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Zeitschrift für christliche Kunst — 14.1901

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Oidtmann, Heinrich: Die Schweizer Glasmalerei vom Ausgange des XV. bis zum Beginn des XVIII. Jahrh., [4]: Nach ihren Denkmälern und den neuesten Forschungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4055#0180

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273

301. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

hann Nikiaus Vincent aus Gressoney-St. Jean in
Piemont erwarb auf seinen Geschäftsreisen 1816
die erste Scheibe. Bei seinem Tode 1865
hinterliefs er deren 600. Mit Recht wird ihm
sein Sammeleifer um so höher angerechnet,
als er keineswegs aus Gewinnsucht, sondern
lediglich aus reiner Liebhaberei sammelte,
denn selbst bei seinem Tode standen die
Scheiben in verhältnifsmäfsig geringem Werthe.
Vincents 1888 verstorbener Sohn Joseph hat
nur wenig zugekauft. Die grofsartige Sammlung
war geraume Zeit im Kapitelsaal zu Konstanz
aufgestellt. Als aber anfangs der 80er Jahre
gelegentlich eines Enteignungsstreites zwischen
der Gemeinde und den Vincents nachts Schrot-
schüsse auf die alten Denkmäler abgegeben
worden waren, liefs Jos. Vincent die Glas-
gemälde in Kisten packen. Erst 1890 wurden
sie der Oeffentlichkeit wieder zugänglich ge-
macht. Bei der 1891 vorgenommenen Ver-
steigerung wurden von den 438 Schweizer
Scheiben über 120 wieder für die Eidgenossen-
schaft gerettet; eine stattliche Zahl kam in das
Landesmuseum, andere in die Museen und
Sammlungen von Genf, St. Gallen, Frauenfeld,
Luzern, Neuenburg, Graubündten, Wyl, Basel,
Winterthur, Bern, Appenzell, Schwyz und Solo-
thum. Andere wurden von Privaten erworben,
während die Mehrzahl durch alle Welt zer-
streut wurde.

Alle Perioden der Schweizer Glasmaler-
kunst waren in der reichhaltigen Sammlung
vertreten, neben den Meisterwerken der Blüthe-
zeit kunstvolle Arbeiten der vollendeten Schmelz-
malerei, aufserdem vortreffliche Grisaillen, aller-
dings auch minderwerthige Tafeln und ge-
schliffene Scheiben. Die Preise, welche in den
letzten Jahren für die kleinen Schweizer-
scheiben bezahlt wurden, sind übermäfsig hoch.
So wurde für die runde Solothurner Stiftscheibe
aus der Douglas'schen Sammlung die Summe
von 3750 Mk. bezahlt, für die Rheinau-Scheibe
2156 Mk., für St. Blasien 1650 Mk.

Eine Frauenfeld-Scheibe, 1543 von der
Stadt dem Rathhaus zu Stein geschenkt, kam

') Vergl. Katalog der Kunstsammlung der Herren
C. u. P. N. Vincent in Konstanz. (Köln 1891.) _
14 Abb. in den „Meisterwerken". — Vgl. »Neujahrsblatt
der Züricher Antiquar. »Gesellschaft für 1890.« Katalog
der Vincent'schen Schweizerscheiben. Prof. Dr. Rahn.

__ J. R. Rahn. „Die Schweiz. Glasgem. in der

Vincent'schen Sammlung in Konstanz", »Miltheil. der
Antiquar. Gesellschaft in Zürich« LIV. (1590.)

1869 aus dem Zunfthaus „zum Klee" in die
Vincent'sche Sammlung und wurde endlich
von Frauenfeld um den Preis von 3245 Mk.
zurückerworben; fürwahr ein theuresGeschenk.
Weniger theuer sind die Handzeichnungen.
1896 kamen in Berlin 91 Entwürfe von Glas-
fenstern unter den Hammer, einzelne von Jost
Amman, Hans Bock-Basel, Hans Holbein,
Hans Ulrich Jegli-Bern, Hans Leu-Zürich,
Hans Heinrich Jetzeler-Schaffhausen, Ludwig
Ringler-Basel, Johann Heinrich Waegemann-
Zürich, eine Anzahl von der Hand Daniel
Lindtmayers aus der Zeit 1561—1600, mehrere
von Chr. Murer (6), Hans Jakob Nüscheler
und Tobias Stimmer, endlich verschiedene
von unbekannten Meistern.10) Lindtmayers Tod
der h. Jungfrau wurde mit 380 Mk. bezahlt,
sein Entwurf zum Thomasfenster mit 320 Mk.;
Holbeins Kreuzigung erzielte 355, ein Murer-
und eine Stimmer - Zeichnung 2Ö5 bezw.
245 Mk. Die billigste kostete nur 20 Mk. Die
besseren Handrisse kamen an das Landes-
museum, andere an eine Kunsthandlung zu
Frankfurt a. M.

Bei der regen Nachfrage nach Schweizer
Scheiben bildete sich rasch ein flotter Ge-
schäftszweig aus, die Herstellung gefälschter
Scheiben. Aenderungen von Jahreszahlen, gänz-
liche Neuanfertigung, Zurückhaltung alter Theile
bei Wiederherstellung und Ergänzung derselben
zu neuen „alten Scheiben". Die Herstellung
älterer Jahrgänge bereitet allerdings des schwer
zubeschaffenden Glases wegengröfsere Schwierig-
keiten.

In der Schweiz selbst dürften wohl kaum
alte Wappen aufzutreiben sein. Man erblickt
in jenen köstlichen Denkmälern schweizerischer
Kleinkunst gewissermafsen vaterländisches Eigen-
thum. Dieser neue Gesichtspunkt war neben
dem künstlerischen ein mächtiger Antrieb zur
emsigen Suche nach alten Glasgemälden, zum
umfangreichen Rückkauf aller erreichbaren
Stücke.

So wurden 1889 18 Rathhausener Scheiben
in Paris ersteigert, 1890 6 Wappenscheiben
von Frau von Graffenriedt gekauft, 12 auf der
Versteigerung Hailstone in London, 24 auf
einem englischen Landgut erworben. Aus dem
Vincent'schen Nachlafs erstand das Landes-
museum 72 Scheiben um die Summe von

,0) Vergl. Auktionskatalog von Amsler u. Ruthardt
(Berlin).
 
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