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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Zweites Heft
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Blümner, Rudolf: Briefe an Paul Westheim, [5]: Zur Geschichte des Sturm und des deutschen Journalismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0052

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Verdikt“ soll heissen: bei der Verurteilung,
die sie früher einmal für Wahrheit hielten.
Aber machen Sie sich nicht viel Hoffnung
auf eine solche Auslegung. Denn erstens
sprechen Sie von sich aus, und nicht vom
Standpunkt der Dummen und Hartköpfigen.
Und ausserdem nehmen Sie ja an, dass die
Dummen und die Hartköpfigen wissen,
dass ihr vermeintlicher Wahrspruch falsch
war: „eben nur, weil sie es ein-
mal ausgesprochen haben.“ Die
Hartköpfigkeit soll also der einzige Grund
dafür sein, dass diese Kritiker bei ihrem
früheren Urteil bleiben. Und daraus würde
sich ergeben, dass ihre Dummheit gerade
in dieser Hartköpfigkeit besteht. Soweit
also, Herr Westheim, habe ich Sie verstanden.
Was aber wollen Sie mit dem ganzen Satz
sagen? Gott behüte, dass Sie auf bestimmte
Kritiker anspielen. Oder wollen Sie im
Ernst behaupten, dass es solche Kritiker
gibt? „ . . . dass es nicht die besten Kritiker
sind, die . . . “ Dieses „sind“ kann nur
heissen: es gibt solche Dummköpfe. Kritiker,'
die zum Beispiel noch heute auf Kandinsky
schimpfen, um bei Ihrem eigenen Beispiel
zu bleiben. Aber freilich sollen nur die-
jenigen nicht die besten Kritiker, sondern
Dummköpfe sein, die auf einen Schaffenden
einzig aus dem Grunde schimpfen, weil sie
früher einmal auf ihn geschimpft haben.
Und da sehen Sie, in welche Verlegenheit
Sie mich bringen. Wie soll ich einem
Kritiker nachweisen, dass er nur aus einem
solchen Grunde bei seinem ehemaligen
„Verdikt“ zum Beispiel gegen Kandinsky
bleibt? Wird nicht jeder behaupten, dass
er seine guten Gründe habe? Ja, wer wüsste
besser als Sie, dass jeder, der schimpft, be-
hauptet, er habe seine Gründe? Zweifle ich
denn daran, dass Sie Kandinskys Malerei
wirklich nicht begreifen? Zweifle ich bei
irgend einem, der wertvolle Kunstwerke
tadelt, dass er wirklich nichts von Kunst
versteht? Herr Westheim, ich frage Sie
noch einmal: Gibt es wirklich Kritiker,
die auf die neue Malerei nur deswegen
schimpfen, weil sie es früher einmal getan
haben? „ . . . eben nur, weil . . . “ Das
heisst: sonst haben sie keine Ursache zu
tadeln. Sie haben inzwischen eingesehen,
dass ihr früherer Tadel ein Irrtum war,
aber sie tadeln weiter, dumm und hart-
köpfig, eben nur, weil sie früher ein¬

mal getadelt haben. Ich gebe Ihnen mein
Wort, Herr Westheim, dass ich nicht einen
Kritiker nennen könnte, dem ich eine solche
Dummheit, Hartköpfigkeit und darum
schuftige Niederträchtigkeit zutrauen dürfte.
Auch Ihnen nicht. Dafür trauen Sie anderen
Kritikern so etwas zu. Behaupten, es gibt
solche Kritiker. Denn hier kann ich Ihnen
nicht einmal zu Hilfe kommen, um Ihnen
aus den Schlingen Ihres Satzes herauszu-
helfen. Ich kann Ihnen nicht zu der Be-
hauptung raten, das Ganze sei etwa von
Ihnen nur hypothetisch gesagt gewesen.
Dafür haben Sie sich zu positiv ausgedrückt.
Und was wichtiger ist: in einer hypothetischen
Auffassung bricht Ihr ganzer Satz als eine
vollkommene Sinnlosigkeit zusammen. Er
würde hypothetisch so lauten: „ . . . dass
es nicht gerade die besten Kritiker wären,
die usw.“ Dieses würde heissen: Es gibt
zwar keine solchen Kritiker, aber wenn
es sie gäbe, wären sie nicht gerade die
besten. Eine solche geringfügige Weis-
heit braucht ein leidlich vernünftiger Mensch
nicht erst niederzuschreiben: dass nämlich
ein dummer, hartköpfiger Kritiker, der
wider sein besseres Wissen und Gewissen
Künstler tadelt, also ausserdem noch ein
Lump ist, nicht als einer der besten Kritiker
gelten könne. Selbst Sie, Herr Westheim,
würden das für so selbstverständlich halten,
dass Sie sogar Walden zutrauten, er könne
es begreifen. Nein, ich kann Ihnen aus
den Schlingen Ihres Satzes nicht heraus-
helfen. Sie haben ihn als positive Be-
hauptung verstanden. Sie wagen es wirklich
auszusprechen, es gibt solche Lumpen von
Kritikern. Und wenn ich Ihnen wieder-
hole, dass ich dies aus voller Ueberzeugung
nicht glaube, dann könnte ich Ihnen die
Verantwortung für Ihre unerhörte Be-
hauptung überlassen. Aber leider haben
Sie Ihrer Behauptung eine Vermutung
vorausgeschickt, die nun zwar ihrerseits
von Ihnen hypothetisch gefasst, aber, wie
ich Sie verstehe, positiv gedacht ist. „Auch
wird man es da (Herwarth Walden) wohl
kaum begreifen, dass Diese Ver¬
mutung rückt Ihren ganzen Satz erst in die
richtige Beleuchtung. Wenn Sie nämlich
vermuten, dass Walden Sie nicht begreifen
werde, so können Sie damit nur das Fol-
gende gemeint haben. Erstens hält Walden
solche dumme, hartköpfige Lumpen für die

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