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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0101

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167

1890. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

168

In allen vorangeführten Fällen steht das-
jenige, was ausgeführt wurde, als definitives und
selbstständiges Bauwerk da, fertig auch ohne
Hinzufügen des zweiten Theiles, während es
sich nach Erbauung des letzteren, als organisches
Glied dem Ganzen einfügt; und — es wurden
keine Kosten für provisorische Bauten
verausgabt.

Es bleibt zur weiteren Erläuterung der mit-
getheilten Zeichnungen noch zu erwähnen, dafs
die Ausführung der Kirche und des Pfarrhauses
für Haiger in Bruchstein-, für Fechenheim
dagegen in Backstein-Mauerwerk mit Sandstein-
Architektur projektirt ist. Das Pfarrhaus für
Haiger schliefst auf beiden Stirnseiten mit einem
Fachvverkgiebel mit sichtbarem Holzwerk und
glatt geputzten Gefachen ab. Ebenso ist das
obere Thurmgeschofs (die Glockenstube) in
Holz konstruirt, aber mit Schiefer bekleidet,
während der Kirchengiebel bis in die Spitze
Bruchstein-Mauerwerk ist. Ich glaube, dafs die
verschiedene Behandlung der oberen Bautheile,
durch welche Kirche und Thurm dominierend
hervorgehoben werden, die malerische Erschei-
nung der Baugruppe erhöht.

In Fechenheim ist der Chor der Kirche
nach der Strafse zu gelegen. Derselbe ist mit
dem kräftiger angelegten Thurme, welcher bis
zum Dachansatze in Backsteinen gemauert ist
und in einen Dachreiter endigt, zu einer das
Ganze beherrschenden Baugruppe vereinigt, und
an diese lehnt sich das Pfarrhaus mit seinen
ebenfalls in geputztem Fachwerk ausgeführten
Dach-Erkern bescheiden an. In der Vorder-
ansicht (Giebel-Fassade) dominiert dagegen der
grofse, die Breite der beiden Schiffe einneh-
mende Kirchengiebel, während nach dem Orte
zu der Stirngiebel des Pfarrhauses in den Vorder-
grund tritt. Auf diese Weise ist nach allen
Seiten eine malerische Wirkung der in schöner
freier Lage, keine hundert Schritte vom Main-
ufer befindlichen Baugruppe beabsichtigt.

Ich möchte diese Skizze nicht schliefsen, ohne
mit einigen Worten auch die Stilfrage zu berühren.
Die vorgeführten Entwürfe sind in gothischem
Stile projektirt, der m. E. für einfache Kirchen
und namentlich für Missionsbauten der zweck-
mäfsigste ist.

Die Unsicherheit im Baustil ist ein eigenes
Zeichen unserer Zeit: Kaum sind wir seit
einigen Dezennien in der Handhabung des

gothischen Stiles etwas sicherer geworden —
von der Sicherheit und Gewandtheit unserer
mittelalterlichen Vorfahren sind wir mit geringen
Ausnahmen noch weit entfernt — so werden
wir in neuerer Zeit, und selbst von kunstver-
ständiger Seite, auch schon wieder vielfach auf
einen anderen Baustil, den romanischen, hin-
gewiesen, welcher sich, seiner billigeren Aus-
führung halber, namentlich für kleinere Kirchen,
besser eigne, als der gothische.

Bei allem Respekt vor den Erzeugnissen der
romanischen Kunstepoche glaube ich doch, dafs
kaum ein Stil sich weniger eignet, mafsgebend
für die Kirchenbauten unserer Zeit zu werden,
als gerade der romanische, mit seinen strengen
Formen, schweren Pfeiler- und Mauermassen
und kleinen Fensteröffnungen. Kein Stil ist
darin auch empfindlicher und gestattet weniger
eine freiere Auffassung und Disposition: werden
diese strengen, ganz unabänderlichen Ueber-
lieferungen nur im geringsten verlassen, erlaubt
man sich leichtere Pfeiler oder gar Säulen,
gröfsere Fensteröffnungen,1) sofort ist der neu-
romanische, der Kasernenstil da, und vor dem
bewahre uns der Himmel. Die meisten sogen,
„romanischen" Kirchen unserer Zeit, ich möchte
sagen, fast alle, mit nur winzigen Ausnahmen,
tragen leider nur allzusehr dieses Gepräge.

Dagegen ist der gothische Stil so viel um-
fassend und geschmeidig an Formen wie an
Konstruktionen, dafs er den kleinsten, wie den
gröfsten Anforderungen mit Leichtigkeit gerecht
wird. So einfach, wie im romanischen, kann man
auch im gothischen Stile bauen und zwar durch-
aus echt. Die vielen Schnörkel und Verzierungen
machen den gothischen Stil wahrhaftig nicht aus,
im Gegentheil, dieselben verratheiv oft allzudreist
und offen, dafs ihr Autor kein Gothiker war.
Und warum sollte man auch im romanischen
Stil billiger bauen? Ihrer schweren Massen und
Konstruktionen wegen mufs die romanische
Bauweise naturgemäfs theurer sein, als ihre
sich in leichteren Formen bewegende gothische
Schwester.

Bleiben wir daher bei der Gothik, bis etwas
wirklich Besseres gefunden ist; und das wird
wohl noch recht lange dauern.

Frankfurt a. M. M. M e c k e 1.

') [dünnere Wände, welchen dann Strebepfeiler
vorgelegt werden müssen.] D. H.
 
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