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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0080

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127

1800. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 1.

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nagelten Armen an dem Kreuze auf einem Fufs-
brette, welches sich in Nichts von den Fufs-
bänken unterscheidet, auf denen man in der
damaligen und besonders in der byzantinischen
Kunst die an Rang und Würde hervorragenden
Personen stehen sieht. Und, wie wir meinen, ist
denn auch die Fufsbank, auf welcher der Hei-
land hier mit keineswegs leidendem Gesichts-
ausdrucke und in ungebrochener Haltung steht,
nur das Ausdrucksmittel für seine Würde und
sein Ansehen. Das bedeutet sie nicht allein
hier, sondern an allen Cruzifixen, wo sie sich
um diese und die nächste Zeit vorfindet. Je mehr
das Kreuzigungsbild seinen historischen Charak-
ter verlor, je mehr es zum Cruzifixus wurde,
um so mehr mufsten derartige Beigaben, im
Besonderen also das Fufsbrett, Eingang finden.
Mit der Zeit sieht man daher dieses Trittbrett
fast regelmäfsig. Aber auch seine Zeit ging
vorüber, freilich erst nachdem Jahrhunderte
lang das Fufsbrett seine eigentliche Bedeutung
und damit seine Form verändert hatte. Der
Sinn, dem gleichsam nur erst vor dem Kreuze
stehenden Christus eine seiner Würde ent-
sprechende Fufsbank zu sein, ging natürlich
in dem Mafse verloren, als das Verständnifs
für eine derartige Auszeichnung schwächer und
schwächer wurde. Sobald auf das Kreuzigungs-
bild jener ausgezeichnete liturgische Sinn der
Welterlösung übergegangen war, wurde seine
Darstellung aufserordentlich häufig und seine
Form typisch. Das Fufsbrett wurde aber auch
dann immer noch wiederholt, als man seinen
Sinn längst nicht mehr verstand. Und so kam
man allmählig dazu, ihm einen anderen will-
kürlichen Sinn beizulegen; es wurde besonders
bei den plastischen Cruzifixen zur Konsole und
diese bildete sich aus zu einem Unthiere, zum
Kelche, in welchen des Heilandes Blut herab-
fliefst u. s. w. Das sind die Formen der ro-
manischen Zeit. Nach solcher Willkür aber
geht das Trittbrett völlig verloren in der Gothik,
weil nunmehr der Gedanke, der es geschaffen
hatte, ganz verschwunden war: das Gefühl, wel-
ches Schmerzen oder gar den Tod leidende
Götter nicht kannte und bilden konnte, hatte
sich umgewandelt in ein solches, welches einen
Gott liebte, welcher sich durch Schmerzen und
selbst durch den Tod für die Menschen opferte.
Seit gothischer Zeit hängt Christus mit über-
einander genagelten Füfsen am Kreuze, eine

unnatürliche, weil nicht ausführbare Haltung.
— Für unsern Zweck haben Einzelheiten wie
das Vorkommen von Maria und Johannes, Sonne
und Mond, und Anderes auf dem Brustkreuze
der Theodolinde weniger Bedeutung; ebenso
gehen wir hier nicht näher ein auf sonstige Form-
umwandlungen in der romanischen Epoche, z. B.
auf die allmählich aulhörende Weise, den Erlöser
mit einem langen Rocke zu bekleiden. Dagegen
wollen wir die Ergebnisse unserer Untersuchung
noch einmal durch einen kurzen Rückblick
zusammenfassen: Die Kreuzigungsbilder des
V. Jahrh. stellen die Hinrichtung Christi am
Kreuze dar, die um 600 und später die Erlösung
der Welt durch den Tod Christi am Kreuze.
Die Welterlösung wurde im V. Jahrh. ganz
anders veranschaulicht, nämlich durch das Mono-
gramm Christi, durch cruces gamnaiae oder
auch schon durch das Lamm mit dem Kreuze.
Sie konnte erst durch das Kreuzigungsbild ge-
geben werden, als mit der Abschaffung der
Kreuzigungsstrafe das auf dieser haftende Odium
verschwand, und sie mufste es dann endlich
werden und bleiben, weil die Quintessenz der
Lehre Christi in seinem Ende liegt. Nachdem
das Kreuzigungsbild liturgischen Sinn bekom-
men hatte, vermehrte sich seine Darstellung und
wurde in seinen Attributen fast .stehend, so dafs
seine liturgische Form auch da beibehalten
wurde, wo ihr ein liturgischer Sinn kaum unter-
gelegt werden konnte: eine Veränderung findet
sich höchstens in nebensächlichen Einzelheiten,
je nach dem mehr historischen oder liturgischen
Charakter in dem gegebenen Falle. Das Fufs-
brett war gleich anderen Zuthaten anfänglich
nebensächlich; es entsprach den byzantinischen
Anschauungen von Ehre und Würde bezw. war
die formale Ausdrucksweise dafür. Es wurde mit
der Zeit typisch, verlor aber mit dem Schwin-
den byzantinischen Wesens diese seine ursprüng-
liche Bedeutung. Andere Bedeutungen aber
gaben ihm dann auch andere Formen und diese
sind nicht selten aufserordentlich tiefsinnig, wie
die mittelalterlichen Schöpfungen in der Regel;
sie besagen meist weit mehr, als das ursprüng-
liche byzantinische Trittbrett es vermochte. Sie
sind aber zu mannigfach und verschieden, als
dafs wir ihre Bedeutung hier besprechen könn-
ten. Letztere ergiebt sich übrigens auch in den
einzelnen Fällen leicht von selbst.

Hannover.

G. Schönermarlt,
 
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