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Zeitschrift für christliche Kunst — 14.1901

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Semper, Hans: Eine venetianische Holztafel mit Beinreliefs im Kensington-Museum, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4055#0064

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87

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KOT

Ein anderes Gewandstück, mit derselben quadrir-
ten Musterung wie die Stola, bedeckt in diago-
naler Richtung von der linken Hüfte an nach
rechts unten den unteren Theil ihrer Tunika.

Auch das Superhumerale der Kaiserin geht
auf beiden Darstellungen bis über ihre Schulter
herab, zeigt aber auf der Miniatur noch mehr
horizontale Zonen. Die hohe Krone der Kai-
serin mit dem Edelsteinschmuck und dem Mittel-
schild ist ebenfalls bei beiden Darstellungen
gleich, nur fehlen die perlenbesetzten Zacken
des Miniaturbildes auf dem Elfenbeinrelief;
wieder, weil kein Platz mehr dafür da war. —
Endlich rahmen auf beiden Darstellungen dicke
Flechten das Gesicht der Kaiserin ein. — Auch
bei dieser fällt auf dem Elfenbeinrelief die ver-
hältnifsmäfsig gute Zeichnung der Hände gegen
die verkümmerte und schematische Behandlung
derselben auf der Miniatur auf.

Das lächelnde Gesicht mit offenem Mund
auf dem Elfenbeinrelief weicht ebenfalls wesent-
lich von dem ernsten, weniger belebten Antlitz
auf der Miniatur ab.71)

Es fragt sich nun, ob die Darstellungen
eines byzantinischen Kaiserpaares auf unserer
Relieftafel thatsächlich nach jener Miniatur aus
dem Kodex des hl. Chrysostomus nachgebildet
sind, mit der sie in einem Grade übereinstim-
men, der über die Gleichförmigkeit aller solcher
Darstellungen des späteren Byzantinismus weit
hinaus geht. Falls es sich erweisen liefse, dafs
der, wie wir oben sahen, aus der Bibliothek
des Herzogs von Coislin in die Bibliotheque
nationale zu Paris übergegangene Kodex des
Chrysostomus sich früher in Venedig befand,
so wäre es in der That nicht unwahrscheinlich,
dafs die betreffenden Miniaturbilder desselben
für unsere Relieffiguren unmittelbar als Vor-
bilder gedient hätten. Sonst müssen wir eben
doch annehmen, dafs beiden Darstellungen ein
uns unbekanntes byzantinisches Vorbild gemein-
sam zu Grunde gelegen habe, von dem sich
vielleicht auch eine Wiederholung in Venedig
befand und dem Elfenbeinschnitzer als Vorlage
diente.

7I) Zu bemerken ist übrigens, dafs diese beiden
Darstellungen der Kaiserin Maria auch wesentlich mit
derjenigen der Kaiserin Irene auf der Pala d'oro über-
einstimmen, wogegen die Gestalt des Dogen Ordelaffo
Falieri auf letzterer, in manchen Einzelnheiten von den
oben besprochenen Darstellungen des Kaisers Nike-
phoros abweicht.

Oder wir müfsten auch die Möglichkeit in
Erwägung ziehen, ob nicht ein moderner Fäl-
scher das Kaiserpaar der Relieftafel im South-
Kensington-Museum nach Bastards oder nach
Kacinets Wiedergabe der Miniaturbilder in
Paris kopirt habe!

Ehe wir die sich aufdrängenden Fragen
weiter verfolgen, wollen wir zunächst noch die
letzte Figur der Relieftafel näher betrachten,
nämlich das Brustbild des die Arme segnend
ausbreitenden Gottvaters über dem mittleren
Bogenzwickel. Sowohl aus ikonographischen
wie stilistischen Gründen kann diese Figur nicht
vor dem XIV. Jahih. entstanden sein. Wir sehen
in diesem Relief Gottvater deutlich als voll-
bärtigen Greisen charakterisirt, mit einer vom
Christustypus gänzlich abweichenden Kopf-
bildung. Nun wurde aber Gottvater mit einer
ihm eigenthümlichen greisenhaften Kopfbildung
erst seit dem XIV. Jahrh. bildlich vorgeführt,
während er bis zum Ende des X11I. Jahrh. ent-
weder nur durch eine vom Himmel herab-
reichende Hand oder in der Gestalt Christi
dargestellt wurde.72)

In stilistischer Hinsicht zeigt die Gewand-
behandlung am Brustbild Gottvaters auf unserer
Tafel den spätgothischen Charakter der venetia-
nischen Skulptur, wie er in der ersten Hälfte
des XV. Jahrh. sich ausbildete, mit einer Mischung
von gothischen Ueberlieferungen, die sich in
der geschweiften Form einiger Hauptfalten ver-
rathen und von naturwahrer Ausarbeitung der
feineren Einzelnheiten. Der Faltenwurf Gott-
vaters zeigt einen sehr verwandten Charakter
mit dem 1437 von Giovanni Bon ausgeführten
Relief in der Portallunette des Scuola di S.
Marco,73) und mit dem Relief im Hofe von
S. Giovanni Evangelista zu Venedig, wo die
Brüder dieser Scuola mit Wachskerzen knieend
vor dem Evangelisten dargestellt sind.74) Auch
der gut modellirte Kopf Gottvaters erinnert
mit seinem runden lockigen Vollbart, den kräftig
schattirten Wangen und den energisch nieder-
gezogenen Brauen an venetianische Skulpturen

7a) Didron »Iconographie de Dieu«, p. 187, 198,
205. Auch auf einem altchristlichen Sarkophag im
Lateran (Garrucci V. HGö/2), wo die hl. Dreieinigkeit
in drei menschlichen Gestalten dargestellt ist, unter-
scheidet sich der Typus Gottvaters nicht von dem des
Sohnes und hl. Geistes.

™) Siehe Paoletti op. c. I. p. 10.

") Fotogr. Naya 211-1.
 
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