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Zeitschrift für christliche Kunst — 14.1901

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Hager, Georg: Zur Geschichte der abendländischen Klosteranlage, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4055#0136

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201

1901.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST _ Nr. 7.

202

bau und zwar speziell mit dem Kapitel ver-
bunden.

So erscheint denn die Marienkapelle seit dem
XI., oder vielmehr, weil die Anlage von Cluny
ausgeht, schon seit dem X. Jahrh. als typischer
Bestandtheil der Klosteranlage der Benediktiner,
bezw. Cluniacenser, der seinen bestimmten
Platz in der Regel und im Planschema hat.68)
Ihr Vorgänger ist die kleine Doppelkirche auf
dem Plane von St. Gallen, welche östlich an
den Chor der grofsen Klosterkirche stöfst, in
der Axe desselben liegt und in zwei durch
eine Quermauer geschiedene Hälften zerfällt:
die westliche dient als Kapelle des nördlich
angebauten Krankenhauses, die östliche als
Kapelle des südlich angebauten Noviziates.
Leider wissen wir nicht, welchen Titel diese
Doppelkirche führte. Sollte sie der hl. Maria
geweiht gewesen sein? Es wäre erwünscht,
dafs die Nachrichten über die Marienkapellen
in St. Gallen mit Rücksicht auf diese Frage
nochmals geprüft werden.09) Sollte die Kirche
der hl. Jungfrau geweiht gewesen sein, so wäre
die Marienkapelle nicht nur in der Verbindung
einer Kapelle mit dem Krankenhaus, sondern
auch im Titel bereits auf dem Plane von
St. Gallen vorgebildet. Geht der Plan auf
Aniane zurück, so wäre der Marientitel leicht
erklärlich, da in Aniane neben der Hauptkirche
St. Salvator eine kleinere Marienkirche bestand,
welche sofort bei der ersten Ansiedlung des
hl. Benedikt erbaut worden war und auch
später beibehalten wurde.70) Da Cluny auf's
engste an die Reform des Benedikt von Aniane
anknüpfte, so könnte man vermuthen, dafs
zwischen den Marienkapellen in Aniane und
Cluny ein Zusammenhang besteht; allein in
Cluny fand der Gründer des Klosters 910 be-
reits zwei Kapellen vor, welche Maria und
St. Peter geweiht waren, und aus diesen ent-
wickelten sich die Titel der beiden Kloster-
kirchen.71)

°9) Dafs eine Marienkapelle „in den meisten hir-
sauischen Klöstern sich befand", darauf hat schon
M. Fey er abend »Jahrbücher des Stiftes Ottobeuren«

I (1813) 542 hingewiesen. Feyerabend hebt auch schon
das öftere Vorkommen von Nikolauskapellen in diesen
Klöstern hervor, auf das ich hier nicht weiter eingehe.

6!)) Vergl. die Bemerkungen bei J. Neuwirth
a. a. O. S. 37, 40, 44.

70) Ardonis vita Benedicti abbatis Anianensis.
»Mon. Germ. SS.« XV, 201.

71) E. Sackur .Die Cluniacenser« I (1892) 41,

II (1894) 372.

Wie es sich nun auch mit dem Patrocinium
der Krankenhauskapelle von St. Gallen verhalte,
auf jeden Fall bedeutet die Krankenhauskapelle
der Cluniacenser eine weitere Entwicklungsphase
der gleichen Kapelle des Planes von St. Gal-
len: war auf letzterem die Kapelle unmittel-
bar östlich vom Chor der Klosterkirche dis-
ponirt, so rückte sie in Cluny etwas seitlich
vom Chor an den Ostflügel des Konventbaues
und ging eine Verbindung mit dem Kapitel-
saal ein. Die Verbindung mit dem Kapitelsaal
wurde wohl durch liturgische Rücksichten
herbeigeführt, durch das Bestreben, für die
Prozessionen im Kreuzgang eine statio in einer
Nebenkirche zu gewinnen.72) Aufserdem gewann
dadurch der kirchliche Charakter des Kapitel-
saales. In der Frühzeit scheint der Kapitel-
saal, abgesehen von der Lage neben dem Chor
der Klosterkirche, eines ausgesprochenen kirch-
lichen Charakters noch entbehrt zu haben; die
Wärmestube, welche in St. Gallen als Kapitel
diente, enthielt sicherlich keinen Altar; über-
haupt weifs ich aus dem ersten Jahrtausend
kein Beispiel für einen Altar im Kapitel. All-
mählich mochte man das Bedürfnifs fühlen,
den kirchlichen Charakter des Kapitels noch
mehr zu betonen. Dies geschah durch die
Verbindung mit der Marienkapelle. Und wo
keine Marienkapelle mit dem Kapitel verbun-
den wurde, da mochte man wenigstens seit
dieser Periode einen Altar in demselben auf-
stellen. Zum Kapitelaltar wurden im späteren
Mittelalter eigene Stiftungen gemacht.73)

Die Art der Benützung der Marienkapelle
war bei den Cluniacensern genau vorgeschrie-
ben. Da sie in erster Linie den Kranken
diente, so war der reguläre Gottesdienst in
derselben bedeutend kürzer als jener in der
ecclesia maior. Aufser den Kranken durften
an demselben auch Mönche theil nehmen, die
durch ihr Amt viel beschäftigt waren, wie der
Cellerarius, Camerarins, Granatarius, Decanus
-inline, Ostiarius, Infirmarius und der Magistet
operis {qui pracest operi caementiciorum).74)
Der Abt Petrus Venerabilis von Cluny verord-

7a) Siehe die schon oben beim Nachweis der Lage
der Marienkapelle angeführte Stelle der Hirsauer Kon-
stitutionen, Lib. I, cap. 72. Vergl. dazu „Casus mo-
nasterii Petrishusensis", »Mon. Germ.« SS. XX, 050.

") z. B. 1343 im Kloster Michelsberg in Bamberg
»XV. Bericht des Histor. Vereins zu Bamberg« (1853)
S. 117.

74) Constit. Hirs. Lib. II, cap. 53.
 
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