DIE WELTKUNST
Jahrg. IX, Nr. 59/40 vom 6. Oktober
die sog. Masurischen Teppiche sind
in ihrer handwerklichen und künstlerischen
Gestaltung Höchstleistungen einer bäuer-
lichen Knüpfteppich-Kultur, die sich weit
über das Ostseegebiet seit alters her er-
streckt hat. So haben sich Reste dieser
Knüpfteppiche artverwandter nordischer Prä-
gung außer in Schweden und Finnland auch
noch in Pommern und Schleswig-Holstein bis
ins 19. Jahrhundert erhalten. Es sind Hoch-
zeitsgaben, die zur Ausstattung der Braut
gehörten und bei feierlichen Familienanläs-
sen als Raumschmuck dienten.
Im ersten Stockwerk sind weiterhin zwei
Raume der bäuerlichen Ornamentik gewid-
met, die „Sinnbild und Bildsinn in der deut-
schen Bauernkunst“ an Hand von guten
Musterbeispielen und einer vorbildlichen Be-
schriftung außerordentlich einprägsam zur
Darstellung bringen, wie sich aus dem vier-
und sechs-geteilten Kreis als den Symbolen
des Sonnenjahres und der Lebensewigkeit
das Radkreuz, das Hakenkreuz und der
Sechsstern entwickelt und sich als Glücks-
und Segenszeichen bis in unsere Zeit vererbt
haben. Wir finden daher diese Heilszeichen
in den nachfolgenden Räumen auch überall
wieder an den verschiedensten Gegenständen
bäuerlichen Hausrates, Werkzeugen für Haus
und Hof usw., in seinen altüberlieferten
handwerklichen Grund-
formen und vielseitigen
Abwandlungen, die hier
nach ihren Werkstoffen
— Holz, Metall (s. Abb.),
Keramik, Glas, Flecht-
werk — übersichtlich
zusammengefaßt und in
großen Vitrinen zu
prachtvollen Gruppen
geordnet sind. Dabei
ist alles nur auf das
Wesentliche beschränkt,
jede Anhäufung von
Gegenständen gleicher
Art bei der Aufstel-
lung sorgsam vermieden
worden, alles lebendig,
zweckmäßig und zeit-
nahe gestaltet. — Den
Abschluß der Ausstel-
lung bildet endlich
eine Sonderabteilung
„Die bäuerliche Hoch-
zeit als Auftraggeber
der Bauernkunst“ mit
den herrlichen Braut-
trachten der verschie-
denen deutschen Stam-
mesgebiete in ihrem
unerschöpflichen Reich-
tum an Formen- und
Farbschönheit und da-
zu der köstliche Brautschmuck nebst all den
sinnigen Liebes- und Hochzeitsgaben.
Dr. Helmuth Rinne b ach
0
Vitrine mit Schmiedeeisen-Arbeiten
Berlin, Museumfür Deutsche Volkskunde
(Phot. Museum)
Holzschnitte und Kupferstiche
Albrecht Dürers
Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum
Das Germanische Nationalmuseum in
Nürnberg veranstaltet z. Zt. eine Ausstellung
des graphischen Werkes von Albrecht Dürer,
die nahezu vollständig die Kupferstiche und
I lolzschnitte des Meisters zeigt. Außerdem
sind die Zeichnungen aus dem Bestände des
Museums — vor allem die Aquarellstudien
nach Krone, Reichsapfel und Schwert Karls
des Großen für das im Museum verwahrte
Kaiserbild — und die herrlichen Blätter der
Erlanger Universitätsbibliothek ausgestellt.
Unter diesen ragt insbesondere das Selbst-
bildnis des etwa 20jährigen Dürer hervor.
Besonderes Interesse erweckt das Aquarell
des ausgebalgten Paradiesvogels, das wegen
seiner lockeren Farbhaltung und glänzenden
Technik wohl sicher Dürer selbst zugeschrie-
ben werden darf.
Aus dem Besitze der Stadtbibliothek zu
Nürnberg wird der aufschlußreiche Brief-
wechsel Dürers aus Venedig mit Willibald
Pirckheimer gezeigt. Endlich ist dem Theo-
retiker Dürer eine eigene Abteilung gewid-
met. Zu dem Originalmanuskript der „Unter-
weisung der Messung“ aus dem Besitze der
Stadtbibliothek sind die ersten Drucke in
Deutschland, Frankreich, Italien, Holland
ausgelegt. Die Schau, die eine klare Vor-
stellung von der Kraft der Dürer’schen Per-
sönlichkeit zu geben vermag, gerade heute
in Nürnberg zu zeigen, ist umso begrün-
deter, als durch eine Verkettung unglück-
seliger Umstände eine Reihe der hervor-
ragendsten Gemälde Dürers im Laufe der
Jahrhunderte aus Nürnberg verschwunden
sind.
Maler sehen
Deutschland
Ausstellung
in der Stadt. Kunstsammlung
Duisburg
Die Städt. Kunstsammlung in Duisburg
veranstaltet zur Zeit eine große Ausstellung
„Maler sehen Deutschland“ mit 200 Werken
von nicht ganz 60 Künstlern. Maler aus
allen Teilen Deutschlands sind eingeladen
und haben Arbeiten geschickt. Die Ausstel-
lung will ein wesentliches Thema heutiger
Kunst zur Diskussion stellen: Die Land-
schaft. Sie stellt es unter dem Aspekt
der jungen Kunst zur Schau. Ausgangs-
punkt ist, daß sich unter der nachstreben-
den Künstlergeneration ein neues Stilwollen
bemerkbar macht. Eine vertiefte Schau
offenbart sich, die aber nicht in einer zeich-
nerischen Neu-Romantik gipfelt, sondern in
einer malerisch - lebendigen Gestaltungs-
weise.
Von Berlin sehen wir Hans Stübner, Her-
mann Teuber, Herbert Tucholski, Otto Nie-
meyer-Holstein, Eulenistein. Diese Künstler-
jugend steht in ihrem ernsten Wollen auf
gleicher Stufe mit der aus Sachsen (unter
anderem die Dresdener Hans Jüchser, Bern-
hard Kretzschmar, Paul Wilhelm, der Leip-
ziger Rudolf Schnabel), dem Rheinland
(Josef Pieper, Düsseldorf, Josef Horn, Bar-
men, Eugen Bechtel und O. Friedrich
Weber, ebenfalls Düsseldorf) und Süd-
deutschland (Heinrich Waldmüller usf.).
Besinnung und Besinnlichkeit, Geradheit
und Gesundheit sind Wesenismerkmale.
Zu diesen Schaffenden haben sich eine
Reihe älterer Künstler gefunden, die nicht
erst seit heute und gestern, sondern oft
schon ein Leben lang einen ähnlichen Weg
gehen. In der Vergangenheit, als man das
Kontrastreiche, Gesteigerte im Guten wie
im Bösen pflegte, standen sie abseits. Wir
meinen den Berliner Artur. Degner,
den Ostpreußen Julius Freymuth,
den Kölner Eugen Kerschkamp, den
Märker P a a t z. Ihre Malerei beseelt das
gleiche Streben nach einer erdgebundenen
innerlich reichen Kunst.
Zu Spitzwegs50.Todesfcig
Vor 50 Jahren, am 23. September 1885, ist
Carl Spitzweg gestorben. Die vielen Nach-
rufe, die bei dieser Gelegenheit geschrieben
wurden, gipfeln alle in dem Ausspruch: t®
ist nicht tot, sondern er lebt weiter, nicht
nur wie viele andere Künstler bei den Ken-
nern und Kunstfreunden, sondern im Herzen
des ganzen Volkes. Wenn wir lesen, daß r®1
Allgemeinen Künstlerlexikon von Müller-
Singer das Schaffen des Meisters mit dem
Satze abgetan wird: „Seine gemütvolle
Genrekunst, die ohne zu verletzen das Phi-
listertum in gutmütiger Weise bloßstellt, er-
innert durch den gesunden, echten Humor an
Schwind“, dann wird uns klar, wie sehr das
Verständnis für seine Werke zugenommen
und sich vertieft hat.
Die Münchener Galerie Heinemann
feiert das Gedächtnis des Meisters durch eine
schöngewählte Ausstellung von rund 50 Bil-
dern und vielen interessanten Handzeichnun-
gen, die sie meist aus Privatbesitz zusammen-
gebracht hat. Manches der bekannten Werke
ist darunter: „Der verliebte Provisor“, „Der
Antiquar“ (s. Abb.), „Der Husar“, „Das Auge
des Gesetzes“, vor allem das koloristisch un-
sagbar schöne „Das ist deine Welt“ u. v. a-
Der Galerieleiter F. II. Zinckgraf hat diese
Schau zusammengestellt und das Vorwort z®
dem hübschen, illustrierten Katalog ge-
schrieben. F.
Carl Spitzweg, Der Antiquar
Ausstellung: Galerie Heinemann, Münch©0
(Kl. Heinemann)
Alfred. Kitzig
Auf Ausstellungen westfälischer Kunst
der letzten Zeit trat ein junger Radierer mit
Bildkompositionen hervor, in denen der Ge-
halt von Rilkes „Stundenbuch" in ganz
eigenartiger Weise umschrieben wurde. Dem
flüchtigen Blick mochte
das vielfältig Figürliche
und sein Umkreis im-
provisiert erscheinen.
Wer aber näher hinsah,
erkannte die, ein her-
vorragendes zeichneri¬
sches Können verratende
Sicherheit, mit der diese
Darstellungen bis zum
Rande der Platten
durchgebildet waren.
Mehr noch als die un-
gewöhnlich geschickte
technische Behandlung
und die reichen toni-
gen Wirkungen des zu-
meist angewandten Ver-
nis-mous-Verfahrens fes¬
selte das sichtliche
Streben, von der Tat-
sächlichkeit der Dinge
aus in Bezirke vor-
zustoßen, wo das Er-
leben wieder zu seinem
Recht kommt. Dieses
eigentümlich Bewegte
und Bewegende, auf ziemlich große Blatt-
formate gebannt, ließ für Alfred Kitzig
hoffen. Und das sagt schon sehr viel über
einen erst Dreiunddreißigjährigen aus, der
die größere Strecke seiner künstlerischen
Laufbahn noch vor sich hat. Denn die Frage,
ob ein Talent wirklich zu den Auserwählten
gehört, wird sich immer verhältnismäßig
spät beantworten lassen. Wahre Gesinnung
aber und auch die rechte Liebe zum Werk
sind dagegen Kräfte, die bereits früh spür-
bar werden können.
Es war wahrscheinlich ein Glück für die
Generation, zu der Kitzig gehört, daß sich
ihre Interessen, bevor und auch noch nach-
dem sie in die Atelierluft kam, mehr auf den
Gebieten des Lebens ergehen mußten. Sie
hatte es dadurch gewiß schwerer wie die
vorhergehende, war dafür aber auch stärker
gegen die bloßen Reize der Oberflächen ge-
g , Radierung aus einer Folge von Illustrationen zu
Rilkes ,,Stundenbuch". 1934. (Photo Weltkunst)
feit, weil sie lernen mußte, tiefer zu blicken.
Sie wurde keineswegs Seelen- und illusions-
los dabei. Aber ihr fehlten oft die Aufgaben.
Den jungen Westfalen, der ursprünglich auch
das Farbige pflegte, sich dann jedoch wie-
der vom Staffeleibild mehr abwandte, trieb
wohl ein richtiger Instinkt zur Schwarz-
weiß-Kunst und somit auf ein Gebiet, wo er
seine Kräfte zusammenfassen und aus-
wirken lassen konnte. Bei ihm kam dazu
noch die Herkunft aus einem zwischen
Niedersachsen und dem Rheinland mitten
innegelegenen deutschen Landesteil, dessen
Menschenschlag sich zwischen der von einer
Vorliebe für einen erdschweren, oft form-
Alfred K i t z i
wuchtigen Realismus erfüllten Art des Nie-
derdeutschen und Küstenbewohners und der
von einem feinen Gefühl für die malerisch
freieren, farbig mehr aufgelockerten Werte
bestimmten sinnenfrohen Natur des Rhein-
länders behauptet und vermittelt.
Auf dem westfälischen Lebensraum, in
dem sich diese beiden deutschen Wesens-
richtungen begegnen und durchdringen, sind
daher auch oft Gestaltungsweisen erwachsen,
in denen sich realistisch beobachtende und
fantastisch schwärmende, besinnlich ausge-
glichene und ekstatisch ausbrechende Ele-
mente zur Einheit verbinden. Bei ausge-
prägtem Sinn für alles Formale blieb dann
immer wieder jener metaphysische Unter-
grund spürbar, aus dem dann, wie es bei der
Droste in so überragendem Maße der Fall
war, allen Kräften des Lebens zugleich auch
ein Jenseitszug mitgeteilt wird. Was Kitzig
auf den weichen Grund seiner Platten zeich-
nete, ätzte, und mit der Nadel und dem
Stichel eingegraben hat, bis die Vollendung
durch das bei der Vernis-mous-Radierung
ziemlich komplizierte Abzugsverfahren vor
sich ging, entspricht diesem Zuge durchaus,
obgleich ein langes und höchst geduldiges
Tun vonnöten war, bevor sich in diesen so
beschwingten und einfallreichen Arbeiten
innere Vorstellung zur endgültigen Form
verdichtete. Es hat ihn, auch in Zeichnungen,
worunter viele Selbstdarstellungen und an-
dere Bildnisse wiederkehren, immer wieder
gelockt, nach dem Zugleich von äußerer Er-
scheinung und innerer Sinngebung zu fragen.
Er überrascht nicht durch plötzliche Wir-
kungen und er vermeidet, wo er sich so aus-
drücken möchte, weder das Spröde noch das
Karge. Aber die zarteren, verhalteneren
Regungen sind doch diejenigen, welchen er
am liebsten nachgeht bis hinab zu jenen
schmerzlichen Dunkelheiten des Daseins, die
den hellen und lichten Tonflächen als tiefe
Schattengründe entgegenstehen. Die Moll-
töne in einer größeren Blattfolge nach der
Zuchthausballade von Oskar Wilde und sonst
noch manches in anderen Gebilden seiner
festen und feinfühligen Hand sind Schwin-
gungen durch ein Reich freier Gestaltung,
das dennoch seine Ursprünge aus den Be-
zirken der Wirklichkeit niemals verleugnet,
aber darüber hinausgehoben wird kraft eines
Vorstellungsvermögens, das in seiner Klar'
heit und Frische auch das Handwerk dieses
Radierers scharf hält. Es könnte bei dieser
Art von Dienst an der Kunst auch kauHJ
anders sein, denn wie Nietzsche cs einmal
ausdrückt, würde der, welcher die Illusion
in sich und anderen zerstört, von der Nat®r
als dem strengsten Tyrannen gestraft
werden.
Alfred Kitzig kam vor zehn Jahren a®s
Westfalen nach Berlin und er hat seitdem
ein ziemlich umfangreiches Werk geschaffe®’
Er wurde mit dem Dürerpreis und Staats'
preis und auch dadurch anerkannt, daß eT
bereits in unverhältnismäßig jugendliche®1
Alter zum Mitglied des Vereins Berlin®1
Künstler gewählt wurde. II.
Alfred Kitzig, Selbstbildnis. 1931 .
(Photo Weitens®
Jahrg. IX, Nr. 59/40 vom 6. Oktober
die sog. Masurischen Teppiche sind
in ihrer handwerklichen und künstlerischen
Gestaltung Höchstleistungen einer bäuer-
lichen Knüpfteppich-Kultur, die sich weit
über das Ostseegebiet seit alters her er-
streckt hat. So haben sich Reste dieser
Knüpfteppiche artverwandter nordischer Prä-
gung außer in Schweden und Finnland auch
noch in Pommern und Schleswig-Holstein bis
ins 19. Jahrhundert erhalten. Es sind Hoch-
zeitsgaben, die zur Ausstattung der Braut
gehörten und bei feierlichen Familienanläs-
sen als Raumschmuck dienten.
Im ersten Stockwerk sind weiterhin zwei
Raume der bäuerlichen Ornamentik gewid-
met, die „Sinnbild und Bildsinn in der deut-
schen Bauernkunst“ an Hand von guten
Musterbeispielen und einer vorbildlichen Be-
schriftung außerordentlich einprägsam zur
Darstellung bringen, wie sich aus dem vier-
und sechs-geteilten Kreis als den Symbolen
des Sonnenjahres und der Lebensewigkeit
das Radkreuz, das Hakenkreuz und der
Sechsstern entwickelt und sich als Glücks-
und Segenszeichen bis in unsere Zeit vererbt
haben. Wir finden daher diese Heilszeichen
in den nachfolgenden Räumen auch überall
wieder an den verschiedensten Gegenständen
bäuerlichen Hausrates, Werkzeugen für Haus
und Hof usw., in seinen altüberlieferten
handwerklichen Grund-
formen und vielseitigen
Abwandlungen, die hier
nach ihren Werkstoffen
— Holz, Metall (s. Abb.),
Keramik, Glas, Flecht-
werk — übersichtlich
zusammengefaßt und in
großen Vitrinen zu
prachtvollen Gruppen
geordnet sind. Dabei
ist alles nur auf das
Wesentliche beschränkt,
jede Anhäufung von
Gegenständen gleicher
Art bei der Aufstel-
lung sorgsam vermieden
worden, alles lebendig,
zweckmäßig und zeit-
nahe gestaltet. — Den
Abschluß der Ausstel-
lung bildet endlich
eine Sonderabteilung
„Die bäuerliche Hoch-
zeit als Auftraggeber
der Bauernkunst“ mit
den herrlichen Braut-
trachten der verschie-
denen deutschen Stam-
mesgebiete in ihrem
unerschöpflichen Reich-
tum an Formen- und
Farbschönheit und da-
zu der köstliche Brautschmuck nebst all den
sinnigen Liebes- und Hochzeitsgaben.
Dr. Helmuth Rinne b ach
0
Vitrine mit Schmiedeeisen-Arbeiten
Berlin, Museumfür Deutsche Volkskunde
(Phot. Museum)
Holzschnitte und Kupferstiche
Albrecht Dürers
Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum
Das Germanische Nationalmuseum in
Nürnberg veranstaltet z. Zt. eine Ausstellung
des graphischen Werkes von Albrecht Dürer,
die nahezu vollständig die Kupferstiche und
I lolzschnitte des Meisters zeigt. Außerdem
sind die Zeichnungen aus dem Bestände des
Museums — vor allem die Aquarellstudien
nach Krone, Reichsapfel und Schwert Karls
des Großen für das im Museum verwahrte
Kaiserbild — und die herrlichen Blätter der
Erlanger Universitätsbibliothek ausgestellt.
Unter diesen ragt insbesondere das Selbst-
bildnis des etwa 20jährigen Dürer hervor.
Besonderes Interesse erweckt das Aquarell
des ausgebalgten Paradiesvogels, das wegen
seiner lockeren Farbhaltung und glänzenden
Technik wohl sicher Dürer selbst zugeschrie-
ben werden darf.
Aus dem Besitze der Stadtbibliothek zu
Nürnberg wird der aufschlußreiche Brief-
wechsel Dürers aus Venedig mit Willibald
Pirckheimer gezeigt. Endlich ist dem Theo-
retiker Dürer eine eigene Abteilung gewid-
met. Zu dem Originalmanuskript der „Unter-
weisung der Messung“ aus dem Besitze der
Stadtbibliothek sind die ersten Drucke in
Deutschland, Frankreich, Italien, Holland
ausgelegt. Die Schau, die eine klare Vor-
stellung von der Kraft der Dürer’schen Per-
sönlichkeit zu geben vermag, gerade heute
in Nürnberg zu zeigen, ist umso begrün-
deter, als durch eine Verkettung unglück-
seliger Umstände eine Reihe der hervor-
ragendsten Gemälde Dürers im Laufe der
Jahrhunderte aus Nürnberg verschwunden
sind.
Maler sehen
Deutschland
Ausstellung
in der Stadt. Kunstsammlung
Duisburg
Die Städt. Kunstsammlung in Duisburg
veranstaltet zur Zeit eine große Ausstellung
„Maler sehen Deutschland“ mit 200 Werken
von nicht ganz 60 Künstlern. Maler aus
allen Teilen Deutschlands sind eingeladen
und haben Arbeiten geschickt. Die Ausstel-
lung will ein wesentliches Thema heutiger
Kunst zur Diskussion stellen: Die Land-
schaft. Sie stellt es unter dem Aspekt
der jungen Kunst zur Schau. Ausgangs-
punkt ist, daß sich unter der nachstreben-
den Künstlergeneration ein neues Stilwollen
bemerkbar macht. Eine vertiefte Schau
offenbart sich, die aber nicht in einer zeich-
nerischen Neu-Romantik gipfelt, sondern in
einer malerisch - lebendigen Gestaltungs-
weise.
Von Berlin sehen wir Hans Stübner, Her-
mann Teuber, Herbert Tucholski, Otto Nie-
meyer-Holstein, Eulenistein. Diese Künstler-
jugend steht in ihrem ernsten Wollen auf
gleicher Stufe mit der aus Sachsen (unter
anderem die Dresdener Hans Jüchser, Bern-
hard Kretzschmar, Paul Wilhelm, der Leip-
ziger Rudolf Schnabel), dem Rheinland
(Josef Pieper, Düsseldorf, Josef Horn, Bar-
men, Eugen Bechtel und O. Friedrich
Weber, ebenfalls Düsseldorf) und Süd-
deutschland (Heinrich Waldmüller usf.).
Besinnung und Besinnlichkeit, Geradheit
und Gesundheit sind Wesenismerkmale.
Zu diesen Schaffenden haben sich eine
Reihe älterer Künstler gefunden, die nicht
erst seit heute und gestern, sondern oft
schon ein Leben lang einen ähnlichen Weg
gehen. In der Vergangenheit, als man das
Kontrastreiche, Gesteigerte im Guten wie
im Bösen pflegte, standen sie abseits. Wir
meinen den Berliner Artur. Degner,
den Ostpreußen Julius Freymuth,
den Kölner Eugen Kerschkamp, den
Märker P a a t z. Ihre Malerei beseelt das
gleiche Streben nach einer erdgebundenen
innerlich reichen Kunst.
Zu Spitzwegs50.Todesfcig
Vor 50 Jahren, am 23. September 1885, ist
Carl Spitzweg gestorben. Die vielen Nach-
rufe, die bei dieser Gelegenheit geschrieben
wurden, gipfeln alle in dem Ausspruch: t®
ist nicht tot, sondern er lebt weiter, nicht
nur wie viele andere Künstler bei den Ken-
nern und Kunstfreunden, sondern im Herzen
des ganzen Volkes. Wenn wir lesen, daß r®1
Allgemeinen Künstlerlexikon von Müller-
Singer das Schaffen des Meisters mit dem
Satze abgetan wird: „Seine gemütvolle
Genrekunst, die ohne zu verletzen das Phi-
listertum in gutmütiger Weise bloßstellt, er-
innert durch den gesunden, echten Humor an
Schwind“, dann wird uns klar, wie sehr das
Verständnis für seine Werke zugenommen
und sich vertieft hat.
Die Münchener Galerie Heinemann
feiert das Gedächtnis des Meisters durch eine
schöngewählte Ausstellung von rund 50 Bil-
dern und vielen interessanten Handzeichnun-
gen, die sie meist aus Privatbesitz zusammen-
gebracht hat. Manches der bekannten Werke
ist darunter: „Der verliebte Provisor“, „Der
Antiquar“ (s. Abb.), „Der Husar“, „Das Auge
des Gesetzes“, vor allem das koloristisch un-
sagbar schöne „Das ist deine Welt“ u. v. a-
Der Galerieleiter F. II. Zinckgraf hat diese
Schau zusammengestellt und das Vorwort z®
dem hübschen, illustrierten Katalog ge-
schrieben. F.
Carl Spitzweg, Der Antiquar
Ausstellung: Galerie Heinemann, Münch©0
(Kl. Heinemann)
Alfred. Kitzig
Auf Ausstellungen westfälischer Kunst
der letzten Zeit trat ein junger Radierer mit
Bildkompositionen hervor, in denen der Ge-
halt von Rilkes „Stundenbuch" in ganz
eigenartiger Weise umschrieben wurde. Dem
flüchtigen Blick mochte
das vielfältig Figürliche
und sein Umkreis im-
provisiert erscheinen.
Wer aber näher hinsah,
erkannte die, ein her-
vorragendes zeichneri¬
sches Können verratende
Sicherheit, mit der diese
Darstellungen bis zum
Rande der Platten
durchgebildet waren.
Mehr noch als die un-
gewöhnlich geschickte
technische Behandlung
und die reichen toni-
gen Wirkungen des zu-
meist angewandten Ver-
nis-mous-Verfahrens fes¬
selte das sichtliche
Streben, von der Tat-
sächlichkeit der Dinge
aus in Bezirke vor-
zustoßen, wo das Er-
leben wieder zu seinem
Recht kommt. Dieses
eigentümlich Bewegte
und Bewegende, auf ziemlich große Blatt-
formate gebannt, ließ für Alfred Kitzig
hoffen. Und das sagt schon sehr viel über
einen erst Dreiunddreißigjährigen aus, der
die größere Strecke seiner künstlerischen
Laufbahn noch vor sich hat. Denn die Frage,
ob ein Talent wirklich zu den Auserwählten
gehört, wird sich immer verhältnismäßig
spät beantworten lassen. Wahre Gesinnung
aber und auch die rechte Liebe zum Werk
sind dagegen Kräfte, die bereits früh spür-
bar werden können.
Es war wahrscheinlich ein Glück für die
Generation, zu der Kitzig gehört, daß sich
ihre Interessen, bevor und auch noch nach-
dem sie in die Atelierluft kam, mehr auf den
Gebieten des Lebens ergehen mußten. Sie
hatte es dadurch gewiß schwerer wie die
vorhergehende, war dafür aber auch stärker
gegen die bloßen Reize der Oberflächen ge-
g , Radierung aus einer Folge von Illustrationen zu
Rilkes ,,Stundenbuch". 1934. (Photo Weltkunst)
feit, weil sie lernen mußte, tiefer zu blicken.
Sie wurde keineswegs Seelen- und illusions-
los dabei. Aber ihr fehlten oft die Aufgaben.
Den jungen Westfalen, der ursprünglich auch
das Farbige pflegte, sich dann jedoch wie-
der vom Staffeleibild mehr abwandte, trieb
wohl ein richtiger Instinkt zur Schwarz-
weiß-Kunst und somit auf ein Gebiet, wo er
seine Kräfte zusammenfassen und aus-
wirken lassen konnte. Bei ihm kam dazu
noch die Herkunft aus einem zwischen
Niedersachsen und dem Rheinland mitten
innegelegenen deutschen Landesteil, dessen
Menschenschlag sich zwischen der von einer
Vorliebe für einen erdschweren, oft form-
Alfred K i t z i
wuchtigen Realismus erfüllten Art des Nie-
derdeutschen und Küstenbewohners und der
von einem feinen Gefühl für die malerisch
freieren, farbig mehr aufgelockerten Werte
bestimmten sinnenfrohen Natur des Rhein-
länders behauptet und vermittelt.
Auf dem westfälischen Lebensraum, in
dem sich diese beiden deutschen Wesens-
richtungen begegnen und durchdringen, sind
daher auch oft Gestaltungsweisen erwachsen,
in denen sich realistisch beobachtende und
fantastisch schwärmende, besinnlich ausge-
glichene und ekstatisch ausbrechende Ele-
mente zur Einheit verbinden. Bei ausge-
prägtem Sinn für alles Formale blieb dann
immer wieder jener metaphysische Unter-
grund spürbar, aus dem dann, wie es bei der
Droste in so überragendem Maße der Fall
war, allen Kräften des Lebens zugleich auch
ein Jenseitszug mitgeteilt wird. Was Kitzig
auf den weichen Grund seiner Platten zeich-
nete, ätzte, und mit der Nadel und dem
Stichel eingegraben hat, bis die Vollendung
durch das bei der Vernis-mous-Radierung
ziemlich komplizierte Abzugsverfahren vor
sich ging, entspricht diesem Zuge durchaus,
obgleich ein langes und höchst geduldiges
Tun vonnöten war, bevor sich in diesen so
beschwingten und einfallreichen Arbeiten
innere Vorstellung zur endgültigen Form
verdichtete. Es hat ihn, auch in Zeichnungen,
worunter viele Selbstdarstellungen und an-
dere Bildnisse wiederkehren, immer wieder
gelockt, nach dem Zugleich von äußerer Er-
scheinung und innerer Sinngebung zu fragen.
Er überrascht nicht durch plötzliche Wir-
kungen und er vermeidet, wo er sich so aus-
drücken möchte, weder das Spröde noch das
Karge. Aber die zarteren, verhalteneren
Regungen sind doch diejenigen, welchen er
am liebsten nachgeht bis hinab zu jenen
schmerzlichen Dunkelheiten des Daseins, die
den hellen und lichten Tonflächen als tiefe
Schattengründe entgegenstehen. Die Moll-
töne in einer größeren Blattfolge nach der
Zuchthausballade von Oskar Wilde und sonst
noch manches in anderen Gebilden seiner
festen und feinfühligen Hand sind Schwin-
gungen durch ein Reich freier Gestaltung,
das dennoch seine Ursprünge aus den Be-
zirken der Wirklichkeit niemals verleugnet,
aber darüber hinausgehoben wird kraft eines
Vorstellungsvermögens, das in seiner Klar'
heit und Frische auch das Handwerk dieses
Radierers scharf hält. Es könnte bei dieser
Art von Dienst an der Kunst auch kauHJ
anders sein, denn wie Nietzsche cs einmal
ausdrückt, würde der, welcher die Illusion
in sich und anderen zerstört, von der Nat®r
als dem strengsten Tyrannen gestraft
werden.
Alfred Kitzig kam vor zehn Jahren a®s
Westfalen nach Berlin und er hat seitdem
ein ziemlich umfangreiches Werk geschaffe®’
Er wurde mit dem Dürerpreis und Staats'
preis und auch dadurch anerkannt, daß eT
bereits in unverhältnismäßig jugendliche®1
Alter zum Mitglied des Vereins Berlin®1
Künstler gewählt wurde. II.
Alfred Kitzig, Selbstbildnis. 1931 .
(Photo Weitens®