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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Buchner, Otto: Die metallenen Grabplatten des Erfurter Domes
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0106

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163

1903. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

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gliederte Architektur sprechen. Technisch ist
das Werk mit glänzender Sicherheit durchge-
führt und mit erstaunlicher Klarheit der Zeich-
nung. Jeder Strich sitzt am rechten Fleck,
jedes Zuviel ist vermieden und nur das unbe-
dingt Notwendige angegeben. So zeugt denn das
Bruchstück immer noch, trotz derfehlenden Teile,
von hoher künstlerischer, freilich völlig von der
Architektur beherrschter Gestaltungskraft.

In Erfurt wie im weiteren Thüringen steht
das Werk ganz verein-
zelt da; mit der um die
Wende des XIV. ins XV.
Jahrh. blühenden loka-
len Giefserwerkstatt zu
Nordhausen (Creeny
S. 22—24) hat es nichts
gemein. Nach Erfurt
wird es auf dem Was-
serwege vom Norden
her: Elbe, Saale, Gera
— von Lübeck — ge-
kommen sein. Für die
■ Datierung um 1350
spricht die Grabplatte
des Bischofs Bock-
holt im Dom zu Lü-
beck, f 1341, eine
Rundfigur aufgraviertem
Hintergrund, dem zu Er-
furt so entsprechend, dafs
man die gleiche Werk-
statt annehmen kann,
und schliefslich die Ver-
wendung des Lilienmo-
tivs auf der Platte des
BischofsBertram Cre-
men, Lübeck, f 1377.
(Beide abgebildet bei
Creeny.) Auch wenn
sich das Erfurter Fragment nicht mit den
Prachtplatten zu Lübeck und Schwerin messen
kann, schien in Anbetracht der edlen Zeich-
nung und der Tatsache, dafs das ehrwürdige
Denkmal der Besprechung bisher entgangen
war, seine Veröffentlichung berechtigt.

Zeitlich reiht sich an ein heute im Südflügel
des Kreuzgangs aufgerichtetes Grabdenkmal
des 1427 gestorbenen Kanonikus Hermann
Schindeleyb.

Aus dem sehr abgetretenen Inschriftrand ist
der Name nicht zu entziffern; doch gab das
Totenbuch des Kollegiatstifts Beatae Mariae Vir-

Abb. 1. Grabplatte eines jungen Geistlichen

ginis Namens-Auskunft. Die Inschrift, an den
Ecken durch Rundmedaillons mit den Evan-
gelistensymbolen unterbrochen, beginnt mit
einer aus Wolken ragenden Hand. Die Buch-
staben selbst sind wie aus Bandstreifen zusam-
mengesetzt und in einander verschlungen. Da-
zwischen sind phantastische, drachenähnliche
Tiere und Blumenranken in flotter Zeichnung
eingestreut.

Sehr eigenartig stellt sich das aus mehreren
Stücken bestehende, mit
Messingstiften sorgfältig
verbundene Mittelfeld
dar. In einem perspek-
tivisch gezeichneten, ar-
chitektonischen Gehäuse
steht ein Priester mit
dem Kelch in der ty-
pischen Haltung. Rechts
und links von ihm
stehen in kleinen Ni-
schen ein männlicher
Heiliger mit Buch und
Lanze beziehungsweise
eine weibliche Heilige
mit Buch und Salbge-
fäfs. Das Gehäuse gip-
felt in einer dreigeteilten
spätgotischen Galerie
von bereits recht will-
kürlichen, freien Formen
im Gegensatz zu der
mehr gebundenen und
strengeren Architektur
unterhalb. Von je einem
die Laute spielenden
Engel flankiert, zeigt
sich dort in der Mittel-
nische, von stilisierten
Wolken umgeben, die
ehrwürdige, vom Nimbus umstrahlte Gestalt
Gottvaters. Dessen Rechte ist richtend er-
hoben, die Linke fafst abwägend das Herz des
Gestorbenen: eine eigenartige Variante der ur-
alten Vorstellung vom Totengericht.

Creeny hat (S. 26) das Werk besprochen
und abgebildet, worauf hiermit verwiesen sein
mag, gestattet doch die starke Abschleifung
und der metallische Glanz keine genügende
photographische Wiedergabe des höchst inter-
essanten Denkmals.

Durch ihre Komposition scheint die Platte
einzig dazustehen unter den mittelalterlichen
 
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