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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Buchner, Otto: Die metallenen Grabplatten des Erfurter Domes
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0107

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165

1903. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

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Grabplatten mit Lineardarstellungen. Wohl
findet sich dort vielfach das Jüngste Gericht
angedeutet durch die Darstellung, wie die in
einem Tuch emporgehobene Seele des Ver-
storbenen in den Himmel unter musizierende
Engel aufgenommen wird, aber die Verwen-
dung des Totengerichts in dieser Form, findet
sich meines Wissens nur hier. Und auffällig
genug: gerade diese ganz vereinzelte Darstellung
ist auf einem etwa quadratischen, übereck-
stehenden Metallstück eigens eingesetzt in das
oberste der vier Einzelstücke. Doch sind die
Nähte mit peinlichster Sorgfalt vernietet.

Im Vergleich zum vorangehenden Monu-
ment zeigt sich hier eine stärkere Befreiung
von strenger architektonischer Gebundenheit
zu Gunsten malerischer Wirkung. Aus der
herben, grofszügigen Linienführung mit ihrer
mehr andeutenden und nur das Notwendigste
gebenden Zeichnung, hat sich im Laufe von
etwa 75 Jahren eine mit Licht und Schatten
d. h. mit plastischen Wirkungen arbeitende
Technik entwickelt, die allerdings auf die Ver-
wendung von Kreuz- und Querlagen noch so
gut wie verzichtet.

Der Kanonikus ist im Halbprofil darge-
stellt, was die verstärkte Betonung der Porträt-
ähnlichkeit gestattete. Der Kopf wirkt aus-
drucksvoll und sehr persönlich. Die breite,
niedrige Stirn ist von drei schematischen Quer-
fallen durchfurcht; unter stark betonten, ge-
schwungenen Augenbrauen liegen in scharf
markierten Höhlen die kleinen, seitlich schauen-
den Augen. Schwere Augendeckel geben dem
Gesicht etwas Müdes und Teilnahmloses, doch
die charaktervolle Nase und das kräftig gebil-
dete Untergesicht verraten Energie und Tat-
kraft, trotz der angedeuteten starken Fettpolster.
Plump und unschön, dazu jeder Grazie entbeh-
rend, sind die grofsen Hände. Hier fehlte dem
Künstler sichtlich die Kraft der Wiedergabe.
Und das läfst auch die starke Vereinfachung der
Gesichtszüge, die wie wohlberechnete künstle-
rische Abwägung scheinen könnte, zurücktreten
vor der Erkenntnis, dafs der Künstler noch
stark mit dem Formalen ringt, dafs ihm die Be-
handlung des Fleisches sehr unbequem ist

Ganz anders die Behandlung des Stoff-
lichen und des dekorativen Beiwerks. Da zeigt
sich eine sehr beachtenswerte Freiheit und
Schmiegsamkeit der Linienführung; die Schatten
sind durch Schraffierungen angedeutet. Virtuos

ist die priesterliche Gewandung gezeichnet; der
Stoff fliefst in weichen, wohllautenden Linien.
Die Ausbiegung ist überwunden und die da-
durch bedingte sehr ruhige, gehaltene Stellung
des Priesters scheint notwendig und berechnet,
um den Eindruck der Überfülle zu vermeiden
und das dekorative Beiwerk nicht vorlaut
sprechen zu lassen. Dafs das nicht geschieht,
dafür sorgt auch die eigenartige, zarte Gravier-.
technik, aus deren Sicherheit sich auf lang-
jährige Übung schliefsen läfst.

Am zartesten sind die oberen Partien des
Denkmals durchgeführt, leider aber hat auch
hier die Abschleifung vieles endgültig zerstört.
Trotzdem läfst sich in der Zeichnung der Engel
und des Gerichts eine zierliche und, soweit es
die Zeit gestattete, eine nach formaler Schön-
heit strebende Auffassung nicht ableugnen. Für
die Kenntnis vom Werden und Entstehen des
Kupferstiches scheint das Werk bis jetzt
sehr mit Unrecht noch nicht herangezogen
worden zu sein. Von der Grabsticheltechnik
des Denkmals bis zum Kupferstich scheint hier
der Schritt ganz naheliegend. Eine Würdigung
des Werkes gerade nach dieser Richtung hin
dürfte sich sehr empfehlen.

So steht denn das Denkmal da als ein
eigenartiges Zeugnis von Streben nach Be-
freiung aus dem typischen Gestaltungskreis.
Porträtähnlichkeit ist sichtlich erstrebt, auf ma-
lerische Wirkung ist hingearbeitet. Und wenn
der Künstler dem mittelalterlichen horror vacui
Rechnung tragend, das Beiwerk mit übergrofser
Liebe betont, so zeigt er nur eine parallele
Erscheinung zur Steinplastik. Nachdem die der
Hochgotik eigene, monumentale Auffassung der
Grabfiguren sich ausgelebt hatte zu Gunsten
stärkerer psychischer Affektdarstellung, vor allem
andächtiger Zerknirschtheit, lag die Gefahr nahe,
dafs die Formenfreude und der spielende Geist
der Spätgotik diesen vertieften Gehalt der Grab-
figuren in ein Kokettieren mit Affekten um-
wandele, wenn nicht gar durch überstarke Be-
tonung des Dekorativen ersticke. Davor hat
sich der Künstler des Monuments gehütet;
trotz des Reichtums wirkt es durch die würde-
volle Auffassung des Priesters und die verein-
fachte Linienführung, soweit sie dessen Figur
betrifft, einheitlich und von geläuterten aesthe-
tischem Empfinden getragen.

Ob das Werk in Erfurt entstanden ist,
scheint sehr fraglich. Es steht wie das voran-
 
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