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Zeitschrift für christliche Kunst — 14.1901

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Semper, Hans: Eine venetianische Holztafel mit Beinreliefs im Kensington-Museum, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4055#0057

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73

1901. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

74

Auch läfst der barbarische Stil dieser
kurzen, gänzlich proportionslosen Figuren es
nicht zu, ihre Entstehungszeit vor der 2. Hälfte
des VI. Jahrh. anzusetzen und selbst diesem
machen sie keine Ehre, obwohl im Laufe des-
selben die menschlichen Körperverhältnisse sich
schon wesentlich verschlechterten und neben den
langgestreckten Gestalten, wie sie die Mosaiken
Justinians in S. Vitale zu Ravenna zeigen, auch
schon jene zwerghaften Körperbildungen vor-
kamen,40} wie sie den
Imperalorenfiguren des
Vatikans eigen sind.
Auch würde die Bärtig-
keit derselben für das
VI. Jahrh. sprechen.
— Unter gleichzeitig
regierenden Kaisern
kämen vielleicht Justi-
nus II. und Tiberius
als in diesen Reliefs
dargestellte Persönlich-
keiten in Betracht, in-
dem beide 574 bis 578
zusammen das oströ-
mische Reich be-
herrscht hatten.

Ehe wir uns nun
über die Frage ausspre-
chen, in welchem Ver-
hältnifs in Bezug auf
J Stil und Entstehungs-
zeit die Porphyrreliefs
von S. Marco zu den
ihnen verwandten Por-
Phyrreliefs des Vatikans
stehen, welche wir der
römischen Verfallszeit
des VI. Jahrh. zuzu-
weisen geneigt sind,
wollen wir die bisher über Erstere in der
Litteratur geäufserten Ansichten zusammen-
las Diptychon des Consuls Probus Famulus mit der
Darstellung des Kaisers Honorius vom Jahre 406
(Garrucci T. 446, 3), wo die Arme noch entblöfst
sind, mit der Statue von Barletta (Schulz »Denk-
mäler Unteritaliens« T. XXVII) und dem barberinischen
Diptychon aus Justinian I. Zeit (D'Agincourt »Atlas
der Sculptura T. III, Fig. 15, wo bereits die anschließen-
den, langen Aermel dargestellt sind.

40) In dieser Beziehung kann auf die Gestalten der
isklaven, welche Geldsäcke ausschütten an dem
Diptychon des Consuls Rufinus Gennadius Probus
Orestes vom Jahre 530 (South Kensington Mus.

Fig. 4.

stellen, da sich in denselben allmählich bereits
eine sachliche Klärung und Annäherung an
eine richtige Erkenntnifs vollzogen haben dürfte.
Schon Winckelmann erwähnt derselben in
Kürze und schreibt sie der mittleren oder
späteren Kunst der Byzantiner zu, indem er
zugleich die allerdings absurde Deutung des
Girolamo Maggi zurückweist, als sollten diese
Gruppen die Tyrannenmörder Harmodius und
Aristogiton darstellen und demnach archaisch-
griechisch sein.41) An-
dere ebenso sinnlose

Deutungen erwähnt
Selvatico.42) 1844 er-
schien in Venedig eine
Schrift, von Em. Ci-
cogna und Anton v.
Steinbüchel verfafst, in
welcher die Ansicht
vertreten wurde, diese
Reliefs stellten die vier
Imperatoren zur Zeit
Diocletians dar und
seien ursprünglich in
Nicomedien vielleicht
an einem Cirkus als
Schmuck der Spina
aufgestellt gewesen,
von wo sie Constantin
nach Konstantinopel
gebracht habe, wäh-
rend die Venetianer
sie von dort als Sieges-
trophäe nach Venedig
weggeführt hätten.48)
Dieser, auf zahl reichen
aus der Luft gegriffe-
nen Hypothesen be-
ruhenden Annahme
trat Prof. Pietro Pasini

Forphyrrelief im Museum des Vatikans.
(Gegenstück zum vorigen.)

im Jahre 1846 im Ateneo zu Venedig entgegen,
indem er zugleich die ebensowenig begründete

N. 139—! 866, Photogr. n. 3742), sowie auf die
Wachen am Grab auf der Elfenbeinschnalle des Bischofs
Cesarius von Arles (f 542) Garrucci VI. T. 479
Fig. 17 hingewiesen werden.

4t) Winckelmann »Storia delle arti del disegno
presso gli antichi etc.« (Milano 1779.) Tom II. p. 16.
»Le quattro figure d'un sol pezzo di porfido, poste a
due a due nel palazzo del Doge a Venezia, son lavoro
greco del basso impero o de'tempi posteriori etc.«

42) P. Selvatico »Sulla architettura e sulla scul-
tura di Venezia« (Ven. 1847) p. 498.

43) »I due gruppi di porfido sull' angolo del tesoro
 
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