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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1865 (Nr. 1-39)

DOI Kapitel:
No. 31 - No. 35 (2. November 1865 - 30. November 1865)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44609#0281
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friedlichen Stellung Oestedreichs gegen Preußen, sich sofort
um dieses- schaaren würde, so wenig glauben, wie an ihre
Versicherung, daß nur vie liberale Presse au den ungünstigen
Anleihe-Bedingungen Schuld sei; sie wissen das besser. Der
„N. A. Z.", dem intimen Organe Bismarck's, hängt
zwar immer noch der Himmel in Frankreich voller Geigen,
weil sie fest überzeugt ist, einmal, daß die Demokratie in
den „unter dem Kaiserreich geordneten" Zuständen Frankreichs
einen „mächtigen Damm gegen den Durchbruch revolutionärer
Bestrebungen" fürchtet, und dann, daß der Kaiser „als Kaiser
und als Vater so fühlt und denkt, wie er als solcher fühlen
und denken muß", und folglich auf nichts Anderes bedacht
ist, als auf die Befestigung seiner Dynastie, unbekümmert
um Alles, was sonst in Europa vorgcht. Selbst die Kreuz-
zeitung macht sich über diese kindische Austastung lustig und
verhehlt die großen Schwierigkeiten der Lage durchaus nicht.
Es ist wahrhaftig kein Vergnügen, sich mit einem Blatte, fo
„ehrlos und straflos", wie die Krcuzzeitung, beschäftigen zu
müssen. Vor ihr hat die deutsche Presse kein Organ besessen,
so gemein in seinen Motiven, so strotzend von ekelhaften
Witzeleien und Schimpfreden, von frechen Lügen und Ver-
leumdungen, so niederträchtig in seinen Insinuationen, so
schamlos in seinen Denunziationen. Außer der wüthenden
Nachthcsscn-Zeitung und der nassauischen Hospublizistik kann
auch jetzt noch kein deutsches Blatt in diesen Dingen nur im
Entferntesten mit ihr konkurriren. Aber die Bekenntnisse und
Enthüllungen ihres Herrn Wag en er über die auswärtige
Politik sind sehr lehrreich, weil dieser angeblich an Eulen-
burgs oder Itzenplitz's Statt designirte Minister der Zu-
kunft hier offenbar „aus bester Quelle" schöpft, und sie sind
um so bezeichnender für die Suuation, als die grimmigen
Anklagen, die er gegen die liberale Partei erhebt, in der
That lediglich an die Adresse der Feudalen zu richten sind.
Hr. Wag en er beginnt mit dem osscuen Geständniß, „daß
Niemand weiß, wie cs kommen wird", ihn selbst und den
Grafen Bismarck nicht ausgenommen. Aber — die Aus-
sichten sind trübe. „Preußen ist isolirt, und Niemand darf
sich cinbilden, daß ein Schlag an den Säbel genügen würde,
um die Machtvcrhältnisse und die Karte von Europa umzu-
gestalten", — ein Schwindel, der doch lediglich von dem
Iunkcrthum in seinem bornirten Ucbermuthe aufgebracht ist.
„Aber es ist für Preußen unmöglich, still zu stehen, oder-
gar zurückzuweichen, weil das, was wir gcthan, so präjudi-
ziell ist, daß wir nun Alles au Alles setzen müssen. Fort-
setzen, was wir bisher gethan; beharren bei dem, was wir
gefordert; feststchen in dem Glauben an die historische Mis-
sion Preußens; nicht schwanken in dem Vertrauen auf die
Hand, die uns leitet, ohne Kleinmuth und ohne Ueberhe-
bung" — anders weiß das Orakel der Feudalen nichts mehr
zu rathen l Ungefähr in demselben Sinne läßt sich die „Cöln.
Ztg." von Berlin schreiben, „man könne doch unmöglich ein-
gestehen, daß mau die Kräfte des Staates überschätzt habe,
weil das eine zerschmetternde Niederlage der Conservativen
sein würde". Also vorwärts, auf gut Glück! — Ein Staats-
mann richtet sich in seinem Wollen nach seinem Können
und sucht nach anderen Mitteln zur Vermehrung des Kön-
nens, als nach Vernichtung der Wahlfreiheit der Gemeinden
und der Unabhängigkeit der Gerichte, nach Unterdrückung der
Presse und Vereine, nach -Zerbröckelung der Verfassung; aber
die Faktiou, die sich der Herrschaft bemächtigt har, setzt
wie ein verzweifelnder Spieler den Staat auf die letzte
Karte, weil sie ihre Staudes-Interessen nicht anders mehr
zu wahren weiß. Nach uns die Sündfluth: — es ist immer
die alte Geschichte!
Im Inneren wird natürlich inzwischen „fortgefahren"
und „beharrt", so lange die Stricke nur halten wollen. Das
Iunkerthum gibt vor, zu glauben, durch die königliche Ver-
ordnung über das Herrenhaus sei dessen Zusammensetzung „de-
finitiv und rechtlich" abgeschlossen, bis ein neues Gesetz zu Stande
komme, welchem die feudale Mehrheit ja nie zustimmen werde,
und somit sei die liberale Gesetzgebung für immer lahm ge-
legt. Darüber wäre nun viel zu sagen. Das Abgeordneten-

haus wird in der bevorstehenden Session endlich an die ein-
schlägigen Fragen herantreten müssen, und es wird sich hof-
fentlich davon nicht durch die Drohungen der Feudalen ab-
halten lassen, daß die Negierung bei „aufreizenden Verhand-
lungen" sofort den Landtag schließen werde. Das mag ge-
schehen; aber das Abgeordnetenhaus muß dem Volke offen
erklären, daß es mit den beschränkten Mitteln der gegenwär-
tigen Verfassung den verfassungsmäßigen Zustand nicht gegen
die Willkür aufrecht erhalten kann. Die Volkspartci muß
aus der Defensive in die Offensive übergehen und eine Re-
form der Verfassung, des Herrenhauses, der Steuer- und
Gewerbe-Gesetzgebung, und zur Erreichung dieses Zieles das
allgemeine gleiche und direkte Wahlrecht verlangen, lieber
dieses Programm, welches der Abgeordneten Löwe vorige
Woche entwickelte, mag dann das Volk bei den nächsten Wah-
len entscheiden; dann muß Jedermann wissen, ob es indem
langen Streite auf der Seite des Abgeordnetenhauses ausge-
halten hat, oder zur Negierung übergetreten ist.
Einstweilen sind die Gcmeindewahleu im ganzen Lande
überwiegend liberal ausgefallen. Trotzdem genügt der offiziösen
Presse der Sieg der Eonservativen in der Hof- und Casernenstadt
Potsdam und in ganz vereinzelten Fällen am Nhein (Bonn), um
abermals den „Umsckwung" zu constatiren. Auf einige widerwär-
tige und skandalöse Vorgänge in der Berliner Stadtverordneten-
Versammlung, baut sie die schwindelhafte Hoffnung, daß die Bür-
gerschaft von Berlin nunmehr die „Communal-Politik" des
Ministers und des Oberbürgermeisters, und etwas später auch
die weitere Politik des Ministeriums billigen werde, und
mit einer kühnen Nutzanwendung fügt die „N. A. Z." sitt-
lich entrüstet hinzu: „Und eine solche Versammlung wagte
einst dem Könige zu erklären, daß das Ministerium Bis-
marck und seine budgetlose Verwaltung das Vertrauen des
Landes nicht besäßen!" Zu dieser „CommunallPolitik" gehört
auch ein über alle Maßen unverschämtes Neskript der Königs-
berger Provinzial-Regierung an den dortigen Stadtrath Wel-
ker, in welchem dieses Mitglied des Magistrats der zweiten
Residenzstadt, wegen seiner Opposition gegen das Ministerium
und wegen seines Abonnements auf das als „regierungs-
feindlich" von Hrn. v. Kam potz vervehmte S a ck'sche „Schul-
blatt", in einem Tone hcruutergeputzt wird, wie ihn heut zu
Tage kaum ein Schulmonarch gegen einen aufsässigen Ter-
tianer sich erlauben würde. Welch' ein neuer Beweis von
Stärke! —

Eine AustriLtserklärung von Deutschösterreichern.
Folgende aus Wien v. 19. d. M. datirte Zuschrift an
den Ausschuß des Nationalvereins ist dem Geschäftsführer zu-
gegangen:
Als Mitglieder des „Deutschen Nationalvereins" in Deutschösterreich
haben wir der diesjährigen Generalversammlung dieses Vereins mit
Spannung entgegengesehen. Wir hofften einerseits eine Reform dieses
Vereins, andererseits eine Behandlung der österreichischen Frage, weit
verschieden von der bisherigen, und in solcher Weise, daß Deutsch-
österreich iune werde, man erkenne es als zugehörig zu Deutschland
und wolle es um keinen Preis auf geben.
In beiden Richtungen erfuhren wir zur Genüge, daß wir uns
einer Täuschung hingegeben hatten, und es wurde uns nun unbegreif-
lich, m welcher Absicht überhaupt jemals Beitritte von uns angenommen
worden waren.
Da aber wir und mit uns Viele, die sich dem Vereine nicht an-
geschloffen haben, an Deutschland halten, wobei unsere seltene
Betheilrgung an Versammlungen in Deutschland aus den verschiedensten
Gründen als Maßstab unserer Gesinnungen nicht angenommen werden
darf, so ist es erklärlich, daß wir einem Bereme, der uns so zu sagen
vor die Thüre setzt und der inmitten einer Krisis, die entsch ei-
ben d werden kann für die Stellung Deutschösterreichs zu
Deutschland, keinen Rath weiß und es auf sich selbst ver-,
weist, nicht länger angehören können und wollen.
Es soll dem Nationalverein nicht unbekannt sein, daß seit Verle-
gung des Schwerpunktes nach Ofen die Ungarn selbst uns immer und
immer wieder nach Frankfurt Hinweisen, und wir meinen diesen Wink
so auslegen zu müssen, daß Ungarn zwar mit einem mit Deutsch-
land vereinigten, nicht aber mit einem von diesem zurückgewie-
senen Deutschösterreich sich werde verständigen wollen.
Das ursprüngliche und nun wieder erneuerte Programm des Na-
 
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