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Zeitschrift für christliche Kunst — 14.1901

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Semper, Hans: Eine venetianische Holztafel mit Beinreliefs im Kensington-Museum, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4055#0062

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83

1901.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

84

zeitig regierenden oströmischen Kaiser Justi-
nus IL und Tiberius darstellen dürften, wo-
gegen wir in den Porphyrgestalten von S. Marco
die Feldherren und zeitweiligen Usurpatoren
der Kaiserwiirde Nikephoros und Zimiskes
sammt ihren Schützlingen Basilius II. und Con-
stantin IX. aus dem X. Jahrh. zu vermuthen
hätten, so bleibt immer noch die merkwürdige
Uebereinstimmung der Motive beider Gruppen
übrig, welche einer Erklärung bedarf. Wir
können keine andere dafür geben, als dafs die
Darstellung solcher Imperatorengruppen seit
der Theilung des rö-
mischen Reiches unter
Diocletian und Con-
stantin ein typisches
Symbol geworden sei,
um die Einheit des
Reiches in der innigen
Vereinigung beiderlm-
peratoren zu veran-
schaulichen, so lange
eine solche Idee in
den Zeitverhältnissen
noch irgendwie be-
gründet war. Nach
solchen Vorbildern wä-
ren denn auch sowohl
die vatikanischen Grup-
pen, wie die von S.
Marco geschaffen wor-
den, ohne dafs jedoch
letztere gerade unmit-
telbar nach Ersteren
nachgebildet worden
sein müssen.

Um nun wieder zu
unserem Ausgangs-
punkte zurückzukommen, so besteht, wie wir I
sehen, jedenfalls kein Zweifel, dafs die Porphyr-
figuren von S. Marco die Vorbilder zu den fast
genau entsprechenden Gruppen auf der in Rede
stehenden Elfenbeinrelieftafel im Kensington-
Museum abgaben, was jedenfalls ein weiterer
Beweis für den venetianischen Ursprung
dieser letzteren ist.

Unsere nächste Aufgabe ist nun, die beiden
mittleren Figuren dieser nämlichen Tafel
in's Auge zu fassen. In ihnen prägt sich der
byzantinische Typus in noch unzweifelhafterer
Weise aus, als in den beiden Kriegergruppen,
wiewohl auch sie zugleich den Charakter der

Fig. 5. Miniaturbilder des Nikephoros Botoniades und der Kaiserin

Maria (1078—81) aus dem Chrysostomuskodex der Bibl. nat. Paris

(Racinet. PI. G. H, F. 1 u. 5).

blofsen Nachahmung nach byzantinischen
Vorbildern unverkennbar verrathen. Beide Fi-
guren entsprechen sowohl in der Stellung, in der
Handhaltung, in der Tracht, in deren Anord-
nung und Verzierungen, als auch in den Attri-
buten, fast genau den Miniaturbildern eines
byzantinischen Kaiserpaares, angeblich
des Nikephoros Botoniades (1078—81)
und der Kaiserin Maria (Fig. 5) in den
ausgewählten Werken des S. Johannes
Chrysostomus in derBibliotheque nationale zu
Paris (n. 79), einem Manuskript, welches aus
der Bibliothek des Her-
zogs von Coislin, Bi-
schofs von Metz,
stammt.69)

Vergleichen wir zu-
erst die Figur des Kai-
sers auf unserem El-
fenbeinrelief und im
Kodex des Chrysosto-
mus. Stellung und Ge-
wandung sind, wie ge-
sagt, fast völlig bis in
das Einzelne überein-
stimmend. Der Kaiser
steht in Vorderansicht,
den rechten Fufs etwas
seitwärts setzend, hält
in der rechten Hand
die ferula, d. h. ein
Szepter mit langem
Stab und viereckigem
Abschlufs, dieselbe an
die Schulter anleh-
nend.

Auf der Miniatur des
Chrysostomuskodex
zeigt dieses Viereck noch halbrunde Ansätze
an drei Seiten, was nach Racinet eine Ab-
weichung von der ursprünglichen Form ist,
wie sie unser Relief zeigt.

Die linke Hand des Kaisers ist auf beiden
Darstellungen mit rechtwinkliger Unterarm-
beugung erhoben und hält eine Rolle.

Die lange Seidentunika des Kaisers ist auf
beiden Darstellungen unten mit einer breiten

09) Vergl, die Abbildungen bei Racinet, »Le cos-
tume historique« III, Planche G. H. Fig. 1 und 5. Diese
sind nach den Farbendrucktafeln des Grafen Bastard
in „Recueil des miniatuies du V au XIV siecle" re-
produzirt.
 
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