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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0151

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261

1890. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

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dem Hauptchore) sind vermauert. Die fünf Seiten sind
in sehr schöner Weise gleich von unten an markirt
durch runde Wandsäulen mit Sockel, Schaft und Ka-
pital. Auffallend ist hierbei, dafs die Kapitale nicht
so hoch liegen, dafs sich die Rippen des Gewölbes
unmittelbar darauf ansetzen, sondern dafs dieselben
erst noch 1 bis 2 in senkrecht an den Seitenwänden
hinunterlaufen und dann erst auf die Kapitale treten.
Dadurch kommt ein reicher Wechsel in die Linien,
welche die fünf Seiten einschliefsen. Die drei Fenster
haben einen Schmuck an dem Mafswerk und den
Pfosten, wie er reicher kaum sein kann. Die Fenster
sind, wie alle Fenster der Kirche, dreitheilig. Das
Mafswerk ist an jedem Fenster anders. Die Fenster-
pfosten (sowohl die beiden freistehenden wie die beiden
seitlichen) jedes Fensters in dem Chore der Neben-
schiffe haben innen und aufsen Sockel, Rundstab und
Kapital, welches an jedem Pfosten anders gestaltet ist.
Nimmt man dazu die in einem Punkt (Centrum) zu-
sammenlaufenden Rippen und das querlaufende Kaff-
gesims, so entsteht ein Formenreichthum, der die Be-
wunderung jedes Kunstkenners erregt. Denkt man
sich diese Chörchen stilgerecht ausgeschmückt, so wird
die Wirkung eine prächtige sein. Leider wird das
schöne Bild aufser einzelnen Beschädigungen an dem
Mafswerk und den Kapitalen der Fensterpfosten am
meisten durch einen breiten Zopfaltar entstellt, welcher
hoffentlich recht bald ebenso beseitigt wird, als der
des Hauptchores.

Der Abschlufs des Hauplchores, der noch zwei
Vierungen mit Kreuzgewölben enthält, ist ebenfalls
fünfseilig. Die Rippen des Oktogons setzen sich auf
runde Wandsäulen mit Sockel und Kapital, während
die Gurten des Chores auf eckigen Halbsäulen ruhen.
Die fünf Fenster sind ebenfalls dreitheilig mit ver-
schieden geformtem Mafswerk, aber mit einfachen
Pfosten (biraförmig).

Das Gewölbe in den Nebenschiffen und zum Theil
auch in dem Hauptschiffe besieht aus einem Kreuz-
gewölbe ohne hervortretende Rippen. Zwei Felder
des Hauptschiffes, welche jedenfalls später erneuert
sind (wahrscheinlich nach einem der Brände, durch
welche die Kirche heimgesucht wurde), sind mit einem
Gewölbe versehen, wie sie die Spätgothik herzustellen
beliebte. Der Hauptchor, wiewohl er in dem Fenster-
mafswerk die Spätgothik (Fischblasen) zeigt, hat reine
Kreuzgewölbe mit Gurten und Gräthen.

Neben dem Hauptportale unter dem Thurme hat
die Kirche noch je ein Portal in der Mitte jedes Seiten-
schiffes. Das südliche zeigt ältere Formen als das
nördliche und das Hauptporlal. Bei den Säulen im
Hauptschiffe sieht man unmittelbar über dem Fufs-
boden den oberen Theil des Sockels, ein Beweis,
dafs das Schiff der Kirche vielleicht ein Meter hoch
angefüllt ist.

Beim Beseitigen der weifsen Tünche im Haupt-
chore — das übrige ist noch nicht in Angriff ge-
nommen — hat sich herausgestellt, dafs der ganze
Chor dekorirt war und zwar auf gelblich - weifsem
Grunde mit Ziegelroth. Die aufgedeckten Formen an
den Fensternischen, den Rippen, den Schlufssteinen
(rolhes Kreuz in weifsem Grunde mit kranzartiger
Umrahmung), den Säulen und in den Zwickeln der
Gewölbe sind noch so vollständig erhalten, dafs danach
ein genaues Bild der ursprünglichen Bemalung der
Kirche gemacht werden kann. Im Interesse der kirch-
lichen Kunst, besonders der stilgerechten Dekoration,
wäre es gewifs wünschenswerth, wenn die aufgefun-
denen Formen und Farben ganz genau kopirt würden.

Bei Beseitigung des Zopfaltares, welcher das mittlere
Fenster des Hauptchores fast ganz verdeckte und be-
sonders durch seine Breite die architektonische Wirkung
des Hauptchores verhinderte, hat sich die unversehrt
erhaltene Altarplatte gefunden. Das Profil derselben,
welche 2,30 m lang, 1,35 m breit und 0,25 m dick
ist, hat sehr schöne Formen und Verhältnisse.

Zwei Kunstdenkmale aber haben sich in der Kirche
erhalten, welche jeden Kunstverständigen mit besonderer
Freude erfüllen: ein bis unter das Gewölbe reichendes
Sakramentshäuschen und ein Taufstein. Beide sind in
rothem Sandslein wahrscheinlich von demselben Meister
in den besten gothischen Formen sehr reich gehalten
ausgeführt.

Der Sakramentsschrein, dreiseitig (halbes Sechseck),
ist bis auf die fehlenden Figuren an den vier Ecken
noch ganz unversehrt erhalten und steht anderen be-
rühmten Sakramentsschreinen, z. B. in der Wiesen-
kirche zu Soest, nicht nach. — Das Sakramentshäuschen
in Steinheim bleibt in Gröfse und Formenreichthum
wie Formenschönheit hinter demselben weit zurück.

Der Taufstein, achtseitig (vollständiges Oktogon), ist
leider nur in seinem Untertheile erhalten. Der kupferne
oder bronzene Deckel ist nämlich in den Stürmen der
Vorzeit abhanden gekommen, wahrscheinlich geraubt
und eingeschmolzen. Aber auch ohne diesen verdient
dieser Taufbrunnen wegen der vielen (zwei bis drei auf
jeder der acht Seiten oben, und je eine auf den acht
Seiten unten) edlen und wirklich schönen Hoch-Relief-
figuren und des Mafswerks den berühmtesten Taufsteinen
aus dem Mittelalter, besonders aus der gothischen Zeit,
an die Seite gesetzt zu werden. Möchte sich doch ein
Kunstfreund finden, der die Mittel spendet, dafs vor-
erst wenigstens in Eichenholz statt des Holzkastens, der
jetzt darauf als Deckel steht, ein Deckel hergestellt
wird, der zu dem herrlichen Taufsteine pafst.

Es ist zu wünschen, dafs von einem Kunstkenner
eine genaue Beschreibung und Zeichnung dieser beiden
Gegenstände angefertigt und hier in dieser Zeitschrift
publizirt wird.

Holzminden. Joh. Gcrhnrdy.
 
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