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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Buchner, Otto: Werke des mittelalterlichen Bronze-Gusses im Erfurter Dom
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0098

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153

1903. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

154

Urteil (»Deutsche Plastik« S. 31) „eine sehr
sorgfältige, aber noch starre, typische Gestalt"
trifft also durchaus zu. Und das umsomehr
beim Vergleich mit dem dazu gehörigen
Unterbau.

Ein Anlafs, dessen Entstehung von der der
Figur selbst (Tettau S. 85) zu trennen, liegt
nicht vor. Seine Phantastik und sein Cha-
rakter sind noch unbedingt romanisch, er fällt
also stilistisch in die gleiche Zeit, wie die
Figur selbst, die von vorn herein irgend einer
Basis bedurfte. Diese ruht auf vier ausladen-
den Stützen, die als Drachen oder Ungeheuer
mit dem Kopf zwischen den Vorderpranken
gestaltet sind und in je drei volutenartige,
nach oben stehende Ausläufer enden, deren
mittelster an den Ecken der rechteckigen Basis
in je einen Löwenkopf ausläuft. Auf jeder dieser
Fufsstützen hockt ein zierliches Wesen, vorne
links ein Affe, der in einen Apfel beifst, rechts
mit unförmlich dickem Kopf und grofsen Hän-
den ein nackter, zwergartiger Mensch, der mit der
Rechten einen Knochen schultert, während
die Linke die Blöfse deckt. Hinter diesen We-
sen erheben sich zierliche, an den Rücken der
Drachen sich anschmiegende Ranken. Auf
den Rückstützen hockt je ein kleines panther-
ähnliches Tier mit geschwungenem Schweif
auf den Drachen, zwischen deren Ausläufern
sich die Fufsplatte der Figur erhebt, umrahmt
von einem Zinnenkranz. Durch Ringe und
Metallbänder ist die Figur auf diesem Posta-
ment befestigt. Das Ganze wirkt recht an-
sehnlich und stattlich. Die Gesamthöhe von
Figur und Basis beträgt ca. 180 cm, die der
Figur allein 152 cm; die Basis mifst 84 zu
118 cm. Die Gröfsenwirkung wird gesteigert,
wenn auf die in den Händen der Figur ge-
haltenen kurzen Lichtteller mit fast kugeligem
Griff die Kerzen aufgesteckt sind.

Es war mithin eine kostbare Gabe, die
durch Wolfram und seine vermutliche Ge-
mahlin Hiltiburg der Kirche verehrt wurde.
Die Widmung findet sich auf den Gürtel-
bändern der Figur und lautet mit Auflösung
der Abkürzungen:

Wolframus. Ora pro nobis sancta dei genitrix.
Hiltiburc. Ut digni efficiamur gratia dei.

Die Inschrift zeigt Majuskelbuchstaben von
ruhigen, gehaltenen Formen.

Zwischen der erfindungsreichen Gestaltung
der Basis und der starren, gebundenen des

„Wolfram" selbst offenbart sich ein merk-
würdiger künstlerischer Gegensatz. Doch das
ist ganz erklärlich. Augenscheinlich entstand
der Leuchter in einer vielbeschäftigten, tech-
nisch wohlgeschulten Werkstatt, die in der
Herstellung von romanischen Leuchtern durch-
aus sicher war. Das romanische Kunstgewerbe
steht ja, wie zahlreiche phantastische Bronze-
güsse beweisen, auf einer glänzenden Höhe,
die aber gröfseren monumentalen Aufgaben
gegenüber nicht ausreicht. Während die
kleinen dekorativen Figürchen, der Affe und
der Zwerg, durch ihre flotte Sicherheit über-
raschen, versagt die Gestaltungskraft bei der
fast lebensgrofsen Einzelgestalt. Ein gutes
Seitenstück zu dieser Erscheinung bietet z. B.
die Grabfigur des Erzbischofs Friedrich
von Wettin (f 11S2) - Magdeburg, fälsch-
lich bisher Giseler genannt, deren Gebun-
denheit, ganz ähnlich und verwandt der
des „Wolfram", doch kontrastiert mit der
niedlichen, hockenden Figur des Dornaus-
ziehers unter der schrägstehenden Fufsplatte
des Bischofs. Man hat seit den Tagen der
Romantik in dies Figürchen — wie nebenbei
bemerkt sein mag — viel hinein geheimnist,
indem man, statt in ihm eine dekorative Zu-
tat zu erkennen, tiefe symbolische Beziehungen
suchte. Das trifft auch auf den Wolfram zu,
der den Triumpf christlichen Glaubens über
den Unglauben und die Mächte der Finster-
nis, vertreten durch die „unreinen Tiere" der
Basis, darstellen sollte; natürlich ganz mit Un-
recht. Denn hier spielt nur germanische
Phantastik hinein, hier spricht nur nordische
„Lust am Fabulieren" das entscheidende Wort.
Wann etwa entstand der Wolfram? Eine
Datierungsmöglichkeit ist durch den Vergleich
mit anderen Werken gegeben. In der Tech-
nik und Modellierung ähnlich, aber weit sorg-
fältiger und die gute Tradition ottonischer
Zeit noch wahrend, ist die Grabfigur König
Rudolfs von Schwaben (f io8o)-Merse-
burg. Allgemein nimmt man an, dafs der
Gufs bald nach des Königs Tod gefertigt
wurde. Die Gestalt hat mit der des Wolf-
ram die abfallenden, schmalen Schultern und
die gestreckte Figur gemeinsam. Doch das
sind, wie Steinskulpturen beweisen (Äbtis-
sinnen - Denkmäler zu Quedlinburg)
allgemein gültige Eigenarten der Zeit. Mit dreien
der Quedlinburger Steine, denen der Adelheid I,
 
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