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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0176

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305

1890. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 10.

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auf allen Hauptlinien mit Kerzenträgern besetzt
ist: jedenfalls eins der hervorragendsten Werke
kirchlicher Schmiedearbeit aus gothischer Zeit.

Sehr mannigfaltig sind dann die Formen der
tragbaren, auf einem mittleren Stamm ruhenden
Kronen oder Pyramiden für geweihte Kerzen,
von denen neben zahllosen einfachen Ge-
brauchsgeräthen reichverzierte Beispiele noch
erhalten sind; auch hier ergibt wieder Belgien
die reichste Ausbeute. Nach Gailhabaud seien
besonders diejenigen von Chapelle-ä-Wattine,
von Tournay, Ypern und Lierre namhaft ge-
macht. Sie haben meist einen dreitheiligen
Fufs, um auf dem häufig unebenen Kirchen-
boden einen sichern Stand zu finden. Die in
mehrere Reihen übereinander pyramidal ange-
ordneten Lichterkränze pflegen um den Mittel-
stamm drehbar zu sein, um dem Küster das
Anzünden zu erleichtern. Ein sehr interessan-
tes Beispiel eines schmiedeeisernen Kandelabers
für die Tenebrä (finsteren Metten in der Char-
woche) besitzt noch die Domkirche zu Osna-
brück; hier sind fünfzehn Lichter auf den
oberen Schenkeln eines gleichseitigen im Innern
mit reichem, schmiedeeisernem Maiswerk aus-
gefüllten Dreiecks angeordnet.

Wenn für die hängenden Kerzenkronen das
bevorzugte Material auch die Bronze ( in früheren
Zeiten auch wohl Silber], war, so sind die uns
erhaltenen, in Kunstschmiedearbeit ausgeführten
Stücke, wenn auch weniger zahlreich, so doch
von ganz besonderem Kunstwerth. Eins der-
selben bildet Gailhabaud als „hängende Jung-
frau" ab. Dasselbe befindet sich in der Kirche
zu Kempen am Niederrhein. Thatsächlich bildet
hier den Haupttheil der Komposition die Ge-
stalt der Maria mit dem Jesuskinde, auf dem
Halbmond stehend und von dem Strahlenkranz
umgeben. Zu ihren Füfsen entwickeln sich
acht reiche gothische Ranken, in Kreuzblumen
endigend, in welchen Engel knieen, die in den
Händen Kandelaber tragen. An der Hänge-
stange über der Madonna halten zwei schwe-
bende Engel die Krone, über welcher ein seg-
nender Gott Vater und höher eine Himmels-
kugd angebracht ist, von welcher sich zwei
Tauben lösen. (>b die reiche figürliche Zuthat
dieser schönen Krone ebenfalls aus getriebenem
Eisen, oder vielleicht aus Holz oder Bronzegufs
gefertigt ist, geht aus der Darstellung nicht hervor.

Im Aufbau ähnlich aber bei Weitem reicher
und gröfser, als die beschriebene, ist die Kir-

chenkrone, welche Hefner-Alteneck in seinen
»Eisenwerken des Mittelalters und der Renais-
sance« auf Tafel 34 mittheilt. Während auch
hier eine Madonna auf der Mondsichel und
in der Aureole die Mitte bildet, nähert sich der
unter ihren Füfsen sich entwickelnde Kronen-
leuchter mehr der uralten Form der Ring-
kronen, wofür Aachen und Hildesheim die klas-
sischen Beispiele geben. Zwei übereinander
liegende Ringe von äufserst kunstvoll durch-
brochener Eisenarbeit tragen zwölf gothische
Tabernakel, unter welchen die Gestalten von
Christus und elf Aposteln, ebenso wie die Ma-
donna aus Holz geschnitzt, gemalt und vergol-
det. Vom Fufs jedes Tabernakels streckt sich
ein Arm vor, der in einer kronenartigen Tülle
die Kerze trägt. Der untere Ring ist durch
Ketten mit einem sechseckigen, ebenfalls mit
Eckthürmchen besetzten Doppelring verbunden,
dei über der Madonna angebracht ist. Eine
Inschrift auf diesem Ringe giebt als Verfertiger
des prächtigen Stückes den Schmiedemeister
Gert Bulfink, Bürger von Vreden (Westfalen)
an, der im Jahre 1489 diese Arbeit vollendete,
die von der Schmiedezunft von Vreden der
Kirche ihrer Vaterstadt gestiftet wurde. Der
Kronleuchter, dessen Mafse übrigens 872 Fufs
Durchmesser auf 14 Fufs Höhe sind, befindet
sich, neuerdings durch Prof. Andreas Müller in
Düsseldorf restaurirt, noch am ursprünglichen
Bestimmungsort.

Wesentlich abweichend von beiden vorigen
ist die grofse schmiedeeiserne Krone im Dom
zu Lübeck. Dieselbe stellt eine gothische Burg
mit Fialen und Zinnenkränzen dar; auf dem
untern, quadratischen Boden stehen zwei Ge-
stalten von Bischöfen, vor zwei Seiten des Qua-
drats auf vorspringenden Konsolen zwei Hei-
lige unter reichen Baldachinen; vor den vier
Ecken springen achteckige Erkerchen vor, auf
welchen kleinere Figuren Kandelaber zur Auf-
nahme der Kerzen halten. Der reiche Balda-
chin, welcher das Ganze überdeckt und durch
zwei Strebebogen mit den Seiten-Baldachinen in
Verbindung steht, ist aus dem Sechseck kon-
struirt. Der Stamm, an welchem das Ganze hängt,
ist reich mit freigeschmiedeten Ornamentblumen
besetzt, die auch vom oberen Knauf herabhängen.

So kunstvoll die beschriebenen schmiede-
eisernen Kirchengeräthe der gothischen Periode
auch sind, so erreichen sie, was die Technik
der Eisenbehandlung betrifft, doch bei Wei-
 
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