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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Buchner, Otto: Die metallenen Grabplatten des Erfurter Domes
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0117

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1903. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

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risch weniger geschlossene, auch technisch
schwächere Form der des Heringen ist. Nun
ist neuerdings, wiederum durch Justi,
die Bamberger Platte als Werk Vischers
gesichert worden; damit aber ist jeder
Zweifel, woher die Erfurter Platte
kommt, ebenfalls beseitigt.

Der grofse Wert der letzteren ist bedingt
durch ihr Herausfallen aus der handwerklichen
Mittelware der Vischerhütte. Abgesehen von
wenigen Ausnahmen, wie dem reifen und durch-
geistigten Idealbild der Herzogin Sidonie zu
Meifsen und dem des Kardinals Friedrich
Kasimir, -J- 1510, zu Krakau, sind die Züge
der Gestorbenen meist unpersönlich und typisch.
Und hier nun ein jener Krakauer Platte nahe-
stehendes Werk von wahrhaft grandioser Ver-
einfachung in der Wiedergabe der Erscheinung,
ein Werk von sprühender Wirkung und inne-
rem Gehalt! Eine Zeichnung, weit über das
sonst bei Vischer Typische hinausgehend! —
Das scheint geeignet, die alte Streitfrage, ob
Vischer etwa Entwürfe und Vorlagen anderer
Künstler benutzt habe, wieder aufzugreifen.
War Vischer in der Lage, eine solch her-
vorragende Zeichnung selber zu entwerfen,
dann ist er bis jetzt nach seiner malerischen
Veranlagung hin unterschätzt worden, denn
dann kann er an Kühnheit und Wucht des
Stils wetteifern mit dem Gröfsten seiner Zeit:
mit Albrecht Dürer.

In der Zeichnung steckt eigentlich nur
Dürerisches. Man erinnere sich an Dürers
Porträts, die abgesehen von den letzten Werken,
Brustbilder sind mit sich betätigenden Händen.
Bei ruhiger Haltung und Würde bringen diese
Porträts meist scharf ausblickende, beobachtende
Augen und Hände, die im nächsten Augenblick
ihre Stellung wechseln werden. Zwar äufserlich
ruhig, sprühen die Dargestellten von Kraft und
innerem Wollen. In der Durchführung der Mus-
kulatur liebt Dürer eine nur ihm eigene, nach-
her von seiner Schule vergröberte Darstellungs-
weise, die man bei ihm, dem einstigen Gold-
schmied-Lehrling, am besten mit Heraustreiben
von Innen nach Aufsen bezeichnen mag und
deren Folge eine Belebung und Schwingung
der Linien ist. Besonders wie er das Kinn
sich aus den Wangen heraus hervorrunden, wie
er den Kontur der Lippen belebt und auf- und
abschwellen läfst, wie er die Tränendrüsen

hervorhebt, das alles findet sich hier wieder.
Auch die merkwürdig belebte rechte Hand, an
der sich der Ringfinger vom Mittelfinger löst,
um die Umrifslinien recht reizvoll und lebendig
zu gestalten, erinnert an Dürers Münchener
Selbstporträt. Weiter ist kennzeichnend die
liebevolle Behandlung der Tracht. Bei grofser
Vereinfachung doch ein Reichtum kleiner
Einzelzüge, Gründlichkeit und Genauigkeit in
der Wiedergabe des Kostümlichen. Man beachte
z. B. die Schlinge der Mozetta, deren Gegen-
stück sich an der Platte der Herzogin Sidonie
zu Meifsen findet. Schliefslich die Faltenbe-
handlung mit ihren schmalen, scharfen und be-
schatteten Brüchen und die wie aus einer
Drahtschlinge geformten „Augen". Genug, dafs
aus der Platte Dürerischer Geist mit unver-
kennbarer Kraft spricht. Welche Schlüsse
daraus zu ziehen gestattet ist, möge weiteren
Betrachtungen überlassen bleiben.

Mit diesem vortrefflichen Werk ist die Zahl
der der eingehenden Würdigung werten Grab-
denkmäler aus Erz erschöpft, denn das Epi-
taph des Henning G öden von Peter Vischer,
ein Werk von vornehmster formaler Abklärung,
ist von der Fachwissenschaft genugsam gewür-
digt worden durch das Vorhandensein des glei-
chen Gusses zu Wittenberg. Auf eine Be-
sprechung in diesem Zusammenhang kann also
verzichtet werden.

Die späteren Erfurter Arbeiten haben nur be-
dingtes Interesse; die Platten der Bischöfe
Paul Huthen, f 1532, und Wolfgang
Westermeyer, f 1568, spielen gegenüber
denen des Stein und Bischofs Johannes eine
klägliche Rolle. Von Interesse ist die um-
fangreiche gravierte Platte des Eobanus Zieg-
ler, im Domkreuzgang (abgeb. bei Creeny
S. 66). Von den kleineren epitaphartigen
Wappen- und Inschriftplatten haben die mono-
grammierten des Erfurter Glockengiefsers Mel-
chior Möhring ein lokales Interesse; ein paar
weitere kleine Tafeln dürften von Peter Mülich-
Zwickau, dem auch in Weimar vertretenen
Schwiegersohn Peter Vischers, herrühren. Doch
treten alle diese Werke zurück vor den oben
einzeln behandelten bedeutsameren Schöpfun-
gen, die aus ihrer Nichtbeachtung gezogen
und zur Würdigung gebracht zu werden ver-
dienten.

Weimar. Dr. Otto Buchner.
 
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