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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Sechstes Heft
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Walden, Herwarth: Unter den Sinnen, [2]: Dichtung zwischen Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0137

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kann. Durch dieses Loch könnte ich auf
eine weisse Wiese blicken.
Erzählen Sie mir doch mehr von der Po-
litik. Wir interessieren uns nämlich glühend
dafür.
Der Friede ist die Harmonie der Seelen,
sage ich zu meinen Lesern. Die rohe Ge-
walt muss von der Erde verschwinden.
Der Kampf des Geistes ist die Würde des
Menschen. Verflucht. Dass die Leute nicht
die Wurzeln entfernen können. *
Sie haben sich doch nicht weh getan. Wollen
Sie sich nicht setzen.
Danke. Die Würde des Menschen ist in
die Hand des Künstlers gegeben.
Sie haben eine richtige Frauenhand.
Die Kraft des Geistes ist nicht von der
Materie abhängig. Ich handle nur im Namen
meiner sittlichen Mission.
Sie sind doch sonst für die freie Liebe ge-
wesen.
Als Politiker muss man auch auf die kleinen
Freuden des Lebens verzichten können.
Wenigstens theoretisch.
Gott sei dank.
Wie meinen Sie.
Dass es noch eine sittliche Mission auf der
Erde gibt.
Würden Sie dafür kämpfen können.
Ich interessiere mich glühend für die Sitt-
lichkeit.
Es sind sehr ernste Probleme, über die ich
mir heute bei meinem Artikel klar gewor-
den bin. Ihnen traue ich zu, dass Sie meine
Haltung würdigen werden. Die Bänke
sollten wenigstens eine Lehne haben.
Die Ehe ist eine unmoralische Einrichtung.
Ich werde nie heiraten.
Wir müssen nach Hause gehen, Martha.
Sie langweilen sich bei tieferen Gesprächen.
Es hat ja doch keinen Zweck.
Kommt da nicht Vater.
Auf Wiedersehen morgen.
Ich stelle Sie einfach vor.
Ich gehe der Roheit aus dem Wege. Meine
Nerven sind zu fein organisiert.
Ist der feige.
Macht es Dir etwa Spass, Dich mit Vater
zu unterhalten.
Das ist ja ein Fremder.
Wie schön er über die Sittlichkeit gesprochen
hat. Hätte ich doch nur andere Strümpfe
angezogen.
Eigentlich ist er dafür noch viel zu jung.

Ich fühle mich durch sein geistiges Ver-
trauen geadelt.
Das ist doch Annas Doktor.
Verstehst Du, wie man sich in den verlieben
kann.
Anna ist eben Theoretikerin des Glücks.
Ich bin für die freie Liebe. Und für die
Sittlichkeit. Komm, sonst ödet uns der
Esel an.
Guten Abend meine Damen.
Wir wollen nicht stören.
Wir werden uns nun bald menschlich näher
treten. Ich bin aufrichtig glücklich, zu so
schönen und begabten Schwägerinnen zu
kommen.
Dass Sie uns überhaupt neben Anna be-
merken.
Ich bestrebe mich stets, Auge und Herz für
alles Schöne, Wahre und Gute offen zu
halten.
Es wird also Ernst mit der Anna.
Diese Bemerkung ist sehr geistreich. Schon
der grosse Dichter sagt, dass das Leben
ernst ist. Ich möchte mit einer kleinen
Variation sagen, heiter ist die Anna.
Das gerade kann man von Anna nicht
sagen.
Es ist die Heiterkeit im übertragenen Sinne.
Nicht die Heiterkeit, die lacht, die Heiter-
keit im Sinne von Horaz.
Die alten Griechen finde ich langweilig.
Darf ich Sie darauf aufmerksam machen,
dass Horaz ein Römer ist, zu dem ich schon
als Primaner ein besonderes Verhältnis
hatte.
Hoffentlich wird Anna nicht eifersüchtig.
Gerade im Geistigen treffen wir uns. Horaz
erhebt die Seelen. Ihn zu übersetzen ge-
hört zu den Zielen meines Lebens.
Und was wird Anna unterdessen machen.
Sie wird mir sehr nützlich sein. Sie hat
eine schöne Handschrift und wird mir alles
ins Reine schreiben.
Ich würde mich weigern.
Wenn ich erst verheiratet bin, werden wir
uns schon in diesem Sinne menschlich
näher kommen. Anna hat mir viel Gutes
von Ihnen erzählt. Bei dem nahen Grade
unserer zukünftigen Verwandtschaft hoffe
ich bald das trauliche Du anwenden zu
dürfen.
Versprechen Sie sich viel Reiz davon.
Ich bin mir nicht bewusst, Ihre Ironie ver-

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