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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0198

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347

1890.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

Nr. 11.

348

In jüngster Zeit sind durch Herrn Dom-
kapitular A. Schnütgen in Köln, den Heraus-
geber dieser Zeitschrift, gelegentlich einer For-
schungsreise zwei Gefäfse entdeckt und ans Licht
gezogen worden, welche durch die an ihnen
geübte Technik des Glasschnitts bekunden, dafs
sie zu derselben Gattung von Gefäfsen gehören,
wie die sogen. Hedwigsgläser, Es sind dies:

13. Ein im Halberstadter Domschatz be-
findliches geschnittenes Glas, früher als Behälter
für Reliquien der Apostel Jakobus und Thomas
benutzt, mit Randfassung, auf hohem silberver-
goldeten Fufse. Der letztere und insbesondere
der mit Wimpergen und Fialen geschmückte
Klappdeckel in Form einer sechsseitigen Thurm-
pyramide zeigen gothische Formen. Höhe des
Glases 8,9 cm, oberer Durchmesser 7,5, unterer
5,3 cm; über den Fufsrand gemessen 6,5 cm.
Die Dekoration durch den Glasschnitt ist eine
höchst eigentümliche, rein geometrische, welche
sich schwer beschreiben läfst. (Vergl. Figur 4.)
Es sind ovale, herzförmige und halbkreisförmige
Felder eingeschnitten, welche der Verzierungs-
weise bei der sogen. Kuglerarbeit nahe kommen.
In der Mitte der ovalen Felder sind Augen,
zwischen den halbkreisförmigen Stege stehen
geblieben, während bei den herzförmigen Fel-
dern beilförmige Lappen von oben in die aus-
gegründete Fläche hineinragen. In den Zwickeln
zwischen den herzförmigen Flächen sind, am
Fufse des Glases, mondförmige Ausschnitte an-
gebracht. Diejenigen Flächen, welche von der
ursprünglichen Oberfläche des Glases stehen
geblieben sind, sind durch gekreuzte Strichlagen
verziert. Der ganze Charakter der Ornamen-
tirung ist der Technik des Glasschnitts vor-
trefflich angepafst und trägt einen entschieden
orientalischen Charakter. Er erinnert an ge-
wisse textile Muster.

14. Ein gleichfalls als Deckelkelch gefafstes
Gefäfs aus topasfarbigem Glas im Domschatz zu
Minden, 8,5 cm Durchm., mit dem Fufse 39 cm
hoch. Die Ornamente der silbervergoldeten
Randfassung des Deckels und Fufses zeigen
frühgothische Formen. Die auf dem konischen
Becher eingeschnittenen Darstellungen sind: ein
Löwe der typischen Form mit Dreieckschild, ein
ebensolcher Adler, eine baumartige Darstellung
mit palmettenförmigen Zweigen, ähnlich wie auf
dem Breslauer Glase. Die Darstellung (Figur 5)
läfst die letztere nicht genau erkennen. Vier
Metallstreifen verbinden die Rand- mit der Fufs-

fassung. Das Gefäfs befand sich auf der 1879 zu
Münster veranstalteten Ausstellung westfälischer
Alterthümer. (Vergl. Katalog Nr. 454.)

Die ganz eigenartige Verzierungsweise und
Technik der geschnittenen sogen. Hedwigsgläser,
sowie der alterthümliche Stil ihrer Darstellungen,
haben schon seit lange zu Untersuchungen über
ihren Ursprung herausgefordert. Offenbar haben
wir es mit den Erzeugnissen einer und der-
selben Fabrikation zu thun. Darauf weisen die
geringen Unterschiede in der Form und Gröfse
sämmtlicher Gläser und der übereinstimmende
Charakter der Darstellungen hin. Aber wo ist
diese Fabrikationsstätte zu suchen? Essenwein
hält einen orientalischen Ursprung der Gefäfse
nicht für ausgeschlossen, ist jedoch mehr da-
für, dieselben als „abendländisches, also
deutsches" Erzeugnifs anzusprechen.36) Seiner
Meinung schliefst sich Friedrich an und glaubt
durch eine Stelle in einem bei Laborde mit-
getheilten Inventar Karls des Kühnen von
Burgund aus dem XV. Jahrh. die Frage der
Herkunft und dem Alter dieser Gefäfse end-
gültig entschieden zu haben/17) Es wird daselbst
„ung voirre taille d'un esgle, d'un griffon et
d'une double couronne garny d'argenl"m) auf-
geführt. Friedrich ist der Ansicht, dafs hier
ein geschnittenes Glas der in Rede stehenden
Art gemeint ist. Dies ist wohl möglich und
selbst wahrscheinlich; jedoch erscheint es immer-
hin gewagt, Schlüsse auf die nicht immer ge-
nauen und oft mehrdeutigen Beschreibungen in
solchen Inventarien aufzubauen. Jedenfalls geht
Friedrich viel zu weit, wenn er die „double
couronne" als zweifache Papstkrone deutet und
daraus folgert, dafs das beschriebene Glas zwi-
schen 1298 und ca. 1370 entstanden sei, da die
zweifache Krone erst durch Papst Bonifaz VIII.
(1294 bis 1303) eingeführt und alsdann von
den Päpsten bis zu Urban V. (1362 bis 1370),
welcher den dritten Reifen hinzufügte, getragen
worden sei. Die, wie Friedrich meint, „zwin-
gende Beweiskraft" dieser Stelle leuchtet mir
nicht ein. Abgesehen davon, dafs couronne
auch noch „Kranz" bedeutet, ist die Zeit, in

86) »Anzeiger des Germ. Museums« 1879, Sp. 34.
Vergl. ebenda 1877, Sp. 228 ff.

8") a. a. O. S. 199.

88) Invtntairt de Charles le Te'm/raire, ms. des
archives de Lille, public" par AI. de Labor de, Les
Ducs de Bourgogne, t. II Nr. 27SS- Auch angeführt
bei Gerspach »la Verrerie«, S. 10().
 
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