinsky! So
etwas gibt es? Von einem Maler, der
kunterbunt drauflospinselt, der schlechtes
Tunkpapier anfertigt, von einem solchen
Fratzen gibt es nicht nur einen Abklatsch,
sondern ausserdem noch einen solchen,
den Der Sturm ausstellt? Sapperlot, muss
der Abklatsch schlecht sein! Armer Rudolf
Bauer und wen Sie sonst noch zu diesem
Abklatsch rechnen. Aber Sie, Herr West-
heim, werden sogar eines Tages diesen Ab-
klatsch preisen, und das sogar noch, bevor
Sie begriffen haben, worin sich Rudolf
Bauer von Kandinsky unterscheidet. Und
darum darf ich nicht einen Augenblick
zögern, festzustellen, wie Sie die „proble-
matische Erscheinung“ im Jahr 1916 ver-
standen haben, als Sie nämlich noch nicht
glaubten, dass Laien in der Bewunderung
und im Verstehen Kandinsky’scher Bilder
einen so gewaltigen Vorsprung vor Ihnen
haben könnten.
„Sein Akrobatentum hat etwas von der
Suche nach dem perpetuum mobile. Er
weist einem nach, weist einem sogar über-

zeugend nach, dass eine Malerei rein
aus Farbenklängen eigentlich funktionieren
müsste. Aber da diese theoretische Malerei
eine Uebersteigung des Prinzips ist, da sie
ihm keine Möglichkeit mehr bietet, seine
Empfindungen zu objektivieren, so wird er
nichtssagend für das Empfinden des Be-
schauers. Seine Flächen, mögen sie Traum-
gebilde eines noch so absoluten Malergeistes
sein, werden gigantische Tunkpapiere.“
Und ein Mensch, der so etwas schreibt,
redigiert ein „Kunstblatt“. Ein Mensch,
der sich einbildet, ein Maler objektiviere
Empfindungen, schreibt über Kunst! Ein
Mensch, der von Traumgebilden faselt,
wagt es, von „Mitläufern“ zu reden, die
Der Sturm ausstelle. Wer ist denn der
„Mitläufer“? Rudolf Bauer, Nell Walden,
Wauer und Goering? Oder etwa Sie? Ja,
Sie, Herr Westheim, Sie sind der Mitläufer.
Sie laufen seit einigen Jahren mit. Oder
nein. Sie laufen ja gar nicht mit, Sie laufen
hinterher. Alle paar Jahre laufen Sie hinter-
her und verkünden den Ruhm von Malern,
die Sie vorher auf jede Weise verkannt
und geschmäht haben. Und während Sie
so hinter denen herlaufen, die der Sturm
zur Anerkennung gebracht hat, verkennen
und schmähen Sie die Jüngeren, die Sie
nach ein paar Jahren wieder anerkennen
und preisen müssen.
Und damit, Herr Westheim sind wir so
weit, dass wir einen Schritt weiter tun
können. Nur einen Schritt. Und nur einen
Satz. Er heisst:
„Auch wird man es da (gemeint war Der
Sturm und Herwarth Walden) wohl kaum
begreifen, dass es nicht gerade die besten
Kritiker sind, die dumm und hartköpfig
einem Schaffenden gegenüber bei ihrem
Verdikt bleiben, eben nur — weil sie es
einmal ausgesprochen haben.“
Wenn ich diesen Satz mit jenem von Kan-
dinskys Entwicklung vergleiche, so muss
ich sagen, dass Sie sich darin selbst über-
troffen haben, oder dass der erste Satz, der
an Sinnlosigkeit seines Gleichen zu suchen
schien, von dem zweiten doch noch Über-
boten wird.
Wenn der Anfang des Satzes: „Auch wird
man es da wohl kaum begreifen“ nicht
eine blosse journalistische Redensart ist, so
gehört er mindestens zu den von Ihnen be-
vorzugten Wendungen. Denn Sie bringen

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