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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Fünftes Heft
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Blümner, Rudolf: Zur Geschichte des Sturm und des deutschen Journalismus, [8]
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0124

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Entschuldigung. Sie könüen hinzufugen,
dass Sie schon seit Jahren oft nicht wissen,
was Sie schreiben, dass Sie im journalis-
tischen Getriebe herangewachsen sind und
sich darum an die üblichen Clichys halten
müssen, und was dergleichen mehr zu er-
wähnen wäre. Sie werden schon das Rich-
tige treffen und ich wünsche Ihnen guten
Erfolg. Aber jetzt müssen wir uns auf die
Beine machen. Wir haben noch einen
weiten Weg, und mich dünkt, Sie hätten
sich genugsam erholt. Nur dass ich Ihnen
noch ein paar Worte über Puni sagen
könnte. Ich schlage vor, wir halten es mit
ihm, wie Sie es seit einigen Jahren mit den
Künstlern machen, die Sie früher für Clowns
gehalten haben, zum Beispiel Archipenko.
Heute lassen Sie sich für ihn in Stücke
hauen, — was leider auch nur eine Redens-
art ist. Aber ein Blitzkerl sind Sie doch.
Vielleicht sind wir die Toren, die auf Ihre
Kritiken hereinfallen. Vielleicht sitzen Sie
schon da und rechnen den Tag aus, an
dem Sie einPuni-Heft des Kunstblatts heraus-
geben. Und ich wette, Sie haben das Ma-
terial für die ganze Nummer schon bei-
sammen. Aber jetzt genug davon. Munter,
Herr Westheim, und mit allen Kräften zu-
rück zu Ihrem „Fall Campendonk.“
* *
*
Wir sind uns, wie Sie sich erinnern, darin
einig geworden, dass Campendonks spon-
tanes Schreiben eine doppelte Unwahrheit
enthielt. Er hatte sich einverstanden er-
klärt, unter den Lehrern der Sturmschule
genannt zu werden, und jahrelang nichts
dagegen eingewendet. Er hatte sogar da-
rum ersucht, dass ihn Der Sturm als Lehrer
der Schule reklamiere. Es war also eine
zweite Unwahrheit, wenn er sein Fortgehen
vom Sturm mit einem jahrelangen „Vor-
geben" seines Namens als Sturmlehrer
motivierte. Und nun wollen wir uns den
Gründen zuwenden, die Campendonk in
erster Reihe genannt hat. Es müssen wohl
die wichtigeren gewesen sein.
„ ... . Das, was mich veranlasste, vom
Sturm fortzugehen, war mehr der ekelhafte
Betrieb mit Wauer, Nell Walden und wie
die Grössen alle heissen, und die Frech-
heit, mit welcher deren Produkte als höchste
Kunst angepriesen wurde.“
Dieser Satz scheint ruhige und sachliche

Menschen zur Empörung und zur Ünsach-
lichkeit herauszufordern. Er ist so kühn
und so verletzend, dass man seinem Ver-
fasser das Zeugnis des Mutes nicht versagen
möchte. Wer sich so äussert, ohne sich
mit sachlichen Unterlagen abzugeben,
scheint auch nicht zu verlangen, dass man
ihm mit Gegenbeweisen komme. „Ekelhaft
— Betrieb — Frechheit — Produkte — an-
preisen.“ Wer seine Anklage aus solchen
Worten formt, will selbst weniger beweisen,
als Anderen einen Schimpf antun. Wer
das Tun eines Anderen eine Frechheit
nennt, erhebt der wohl selbst Anspruch
darauf, dass man mit ihm gesittet rede
oder diskutiere? Ist er nicht vielmehr
darum so mutig, weil er es darauf an-
kommen lässt, dass der Beschimpfte ihn
körperlich züchtigt? Weil er nämlich das
bisschen Geldstrafe wegen öffentlicher Be-
leidigung gern hinnimmt, wenn nur die
Welt erfahren habe, dass jenes Treiben ekel-
haft und jenes Tun eine Frechheit genannt
worden war? Und weil der Beschimpfte
auch darum von einer gerichtlichen Be-
strafung keine Genugtuung erhoffen kann,
weil die Form der Beschimpfung nichts
enthält, was der Beschimpfte zu wider-
legen hätte. Aber es gibt allerlei, was den
Mut eines Campendonk fraglich macht.
Zu den Beschimpften gehört eine Frau, und
Campendonk musste nicht mit Bestimmt-
heit annehmen, dass sie die Beschimpfung
mit einem Schlag ins Gesicht erwidern
werde. Nicht mit Bestimmtheit, obgleich
sie nicht die einzige Frau wäre, die sich
mutiger zeigt als ein mutiger Beschimpfer.
Aber vielleicht hatte Campendonk von
Wauer oder von Herwarth Walden, dem
Mann der Beschimpften und indirekt selbst
Beschimpften, die körperliche Züchtigung
zu gewärtigen? Oder konnte er damit
rechnen, dass Raum und Zeit die Empörung
gesitteter Menschen zur Ruhe bringen wer-
den? Aber wenn unter diesen Erwägungen
Campendonks grosser Mut schwindet,
so bleibt vielleicht der kleinere Mut
zu retten, dass er die Unnannehmlichkeit
einer gerichtlichen Bestrafung um seiner
Überzeugung willen gern erdulden wollte.
Doch grade um den Ruf dieses kleinen
Mutes ist es ganz besonders schlecht be-
stellt. Denn ich habe den Brief schon ver-
öffentlicht, in dem Campendonk seine Be-

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