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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1865 (Nr. 1-39)

DOI Kapitel:
No. 31 - No. 35 (2. November 1865 - 30. November 1865)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44609#0264
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258

selbst. Und daß die von der Generalversammlung eingehaltcnc
Mitte nicht bloß die ungeheuere Mehrheit der Stimmen, son-
dern auch die Wahrscheinlichkeit des schließlichen Erfolges für
sich hat, das geht aus jeder ruhigen Beobachtung der Men-
schen und der Verhältnisse deutlich hervor.
Die schleswig-holsteinische Politik des Herrn von Bis-
marck hüllt sich seit dessen Rückkehr aus Frankreich in gc-
hcimnißvollcs Schweigen. Brütet sie über einem entscheidenden
Entschlüsse, oder ist sie am Ende ihres Witzes? Daß Herr
von Bismarck mit dem Bonapartismus schlechte Geschäfte ge-
macht, und aus Biarritz und Paris unverrichteter Sache hat
abziehcn müssen, wird nach kleinen und großen Anzeichen
immer wahrscheinlicher, und daß Oesterreich sich den Bis-
marck'schen Plänen nicht ohne unerschwingliche Gegenleistungen
willfährig machen lassen wird, ist so gut wie gewiß. Bei der
Fortdauer des jetzigen provisorischen Zustandes aber findet
die Annexionspolitik, dies stellt sich alle Tage deutlicher her-
aus, am allerwenigsten ihre Rechnung und überdies sind die
preußischen und die europäischen Zustände nicht danach an-
gethau, daß Herr von Bismarck sich mit Gemüthsruhe aufs
Abwarten verlegen könnte. Was also machen? Der österrei-
chischen Negierung einen neuen Gasteincr Vertrag abtrotzen,
welcher auch Holstein unter preußische Verwaltung bringt?
— natürlich wiederum nur provisorisch und unter ausdrück-
lichster Wahrung aller Rechte des aus dem Besitz gesetzten
Mitbesitzers. Solche Kraftstreichc wiederholt man nicht alle
sechs Monate, besonders wenn man schon bei dem ersten Male
so grobe Steine in seinem Wege gefunden hat, wie die be-
kannten Noten des Lord Russell und des Herrn Drouyn de
l'Huys. Gar nicht zu reden davon, daß man in voraus ge-
wiß sein könnte, daß Oesterreich cs eher aufs Aeußcrste an-
kommen lassen, als sich zum zweiten Male vor dem Dis-
marck'schen Ucbermuthe beugen würde. Gelänge es indessen
wirklich, die diplomatischen Schwierigkeiten der Lage zu über-
winden, so würde Herr von Bismarck doch immer noch an
dem Berg stehen, über den alle seine Staatskuust niemals
hinauskommen wird. Es ist von allen Seiten zugestandcn
und anerkannt, daß über die Zukunft der Herzogtümer nicht
ohne deren Zustimmung entschieden werden kann und daß für
die Bismarck'schcn Pläne diese Zustimmung immer unmög-
licher wird, dafür sorgt die Manteuffelschc Statthalterschaft
hinlänglich durch die Rohheit ihrer Methode und durch die
Gehässigkeit ihrer Maßregeln. Kurz, dem Blicke des bloßen
Zuschauers zeigt sich zur Zeit kein Weg, auf welchem die
Dismarck'sche Politik in den Herzogthümern vorwärts kom-
men könnte. Stillstand ist aber für das Bismarck'sche Regi-
ment so viel wie Rückgang, und der Rückgang, daran giebt
es keinen Zweifel, ist so viel wie der Tod.
Bon den angedrohten österreichisch-preußischen Maßregeln
gegen die freie Stadt Frankfurt, gegcu den Nationalvcrcin
und gegen die Presse wird es still und stiller, so daß man
annehmen kann, der gewaltige Anlauf der beiden Großstaatcn
sei an dem kaltblütigen Widerstande des Frankfurter Senates
ein für allemal abgcprallt. Ein starkes Zeugnis; für diese
Annahme liefert insbesondere der Eifer, mit welchem man
sich, von Wien und Berlin ans, die Verantwortlichkeit für
die berufenen Drohnoten gegenseitig zuschiebt. Es wird damit
das deutliche Geständnis; eines begangenen Mißgriffs ausge-
sprochen,. den man dann als solchen am besten aufs sich be-
ruhen läßt und so bald wie möglich der Vergessenheit an-
heimgiebt. Möglich indessen, daß das Großmachtsbcwußtscin
und die Consequcnzenreitcrci doch noch die Oberhand über die
Erkenntnis; des gemachten Fehlers und die sich daraus erge-
benden Nathschläge der Klugheit gewinnt — ein Fall, den
man schon der interessanten Verwickelungen wegen, die er vcr-
muthlich mit sich brächte, willkommen heißen könnte, und
dessen Verlauf unfehlbar frisches Wasser auf die Mühle der
Bewegung bringen würde.

Aus Preußeu, 12. Novbr. Er ist also endlich von
seiner diplomatischen Gesnndhcitsrcise zurückgckehrt, unser großer
Minister, und sobald nur erst der „Hexenschuß" vorüber ist,

I den er in der dießmal, wie cs scheint, sehr erkältenden Lnst
I von Paris sich geholt hat, wird die „große Aktion" beginnen
müssen, mit der seine Bewunderer nun schon so lange sich-
uud anderen die Köpfe zn verdrehen suchen. Es hat ganz den
Anschein, als ob sein Nimbus selbst in den Regionen, in
denen man bisher unbedingt ans seine Unfehlbarkeit oder dockx
auf sein Glück schwur, einer Auffrischung dringend bedürfte^
und das; die Kreuzzcitungspartei ihm von jeher nnr wider-
willig, nur „auf Befehl" folgte, ist ja bekannt genug. Aber
wie nöthig er eine „große Aktion" auch haben mag, so ich
doch in der That schwer abzusehen, wo nud wie er sie in
Scene setzen soll. Die Annexion der Herzogtümer auf Grund
bonapartistischer Nationalitäts-Politik, d. h. auf Grund der
Rückgabe Nordschleswigs an die Dänen, und einer „geschick-
ten" Volksabstimmung im übrigen Lande, soll er schon frü-
her für unmöglich erklärt haben; wenn er auch dazu bereit
sei, so gestatte ihm seine Stellung zur Partei und zum Kö-
nige nicht, die Hand dazu zu bieten; „so etwas dürfe man
keinem Hohcnzollern zumnthen". Dasselbe scheint nun aber
Napoleon von der projcktirtcn Allianz zwischen Preußen^
Frankreich und Italien zu denken; er mag das nur für einen
Pressionsversuch gegen Oesterreich halten, und sein Minister
des Auswärtigen soll gar geäußert haben, Frankreich dürfe
auch nm den Preis einer Allianz nicht in diese Machterwei-
terung Preußens willigen, weil dasselbe, bei einer Halbwegs
vernünftigen liberalen Verwaltung, doch wieder auf ein Bünd-
nis; mit England gegen den Bonapartismus und seine Pläne
zurückkommen werde. Kurz, man hat den preußischen Minister
in Biarritz und in Paris sehr freundlich ausgenommen; man
hat mit ihm gespeist und gejagt; aber man hat sich in po-
litischen Dingen sehr „zugeknöpft" gehalten, um sich nichch
durch geschäftliche Verhandlungen deu Geuuß seiner liebens-
würdigen gesellschaftlichen Eigenschaften zu verkümmern.
Die Organe der absolutistisch-militärischen Partei erklä-
ren, daß die definitive Lösung der Hcrzogthümerfrage (d. l>
die Annexion) nur durch die Verständigung mit Oesterreich
hcrbcigeführt werden könne. Aber Oesterreich richtet sich einst-
weilen in Holstein ganz häuslich ein und scheint durchaus
nicht bemüht zu sein, sich die preußische Auffassung des Ga-
stciner Vertrags anzueiguen. Die „Köln. Ztg." beklagt sich
in ihren bekannten schleswig-holsteinischen Briefen bitter dar-
über, daß der k. k. Statthalter Holstein gar nicht in dem
Sinne verwalte, wie der preußische Gouverneur Schleswig,
nämlich, nm es für die Annexion mürbe zu machen, und sie
zieht daraus den kühnen Schluß, daß darum Oesterreich seine
Truppen, gegen die Erstattung von 10 Millionen Kriegsla-
sten, aus Holstein zurückziehen müsse, um das Land. dev
preußischen Kurmethode zu überantworten. Aber — wenn,
es nun nicht will? Wenn cs nnn im Norden Deutsch-
lands festen Fuß behalten will, wäre es auch nur, weil es
auf die Steigerung des Preises seiner Waare speknlirt? Oder
wenn cs einen Preis forderte, den selbst ein Bismarck zu-
rückweisen müßte, den nur die Schmettern.oder etwa die
Mauteusfel zu zahlen bereit wären? Es ist.Alles schon
dagewesen! Die Zahl derer, welche in der Bußfahrt uach
Ollmütz den „wahren Ehrentag" Preußens, den vollen
Bruch mit der Revolution sehen, ist in den Reihen des or-
thodoxen Innkerthums größer, als man glaubt. Eiu neues
Ollmütz, versüßt und vergoldet durch die Erwerbung zweier
Herzogtümer, — welche Phrasen lassen sich da drechseln über
die Macht des Lcepters und über den Glanz der Krone der
Hohcnzollern, wenn man beim ersten Ollmütz schon mir der
von Oesterreich „erzwungenen" Erlaubniß prahlte, an der
Entwaffnung und Auslieferung der Herzogtümer an den Lan-
desfeind mithelfcn zu dürfen! —
Die Wiener Blätter behaupten fort und fort, daß Oester-
reich von Preußen zu deu Frankfurter Drohnoten „verführt"
worden sei; die Berliner Offiziösen erklären diese Darstellung
für wahrhcitswidrig und fordern die österreichische Regierung
aus, „diesem Treiben" ein Ende zu machen. Beide Regierungen
schämen sich also der Initiative dieser schmählichen Maßregel,
welcher die Offiziösen des Wclfenxciches und das Ministerium
 
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