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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0057

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83

1890.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

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einem Falz für Glasscheiben (?) umgeben und
innen blau bemalt.

Der grofse obere Knauf, von Lindenholz
gedreht und geschnitzt, hat goldene freistehende
und blaue, dem vergoldeten Mittelknopf an-
liegende, von einem blauen Ring zusammen-
gefafste Blätter. Die kleinen Randknöpfe sind
golden auf blauem kegelförmigem Stiel. Dem
grofsen Knopf gegenüber rindet sich ein grofses
Loch, offenbar für den starken Stiel bestimmt.
Eine eiserne üese oben auf der Rückseite,
scheint nachträglich zum Aufhängen eingefügt.
Die Rückseite ist ganz glatt und versilbert (nicht
schwarz geworden!!) Die eigentümliche Kreide-
plastik, welche hier zur Belebung der glatten
Flächen verwendet ist, war im Mittelalter zur
schnellen und billigen Verzierung deko-
rativer Sachen sehr beliebt, und ist bei den
erwähnten ältesten Schilden, wie ich in der
von Warnecke „herausgegebenen" Monographie
näher angegeben, in umfassender Weise zur
„Damaszirung", sogar zur Bildung der Schild-
figuren verwendet. Aus einer Kanne mit engem
Rohr wurde auf den noch feuchten Kreidegrund
der dicke Kreidebrei aufgetropft oder in Linien
aufgegossen. Je nach dem Grad der Weichheit
des Kreidegrundes verschmolzen die so dar-
gestellten Ornamente sanft mit demselben oder
hoben sich scharf ab. Auch wurden mit Stem-
peln — analog den ledernen Bucheinbänden —
reichere Verzierungen dem hierzu schon ziem-
lich kalt gewordenen Grund aufgeprefst. Diese
meist in kleine Rauten oder Kreise einbeschrie-
benen Verzierungen wurden dann mit aufge-
gossenen Fäden umsäumt. Wenn gröfere Fi-
guren mit einem Relief bis zu 15 mm Höhe
aus Kreidemasse herzustellen waren, wurden an
den betreffenden Stellen erst breitköpfige Nägel
eingeschlagen und die untersten Schichten der
aufgetragenen Masse erhielten einen Zusatz von
Flachsfasern. Sogar durchbrochene, einem
vergoldeten Grund aufliegende reich modellirte
Ornamente konnten so erzielt werden, wie es
der in der Elisabethkirche aufbewahrte Zweit-
älteste Schild (ca. 1290) he weist.2)

Es entsteht nun die Frage nach dem Ge-
brauch dieser Scheiben. Offenbar haben sie
in den Zellen Reliquien enthalten, und sind
etwa bei Prozessionen neben dem Schreine

2) cf. Warnecke Tab. IL

mit andern Reliquiaren getragen worden, wes-
halb auch ein geringes Gewicht angestrebt ist.
Altärchen und Tafeln mit zahlreichen Reliquien
in Zellen kommen öfters vor. Ein sehr schönes
Stück im Besitz der Goldschmiede zu Prag be-
schreibt Viollet-le-Duc. Scheibenförmige me-
tallne Geräthe finden sich ebenfalls in ver-
schiedenen Schatzkammern, z. B. K1 o s t e r n e u -
bürg, Paris (Louvre), Aachen, Kopen-
hagen und vor allem im Domschatze zu
Hildesheim zwei dergleichen im reichsten
roman. Stil, dort „flabella"8) genannt. Meiner
Ansicht nach sind dies alles Traggeräthe für
Prozessionszwecke, die wohl auch — wie Trag-
kreuze — einen Fufs zur Aufstellung erhielten.
Die meisten haben die Grundform eines Kreuzes,
welches auch hier angedeutet ist.

In den Inventaren des deutschen Ordens
dahier kommt leider keine Bezeichnung vor,
welche mit Fug auf diese merkwürdigen Stücke
bezogen werden könnte, dagegen enthält eine
im Jahre 1630 aufgestellte noch ungedruckte
„ Verzeichnung aller Reliquien und Sanctuarien
■welche sich in vnterschidlichen Cleinodien vnd
kirchenzier der hoffkirche zu Mergentheimb be-
finden" eine offenbar ganz ähnliche Reliquien-
scheibe: „Ein rund hictziti scheuble daran die
kleinste particuln S. S. Annae, Margarethae,
Laurentij, Bonifacij, Elisabethae, Bartholomaej
Petri, Jocobi Apci, Lucae, II millium Virg. etc.1'
und scheint dies demnach fast eine beim deut-
schen Orden beliebte Form der Reliquiare ge-
wesen zu sein.

Wenn- auch charakteristische Formen zur
Datirung des vorliegenden Stückes fehlen, so
dürfte doch dem ganzen Habitus nach die Ent-
stehung im XIV. Jahrh. angenommen werden.

Das zweite hier befindliche Exemplar unter-
scheidet sich durch etwas weniger sorgfältige
Arbeit, gröbere Zellentheilung und gleichmäfsige
Gröfse und Form der sämmtlichen Glasschaalen
in je einer Zone, so dafs es wohl eine etwas
spätere Nachbildung bezw. ein Ersatzstück ist.
Ihm fehlt jetzt der Hauptknauf und die meisten
kleinen, da es noch in den 40 er Jahren der
muthwilligen Jugend zugänglich war.

Marburg. L. Bickell.

3) [Als solche versuchte diese und alle ähnliche
Scheiben Charles de Linas zu deuten in einer sehr
gelehrten Abhandlung der »Revue de l'art chretien«
1883, S. 379 bis 394 und S. 477 bis 518. D. H]
 
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