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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0061

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1890.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

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Haaren und blaugrünem Mantel, streichelt, sich
emporrichtend, das Kind, das sich mit grofsen
ernsten Augen ihr zuwendet. Diese Gruppe
steht auf einer Art von Sockel, der grün und
roth in breiten geraden Streifen hingestrichen
ist. Auf dem Sockel hat sich noch Platz genug
gefunden, um der Andacht des Stifters dieser
Malerei einen besonderen Ausdruck zu geben:
da steht ein dreiarmiger Leuchter mit grofsen
brennenden Kerzen, und an zweien der Leuchter-
arme hängen Wappenschildchen; das eine der
Schildchen zeigt im blauen Feld einen Schräg-
balken, dessen Farben verwischt und der von
nicht mehr erkennbaren Figuren begleitet ist;
das andere Schildchen ist in der untern Hälfte
blau, in der obern Hälfte blau und silbern quer-
getheilt. Dem Leuchter gegenüber kniet der
Stifter selbst; seine in den Hauptbestandtheilen
weifse Kleidung scheint eine geistliche Tracht zu
sein. An den Sockel des Bildes schmiegen sich
Rankenzüge an, und in mächtig geschwungenen
Linien breiten sich die Ranken, die mit einer
staunenswürdigen Keckheit und Sicherheit hin-
gestrichen sind, über die Fläche unterhalb des
Fensters aus, steigen an demselben empor und
füllen die Fensterlaibung. Unten sind die Ran-
ken roth, am Fenster grün; durch einzelne
schwärzlich-violette Stengel und Blumen wird
hier wie dort die Wirkung kräftig belebt. —
Aehnliches Rankenwerk, ebenso frei in grünen
und violetten Linien mit dem Pinsel hinge-
schrieben, aber weniger grofs geschwungen, be-
gleitet — so weit sich dies erkennen läfst —
die Gewölberippen und greift hin und wieder
vom Gewölbe aus auf die Wandflächen herüber.
An der Nordwand bildet das kleine steinerne
Wandtabernakel in sinnreicher Beziehung den
Ausgangspunkt für die malerische Ausschmük-
kung. Dem Maler waren wohl die grofsen stei-
nernen Sakraments-Häuschen bekannt, welche
gerade zu seiner Zeit so prunkvoll in manchen
Kirchen ausgeführt wurden. So kam er auf den
originellen Gedanken, im Anschlufs an das Ta-
bernakel ein derartiges luftiges Architekturgebilde
zu malen. In phantastischem Aufbau, mit allem
Zubehör spätgothischer Baukunst, aber aus dem
baukünstlerischen in einen einfachen Dekora-
tionsmaler-Stil trefflich übersetzt, roth und gelb
mit schieferfarbigen Fialenspitzen und grünen
Krabben, steigt das Gehäuse empor, an dem
Platze, der durch das Steintabernakel angewiesen
war; nur nach dem letzteren, nicht nach der

Mittellinie der Wand, hat der Maler die Mittel-
linie seines Gebildes gerichtet. Oben in dem
Baldachin des Gehäuses steht die einzelne Figur
des leidenden Erlösers, mit der Dornenkrone,
mit Geifsel und Ruthe, mit dem Speer und der
Stange mit dem Essigschwamm; die Gesichts-
züge sind leider verwischt, aber auch so spricht
die Gestalt mit dem schmerzlich zur Seite ge-
neigten Haupt ergreifend zum Beschauer. Diese
eine ausdrucksvolle Gestalt, welche den ganzen
grofsen Bildraum einer ungetheilten Wand be-
herrscht — denn zwei weiter unten angebrachte
Figuren von Heiligen heben, obgleich sie eben-
falls lebensgrofs sind, die Wirkung der Haupt-
figur eher hervor, als dafs sie dieselbe beein-
trächtigten —, ist ein wahrhaft grofsartiger künst-
lerischer Gedanke. Etwas eigenthümlich Feier-
liches bekommt die Darstellung noch dadurch,
dafs zu den Seiten des Christus zwei brennende
Kerzen in dem Gehäuse angebracht sind. Diese
gemalten Flammen brennen wohl zum dauern-
den Gedächtnifs Derjenigen, welche dieses Ge-
mälde gestiftet haben. An den Leuchterarmen .
hängen auch hier Wappenschildchen, aber die-
selben sind leer, das eine einfarbig roth, das
andere einfarbig blau; die Stifter haben also
wohl keinem wappenführenden Geschlecht an-
gehört. Deswegen erscheint es zweifelhaft, ob
zwei kleine, am Fufs des Gehäuses angebrachte
Gestalten die Stifter vorstellen sollen; denn
beide erscheinen in sehr vornehmer Kleidung.
Das ist auch bei derjenigen noch wahrzunehmen,
welche durch einen hier eingesetzt gewesenen
Balken zum gröfsten Theil zerstört ist; man er-
kennt ein langes violettes Untergewand und einen
grünen Mantel mit weifsem Futter. Die andere
der kleinen Figuren, die wohl erhalten ist, könnte
der Tracht nach ein Deutschordensherr sein;
denn sie trägt einen langen weifsen Rock und
einen weifsen, schwarz gefütterten Mantel und
eine schwarze Mütze auf dem langlockigen und
vollbärtigen Haupt. Es wäre denkbar, dafs die
beiden Figuren Propheten vorstellten. Leider ist
die Schrift auf dem von jenem bärtigen Manne
gehaltenen Spruchband, welche ehemals Auf-
klärung gab, spurlos verschwunden. Dagewesen
mufs sie sein; denn wenn auch ein leerer Wap-
penschild möglich ist, ein leeres Spruchband ist
es nicht. Die Buchstaben haben das Schicksal
der Gesichter an dieser Wand getheilt; der sonst
so treffliche Maler mufs es hier wohl versäumt
haben, der Farbe, mit welcher er die letzten,
 
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