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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Drittes Heft
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Blümner, Rudolf: Briefe gegen Paul Westheim, [6]: Zur Geschichte des Sturm und des deutschen Journalismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0068

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gleich auch das nicht das Wesentliche Ihrer
entgegnenden Bemerkungen trifft. Denn wie-
der verteidigen Sie sich gegen etwas, das man
Ihnen garnicht vorgeworfen hat. Goethe und
Heine werden von Ihnen zitiert, um zu
zeigen, dass auch sie keine Scheu getragen
haben, ihre Meinung zu ändern. Goethe
und Heine! Welchen Wust von Verdreht-
heiten muss ich da wieder hinwegräumen.
Was ist das wieder für ein Durcheinander
von qui und quo! Von scheinbaren Miss-
verständnissen und logischen Umdrehungen.
Wie oft soll ich Ihnen noch schreiben, dass
Ihnen niemand, auch Walden nicht, vor-
geworfen hat, Sie hätten in Kunstdingen
Ihre Ansicht geändert, nur Ihre Ansicht
geändert. Geben Sie, ich beschwöre Sie,
in Ihren künftigen Erwiderungen endlich
diese falsche Voraussetzung auf. Spielen
Sie nicht immer den zu Unrecht Gekränkten.
Was hat Ihre ganze Erwiderung für einen
Sinn, wenn Sie die Vorwürfe nur zur Hälfte
oder weniger gehört haben wollen. Schriebe
ich nur für Sie, so könnte ich Ihre Bemer-
kungen über Goethe und Heine und mich
zu Ihren Akten legen. Denn Sie wissen
sehr gut, dass man Ihnen etwas ganz an-
deres vorwirft als eine lumpige Ansichts-
änderung in künstlerischen Dingen. Da Sie
aber vor Ihren Lesern so sonderbares Zeug
ausbreiten, sollen Sie so gründlich wie
sonst von mir widerlegt werden. Ich will
Ihnen jetzt ein für allemal die Lust nehmen,
Ihren Fall als eine Bagatelle oder wohl gar
als etwas Tugendhaftes hinzustellen.
Fürs Erste hätten Sie sich Ihre grossen
klassischen Zeugen Goethe und Heine über-
haupt sparen können. Weil, wie Sie ent-
deckt haben, auch Goethe und Heine ge-
legentlich oder vielleicht sogar öfter ihre
Ansicht in künstlerischen Dingen geändert
haben, wollen auch Sie das Recht haben,
in künstlerischen Dingen Ihre Meinung zu
ändern? Auch Sie? Auch? Goethe, Heine
und Sie — und sonst niemand? Äusser
Ihnen dreien soll niemand das Recht haben,
in künstlerischen Dingen seine Meinung zu
ändern? Hat nicht jeder Mensch das Recht,
seine Meinung, jegliche Meinung zu ändern,
also auch in Kunstdingen? Ist es nötig, um ein
solches Recht zu beweisen, sich auf Goethe
und Heine zu berufen? Wenn man einem
Menschen zum Vorwurf macht, er habe
ein Geldstück gestohlen, verteidigt sich dann

der Beschuldigte mit den Worten, auch
andere, sogar angesehene und berühmte
Männer hätten gelegentlich Geld in die
Hand genommen.? Hatte man ihm
denn vorgeworfen, er habe Geld in die Hand
genommen? Sehen Sie: von dieser Art
ist Ihre wahrhaft klägliche Verteidigung.
Was ist es, das der beschuldigte Dieb ver-
schweigt? Erstens, dass man ihm nicht
bloss vorgeworfen hat, er habe Geld in
die Hand genommen, und zweitens, dass
jener, auf den er sich beruft, berech-
tigt war, das Geldstück in die Hand zu
nehmen. Und was ist es, das Sie ver-
schweigen? Erstens die Umstände, unter
denen Sie Ihre Ansicht geändert haben und
zweitens die Umstände, unter denen Goethe
und vielleicht auch Heine die ihrige ge-
wechselt haben. Wie ist es nur möglich,
dass ein erwachsener Mensch, der Sie doch
sind, sich hinsetzt und beweisen will, man
dürfe seine Ansicht ändern? Soll ich
Ihnen etwas vertrauen? Auch ich habe
oft im Leben meine Ansicht in Kunstdingen
geändert Ich habe in früheren Jahren
Manchen und Manches bewundert und ver-
ehrt, das ich heute nicht mehr verehren
und bewundern kann. Und wie wäre es
anders möglich? Erweitert sich nicht der
Kreis der Kunstwerke, die wir kennen
lernen, verengert sich nicht mit den Jahren
der Kreis des künstlerischen Begriffs? Muss
nicht ein Mensch, sei er selbst Künstler,
sei er kunstempfänglich, Vielerlei, das ihm
durch Erziehung, Tradition oder Gewohn-
heit in der Jugend als Kunst erschienen
war, später geringer oder garnicht als Kunst
einschätzen? Lernt er nicht Vieles kennen,
dass ihm unbekannt geblieben war, wodurch
ihm Früheres geringer oder als keine Kunst
erscheint? Und muss das nicht ganz be-
sonders denen so ergehen, die vor der Zeit
dieser Kunstwende geboren und in diese
Zeit hineingewachsen sind? Und ist das
nicht Alles selbstverständlich? Für Sie
wohl nicht, Herr Westheim, da Sie sich
erst auf Goethe berufen müssen, der als
sehr junger Mensch, vom Anblick des
Strassburger Münsters berauscht, die go-
thische Baukunst über alles, auch über die
italienische Baukunst pries, aber später in
sehr herabsetzenden Worten von ihr sprach,
als er nämlich in Italien Palladios Bau-
werke gesehen hatte. Und solches, Herr

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