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Zeitschrift für christliche Kunst — 14.1901

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Honsel, H.: Gothische Architekturformen in der Goldschmiedekunst mit besonderer Berücksichtigung der Monstranz
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https://doi.org/10.11588/diglit.4055#0078

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107

1901.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

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früheste Mittelalter zurück, aber die Monstranz
in ihrer eigentlichen Bedeutung als Trägerin
der Eucharistie kam doch erst im XIV. Jahrh.,
als Clemens V. das schon durch Urban IV.
dekretirte Fronleichnamsfest zu erhöhter und
ausgedehnterer Begehung brachte, in allgemeinen
Gebrauch, entwickelte sich hier zu einem
selbstständigen Schaugefäfs und trieb in dieser
Stilepoche, der gothischen, die edelsten und
schönsten Blüthen der Goldschmiedekunst. Mit
Recht wird sie also ein Kind der Gothik genannt.

Von der früheren Bezeichnung der Reli-
quiarien als monstrantia reliquiarum wurde
der Name Monstranz nunmehr in Deutsch-
land herübergenommen, während in Frankreich
für dasselbe die spezielle Bezeichnung „ostensoir"
in Gebrauch kam.

Der Grundrifs ist bei weitaus den meisten
Monstranzen einaxig entwickelt, d. h. je ein
Strebepfeilersystem schliesst sich beiderseits
symmetrisch an das Tabernakel an (Fig. 1);
weniger häufig findet sich die mehraxige oder
centrale Entwickelung, wo mehr, meist sechs,
Strebepfeilersysteme auftreten; das mehraxige
System kann offen sein (Fig. 2), so dafs die
Strebepfeiler allein als die Kanten des Auf-
baues diesen markiren, oder geschlossen (Fig. 3),
indem zwischen den Pfeilern bald gänzlich
geschlossene, bald leicht durchbrochene Seiten-
flächen das Gehäuse abschliefsen.

Von entscheidendem Einflufs auf die Aus-
bildung ist die Form des Hostiengehäuses,
welches entweder eine flache Scheibe (Fig. 4),
entsprechend der Form und Gröfse der Hostie,
oder ein senkrecht stehender Glascylinder
(Fig. 5) ist.

Die erstere Form veranlafste naturgemäfs
und folgerichtig ein einaxiges Grundrifssystem
und meistens eine mehr centrale Entwickelung
des Aufrisses mit der Scheibe als Mittel- und
Ausgangspunkt und geht als vorwiegend mafs-
gebend in die Renaissance- und Barock-Epoche
über (Schema I, Fig. 7).

Die zweite zeigt neben dem einaxigen auch
das mehraxige Grundrifssystem mit einem,
von einer horizontalen Grundplatte aufsteigenden,
oben sich verjüngenden Aufbau (Schema II,
Fig. 6).

Als Beispiele für Scheibenmonstranzen sind
zu nennen die Monstranzen von Ybbs, Wieliczka,
Wenzersdorf, Tamswey, Seitenstetten, Gr. Bit-
tesch, Gewitsch, Mühlfraun, Kuttenberg, Cöln,

Löf a. d. Mosel, Meersburg; als Beispiele für
mehraxige offen e Bildungen die von Essen a. d.
Ruhr, Brauweiler, welche 3 Strebepfeiler, und
Xanten, welche 6 Strebepfeiler zeigen, Cöln,
Aachen (L. Fr.-K.), Florenz, und als Beispiele
für mehraxige geschlosse ne die italienischen
vom Vatikan, Padua, sowie die im Schatze
Rothschild in Frankfurt a. M., Barcelona,
Xanten, Aachen, Lüttich.

Die überwiegende Mehrzahl der übrigen
Monstranzen zeigt das einaxige Tabernakel-
oder Strebepfeilersystem.

Die meisten Monstranzen, nämlich sämmt-
liche mehraxigen, die einaxigen Tabernakel-
monstranzen und viele Scheibenmonstranzen
gipfeln in einem kleinen, polygonalenThürmchen,
welches sich bei dem erstgenannten ganz natur-
gemäfs aus dem polygonalen, bezw. runden
Tabernakel entwickelt (s. a. Fig. 6), bei der
letzteren Art aber sich frei zwischen zwei
Strebepfeiler einspannt (s. a. Fig. 7).

Eine weniger häufige Lösung bei einaxigen
Scheibenmonstranzen ist die, dafs die beiden
symmetrischen Pfeilersysteme über dem Ge-
häuse in einer Fiale zusammenwachsend gipfeln,
wie bei den Monstranzen von Prigglitz und
Matzen.

Es ist naturgemäfs, dafs jene Formen, welche
sich von einer horizontalen Basis entwickeln,
einen rein architektonischen Autbau in erster
Linie fordern, jene, welche von einem Central-
punkt heraus komponirt sind, einer freieren
Gestaltung reichere Gelegenheit bieten. Viel-
fach bestimmend für die mehr oder minder freie
Behandlung war in erster Linie für den Künst-
ler die bewufste und unbewufste Beachtung
der statischen Gesetze.

Es liegt aber in der Natur der Sache, dafs
hier, wo technische Nothwendigkeit vorlag, die
Statik nur insoweit berücksichtigt wurde, als sie
gleichzeitig der Ausdruck ästhetischer Gesetze
war, und dafs bei der unvermeidlichen Ver-
bindung so heterogener Dinge, wie eines glä-
sernen Cylinders und gothischer Strebepfeiler,
diese in unbefangenster und naivster Weise
ohne Rücksicht auf eine architektonische „Lö-
sung" der statischen Beziehungen bewirkt wurde.

Auch in den Detailkonstruktionen wird
unbedenklich die statische Korrektheit anderen
Rücksichten geopfert.

Manchmal setzt der Schwibbogen mitten
oder selbst oben an der letzten Fiale des
 
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