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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Braun, Joseph: Das Rationale
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0078

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119

1903.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

120

Eichstätter Wappen dargestellt. Vorn und im
Rücken ist das Rationale in Perlen mit einer
von Eichen ranken eingerahmten Inschrift ge-
schmückt, die sich teils auf das Mittelstück,
teils auf die Behänge verteilen. Sie lautet auf der
Vorderseite: Fides, spes, Caritas (Mitte), justitia
(linker), fortüudo (rechter Behang), auf der Rück-
seite veritas, disciplina (Mitte), temperantia (lin-
ker), prudentia (rechter Behang). Das die In-
schriften umziehende Eichenlaub weist nach
Art eines redenden Wappens auf den Namen
des Bischofs hin.

Weit gröfseres Interesse nehmen die Rationa-
lien zu Bamberg, Regensburg46) und München
wegen ihres reichen tiefsinnigen Bilderschmuckes
in Anspruch. Auf den Rundscheiben sind in
der Mitte zwei einander begegnende bezw. zwei
einander sich küssende Frauengestalten darge-
stellt, deren Bedeutung durch die Umschrift mi-
sericordia et veritas obviaverunt sibi und justitia et
pax osculatae sunt (Ps.84, 11) gekennzeichnet ist.
Um sie herum sind, durch ein Blattornament von
einander getrennt, je sechs Brustbilder ange-
bracht, laut Beischrift die zwölf Stämme Israels.
Der vor der Brust und im Rücken herabfallende
Teil des Ornatstücks, welches durch eine Borte
rings umrahmt wird, setzt sich aus zwei schmalen
seitlichen Vertikalstreifen und einem etwas
kürzeren Mittelfelde zusammen. Die Vertikal-
streifen enthalten je drei Halbbilder der zwölf
Apostel. Im mittleren Felde ist auf der Rück-
seite der Welten richter und das Lamm, umge-
ben von Engeln und den Evangelistensymbolen
abgebildet. Von den Engeln reicht einer dem
hl. Johannes eine Rolle zum Schreiben, ein an-
derer bläst in die Posaune. Auf der Vorder-
seite füllt eine grofsartig gedachte Allegorie der
Kirche die Mitte (Abb. 9). Unter fünftürmigem
Überbau, der mit Behängen drappiert ist, steht
Christus, der neue Salomon, der rex pacificus,
wie es auf dem Bamberger Rationale heifst, auf
einer Estrade, dem ferculum Salomonis und
reclinatorium aureum, zu der rechts und links
ein Aufstieg führt. Der Überbau ruht auf zwei
Säulen, den columnae argenteae, neben denen
Petrus und Paulus, die Säulen der Kirche,
stehen. In dem Aufstieg zur linken sind Mär-
tyrer, von denen einer auf dem Regensburger

«*) Die besten Abbild, bei Cahier 1. c. p. 196,
199 und in dein für die Geschichte der mittelalterlichen
Stickereien so bedeutungsvollen Werke L. deFarcy
»La Broderie« p], 6.

Rationale als Stephanus bezeichnet ist, in dem
Aufstieg zur Rechten der Herold der Liebe,
Johannes Ev. Zwei Wege führen zum Friedens-
könig, der ascensus purpureus, das Martertum,
und die Liebe. Vor der Estrade erhebt sich
in der Mitte eine Frauengestalt, die Kirche, zu
deren Füfsen die Halbbilder zweier Frauen an-
gebracht sind, Maria und Martha, das beschau-
liche und das tätige Leben. Beischriften bilden
auf der Vorderseite wie auf der Rückseite die
Erläuterung der Darstellungen. Am ausgiebig-
sten sind sie auf dem Bamberger Rationale
beigegeben. Beim Münchener sind die In-
schriften der Vorlage entweder weggelassen
oder durch andere ersetzt, bei denen die reiche
Allegorie, welche den Bilderschmuck beherrscht,
kaum mehr zur Geltung kommt. Die Dar-
stellungen der Vorderseite beruhen ganz auf der
Apocalypse, diejenigen der Rückseite im wesent-
lichen auf dem Hohen Lied und seinen mysti-
schen Deutungen bei den alten Exegeten.47)

Ein Rationale aus später Zeit wird im Dom
zu Paderborn aufbewahrt. Auch bei ihm be-
steht die Vorder- und Rückseite aus einem
Mittelstück und zwei, die Seiten desselben be-
gleitenden Vertikalstreifen. Schulterschilde feh-
len aber, es stofsen vielmehr die seitlichen
Streifen unmittelbar über der Schulter anein-
ander. Durch eine reich mit Edelsteinen be-
setzte Agraffe getrennt sind auf dem vorderen
Mittelstück die Worte doctrina . veritas, auf dem
hinteren fides. Caritas eingestickt. Auf die Ver-
tikalstreifen verteilt sich eine Inschrift, welche
einen kurzen Abrifs der Geschichte des Pader-
borner Rationales gibt: Bernardus I. epis päd.
impetravit — Innocentius II. P. M. concessit —
Alexander VII. P. M. confirmavit — Ferdinan-
dus IL epus päd. ampliavit. Die Inschriften
auf dem Mittelfeld wie den Streifen werden
von zierlichen Bouillonstickereien umrahmt.
Die um den Kopfdurchlafs liegenden vier
Zwickel sind mit Perlstickereien verziert, die
Vertikalstreifen enden in Goldfransen.48)

An den Säumen des Rationales brachte man,
wie die Bildwerke bekunden, gern Glöckchen an.
Tintinabulis resonans sagt der St. Galler Codex.

*7) Der Raum gestattet kein weiteres Eingehen auf
die drei Kalionalien und ihren Bilderschmuck. Ich
hoffe später Gelegenheit zu finden, nachzuholen, was
hier versäumt werden mufste.

") Abbild, bei Ludorff »Die Bau- und Kunst-
denkmäler des Kreises Paderborn«. Taf. 00.
 
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