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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Buchner, Otto: Werke des mittelalterlichen Bronze-Gusses im Erfurter Dom
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0097

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151

1903.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 5.

152

Eine weitere Lichtdülle befindet sich im Nacken
der Figur, die dadurch gezwungen wird, den
Kopf etwas vorzubeugen. Gekleidet ist sie
in ein langes, eng anliegendes, bis zu den Knö-
cheln reichendes Gewand und mit einer kurzen,
wamsartigen Jacke, die am Halsausschnitt
mit einem einfachen gemusterten Besatz ge-
schmückt und an den Ärmelöffnungen wulst-
artig umgeschlagen ist. Durch die Art der
Modellierung als anderer, weicherer Stoff ge-
kennzeichnet, treten aus der Jacke die Ärmel
heraus, an den Handgelenken eng anliegend.
Die Füfse stecken in wei-
chen, vorn über dem Spann
weit ausgeschnittenen Schu-
hen mit erhöhter Fersen-
kappe. Von dort aus gehen
Schliefsbänder aus, über dem
Knöchel zusammengeknotet.
Die Schuhe, der Schmuck-
besatz am Wams und die
äufsere Kennzeichnung ver-
schiedenen Stoffes hätten
die Annahme, es handle sich
um einen Büfser, von vorn-
herein ausschliefsen müssen,
ebenso auch das Vorhanden-
sein eines bereits mehrfach
als Schächtmesser gedeuteten
Gegenstandes, in dem ich

aber nur ein schmales
Schreibfutteral mit hervor-
stehendem Griffel oder Stift,
welches an dem durch die

Jacke verdeckten Gürtel
hängt, zu erkennen vermag
Dazu kommen die vorn über
den Rock herabhangenden
Enden des Gürtels mit der eingegrabenen
Widmungs-Inschrift.

In der Modellierung ist die Figur noch un-
geschickt; der Körper ist zu lang gestreckt,
die Hüften sind zu breit im Verhältnis zu
der schmalen Brust und den herabfallen-
den Schultern; der Leib tritt unter der
straffen Gewandung vor, ebenso das Gesäfs
und die Kniee. Aufserdem ist versucht, die
durch das Leuchtertragen bedingte Anspannung
der Brustmuskulatur deutlich zu machen. Die
Füfse und Hände sind zierlich, letztere aber
im einzelnen nur schematisch behandelt, indem
die Gelenke nicht angegeben sind, sondern
nur die Nägel. Das bärtige Gesicht zeigt grofse

Abb. 2. Leuchterfigur des sog. Wolfram.

vorquellende Augen mit starrem, glotzenden
Blick. Stirn- und Nasenlinie gehen ohne starke
Trennung oder Einsattelung in einander über.
Die Backen sind noch nicht durchmodelliert.
Durch ein paar hart einziselierte Runzeln an
der Nasenwurzel und den Augenwinkeln ist
angedeutet, dafs die Leuchterfigur als an Alter
vorgerückt charakterisiert werden soll. Die
Hauptsorgfalt hat der Künstler auf die pein-
liche Durchführung des Haupthaares und des
Bartes gelegt. Das Haar ist in einzelne Strähne
zerlegt, die ihrerseits spiralig bald nach dieser,
bald jener Richtung sich dre-
hen. Daraus ergibt sich der
Eindruck einer sehr kunst-
voll angeordneten Bart- und
Haartracht, ein Eindruck,
der aber sicher nicht be-
absichtigt war. Diese Stili-
sierung, die sichtlich nur dem
Unvermögen entsprang, die
Haare lebendig zu gliedern,
hat den Herausgeber der
Erfurter »Bau- und Kunst-
denkmäler« sogar verführt,
dem Kopf des „Wolfram"
einem assyrischen Herr-
scherkopf gegenüberzustel-
len und an Beziehungen zur
orientalischen Kunst zu
denken.

Wie sehr der Giefser mit
dem Formalen ringt, ersieht
man auch deutlich aus der
Gewand-Stilisierung. Das
Prinzip, nur durch parallele

Einritzungen oder aber
durch spiralige Wülste eine
Art von Faltenwurf zu erzielen, tritt überall
hervor, besonders auffällig und naiv an den
Armen. Nur hier entfaltet der Stoff schein-
bar etwas Freiheit, im übrigen wirkt die Mo-
dellierung fast so, als sei über den Körper
ein enges, nasses Gewand angelegt, das sich,
abgesehen vom freieren Faltenwurf am Unter-
saum des Rockes, fest anschmiegt und nur
ganz geringe Falten gestattet, wie z. B. auch
über den Hüften. Wie der Kopf selbst, sagt
also auch die Gewandbehandlung, dafs wir hier
mit einem zwar altehrwürdigen und beachtens-
werten Werk zu tun haben, in dem aber alles
wirklich Lebensvolle und Wahre wie verstei-
nert und absichtlich verneint erscheint. Bodes
 
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