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Zeitschrift für christliche Kunst — 14.1901

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Bergner, Heinrich: Befestigte Kirchen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4055#0140

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200

1901. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 7.

210

Hiermit ist der befruchtende und form-
bildende Einflufs des alten Rundthurms aber
keineswegs erschöpft. Als die Langhauskirche
mehr und mehr in Gebrauch kam, mufste auch
sie eine feste Schutzwehr suchen und man be-
gnügte sich damit, ihr einfach den festen Rund-
thurm westlich vorzusetzen, dessen innere Ein-
richtung mit den zahlreichen übereinander
liegenden Waffenkammern hierbei nicht die ge-
ringste Veränderung erlitt. Dieser eigenartige
Kirchemypus mit runden Westthürmen ist in
Siidschweden und in den Küstengebieten häufig;
er kommt aber auch im mittleren und besonders
im südlichen Deutschland noch oft genug vor
und verräth sich durch die wenig organische
Verbindung mit dem Langhause deutlich als
ein äufserer Zusatz, der nicht aus dem Bildungs-
prozefs der Basilika selbst geboren ist. Nun
drängte auch hier die Entwicklung auf grad-
linige Umfassungsmauern, um den leichteren
Anschlufs an das Langhaus zu gewinnen und
der Rundthurm wird in das Quadrat, dann in
das breite Rechteck umgesetzt. Diese Form
ist bis tief in die gothische Zeit hinein für die
ganze norddeutsche Tiefebene mafsgebend ge-
blieben. Ueberall finden wir die breiten, unge-
schlachten Riesen, die sich wie eine „hohe Wehr"
schützend vor das Kirchengebäude legen. Meist
verrathen die inneren Waffenräume noch deutlich
ihre Herkunft. Der Zinnenkranz hat sich nicht
erhalten, da er durch einen hölzernen Wehrgang
ersetzt wurde, welcher auf starken, in die Mauer
eingebundenen Eichenbalken ruhend, frei in der
Luft hing. Im weiteren Verlaufe wurden jedoch
die breiten Westthürme auch von oben aus-
einandergeschnitten, wie recht klar an der Kirche
in Fjenneslev auf Seeland zu sehen ist, dann
mehr und mehr auseinander gezogen und durch
ein Zwischenhaus getrennt (Corvey) und damit
war das Prinzip der doppelthürmigen Westfront
gefunden. Ein ähnliches Resultat ergab übrigens
auch die Ansetzung flankirender Treppenthürm-
chen, sobald sie den ursprünglichen mittleren
Thurm überragten und wie in Gandersheim
mit dessen Front verschmolzen wurden. Hand
in Hand mit dieser dekorativen äufseren Ver-
änderung ging die Umgestaltung des Innern.
Das Enlgeschofs des alten Wehrthurmes war
von aufsen nicht zugänglich gewesen. Es wurde
nun durch ein mittleres Portal geöffnet und zur
Vorhalle bestimmt. In gleicher Weise verloren
die Obergeschosse ihren Charakter als Waffen-

räume. Sie wurden durch Arkaden nach dem
Langhaus geöffnet und haben als Westemporen
noch ein langes Leben gehabt.

Die Zeit, in welcher sich diese Entwicklung
vollzog, hat Seesselberg nicht näher bestimmt,
da er mit grofsem Recht die Reihe der Typen
unabhängig von der Zeitstellung des zufällig
erhaltenen einzelnen Exemplares zu machen
wünscht. Als treibende Ursache erkennt er
einzig und allein die Raubzüge der Normannen
und Wickinger, welche die reichen Gestade Süd-
schwedens und Norddeutschlands mit ihren
schnellen Schiffen heimsuchten und brand-
schatzten. Und auf die Küstenländer und die
Flufsufer schiffbarer Ströme sind nach ihm auch
die Rundkirchen und deren Ausläuferbeschränkt.
Er weist namentlich daraufhin, dafs die Hansa-
bauten, z. B. in Wisby, nach dem nordischen
Typus angelegt sind. Die Umbildungen nach
der dekorativen und kirchlichen Seite hin ver-
legt er in die Zeit, als die Wickingergefahr
überstanden war und friedliche Zustände die
Ablegung der schweren Rüstung gestatteten. —
In eine Kritik der kühn und energisch durch-
geführten Anschauung Seesselbergs einzutreten,
fühle ich mich nicht berufen. Die Beweiskraft
seiner Schlüsse hätte fraglos gewonnen, wenn
er das in Deutschland vorliegende Material
allseitiger herangezogen hätte. Ist auch die
Entwicklung des Ringwalles zur Rundburg blofse
Hypothese, so lassen sich doch die engsten Be-
ziehungen zwischen dem Burgbau und den festen
Kirchthürmen noch in viel weiteren Grenzen
nachweisen. Allerdings mufs man sich, wie aus
Pipers Forschungen3) hervorgeht, stets gegen-
wärtig halten, dafs der ältere Burgenbau mit
Holzkonstruktionen arbeitete, dafs der Steinbau
erst alhnälig und in weiten Gegenden offenbar
nach Vorgang des Kirchenbaues Eingang fand,
dafs ein runder Typus für den W'ohnthurm oder
Bergfrid keineswegs feststeht, sondern ebenso
häufig quadratische und rechteckige Formen auf-
treten. Der Bildungsprozefs scheint also nicht
in einem Abhängigkeitsverhältnifs, sondern in
gegenseitiger Förderung und Befruchtung ver-
laufen zu sein. Zu eng ist entschieden die
treibende Ursache in den Wickingereinfällen ge-
sucht. Wir finden Festungskirchen im ent-
legenen Binnenlande und sie sind nach Er-
löschen der Wickingergefahr keineswegs ab-

3) O. Piper »Burgenkunde«. (München 1891.)
 
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